Syrischer Patriarch:

“IS ist eine Tragödie für Christen und Moslems”

Ausland
24.10.2014 16:58
Seine Seligkeit Gregorios III. Laham (81) ist der melkitische Patriarch von Syrien ("von Antiochien und dem ganzen Osten, von Alexandrien und Jerusalem"). Er betreut etwa drei Millionen der nach seinen Angaben 15 Millionen orientalischen Christen. Gregorios schlägt eine weltweite Friedenskonferenz unter Schirmherrschaft des Papstes vor. Sein Appell im "Krone"-Interview: "Lasst die Hoffnung in unseren Herzen nicht sterben!"

"Krone": Herr Patriarch, haben die Christen im Orient überhaupt noch eine Zukunft?
Gregorios: Syrien war früher immer ein sicherer Platz für Christen. Heute aber ist keine Gegend in Syrien mehr sicher. Gerade gestern schlug ein Geschoß neben meinem Patriarchat ein. Gott sei Dank: nur Sachschaden. Wer glaubt, da oder dort sei es sicher, kann schon im nächsten Augenblick von einer Bombe, Rakete, Kugel getroffen werden, ganz zu schweigen von Entführungen, Geiselnahmen, Lösegelderpressungen. Unsere Kirchen, Schulen, sozialen Einrichtungen werden zerstört. Die Zukunft der Christen ist in der Tat ungewiss, doch die Christen in Syrien geben nicht so rasch auf. Wir sind seit 2.000 Jahren da und haben keine Alternative. Wenn das Christentum im Nahen Osten verschwindet, dann verliere ich die Spur zu Jesus, der von hier stammt. Wie arm wäre die arabische Welt, wenn die Christen verschwänden. Das Christentum gehört zur arabischen Welt wie der Islam. Genau dagegen kämpft der IS. Sie wollen das Arabertum rein islamisch machen.

"Krone": Wie können wir den Christen helfen?
Gregorius: Wir sind für jede Hilfe dankbar, aber helft uns bitte so, dass wir hier bleiben können. Denn Auswandern ist keine Lösung. Da kommen unsere Menschen in eine fremde Welt, die sie nicht verstehen. Also bitte: ein "Fundraising", damit die Menschen in ihre Häuser zurückkehren können, Kirchen und Schulen wieder aufbauen können. Übrigens: Die Hilfe, die uns erreicht, teilen wir auch mit bedürftigen Moslems. Gebt uns Hoffnung, gebt uns Kraft, lasst die Hoffnung in unseren Herzen nicht sterben!

"Krone": Wie erklären Sie sich den IS und den gewalttätigen Dschihadismus, der gleichzeitig den gesamten Islam in der Welt erfasst hat?
Gregorius: Darauf gibt es keine einfache Antwort und ich kann es nicht wirklich erklären. Es ist so etwas wie das Mysterium des Bösen, das nicht neu ist und das es auch unter anderen Vorzeichen gab und gibt. IS ist ein Zeichen für das Wirken des Bösen in der Welt. Der Islamische Staat pflanzt die Gewalt in die Herzen der Menschen, das ist die große Gefahr und das wird unsere Welt verändern. Ich bin mir aber sicher, dass das Wirken des Bösen doch keine Zukunft hat, wenn wir alle in einer gemeinsamen Haltung zusammenstehen, gemeinsam auftreten und eine globale Antwort finden. Ohne das negative Einwirken verschiedener Interessen von außen wäre das Problem hier längst gelöst.

"Krone": Welche Schlüsse sollten wir also daraus ziehen?
Gregorius: Das ist in erster Linie kein Konflikt zwischen Christen und Moslems, sondern zwischen Strömungen im Islam selbst. Der IS ist eine Tragödie für Christen und Moslems, für das Menschentum überhaupt. Die meisten Opfer sind Moslems. 190.000 Menschen sind in Syrien ums Leben gekommen. Von den neun Millionen Flüchtlingen sind 450.000 Christen. Für uns in Syrien ist diese Zahl ein Viertel unserer Gemeinde.

"Krone": Wie kann man die Fanatiker zur Umkehr bringen?
Gregorius: Wir müssen die Herzen der Menschen zurückgewinnen. Die amerikanischen Interventionen in Nahost haben die Menschen verbittert. Ich habe zum Opferfest "Eid al-Adha" einen Brief an die Moslems geschrieben und ich schlage eine weltweite Friedenskonferenz im Vatikan unter Schirmherrschaft von Papst Franziskus vor. Seine Persönlichkeit kann die Moslems überzeugen, dass die Christen doch nicht die neuen Kreuzritter sind, wie der IS sagt. Notwendig wäre auch eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts - zum Wohle Europas. Das würde unter den Moslems zur Beruhigung beitragen.

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