Schöner Sporttourer

Honda VFR: Frl. Rottenmeier gibt sich einen Ruck

Motor
13.10.2014 18:37
Fräulein Rottenmeier ist nicht gerade eine Sympathieträgerin. Mit schnarrender Stimme keift sie herum und macht der lieben kleinen Heidi das Leben schwer. An sie erinnert mich der Sound der Honda VFR800F, vor allem (aber nicht nur) nach dem Kaltstart. Die Sache mit der Sympathie ist hier aber anders gelagert – wenn man sich mit den Eigenheiten anfreundet.
(Bild: kmm)

Optisch trennen die schöne Japanerin und die gestrenge Hausdame Welten. Mit glatten Flächen, prägnanten Kanten und harmonischen Linien, die gierig nach vorne streben, nimmt sie mich für sich ein, die LED-Doppelscheinwerfer ziehen sich wie Augenbrauen zusammen, deuten dabei ein X an und thronen quasi über einer Art großem Maul, das die Kühlluft aufsaugt und aus dem die Telegabel ragt. Modern statt abgetakelt, knallrot statt ergraut. Als Alternativfarbe ist in Österreich – äh – Rot erhältlich.

Die Honda VFR800F ist nicht weniger als eine Honda-Ikone. Seit 1986 gibt es die Baureihe, die mehr eingefleischte Fans hat als Fräulein Rottenmeier Haare auf den Zähnen; mittlerweile, also seit 2014, sind wir bei Generation sechs des Sporttourers. Diese Art Motorrad, also die sportliche Reisemaschine mit der Option auf ein sauber integriertes Koffersystem, ist etwas aus der Mode gekommen, daher ist die direkte Konkurrenz überschaubar.

So einen Motor gibt es sonst nirgends
Das Herz der VFR ist ihr 782 cm³ großer V4-Motor, der je nach Drehzahl durch acht oder 16 Ventile versorgt wird. VTEC heißt dieses exklusive System, mit dem Honda einerseits Durchzug im unteren und mittleren Drehzahlbereich, aber andererseits auch volle Power obenraus liefern will. In der Praxis reißt der V4 ab knapp unter 7.000 Touren die Kehle auf, wie wenn Fräulein Rottenmeier die Stimme überschnappt. Gleichzeitig schiebt die VFR deutlich vehementer an, was bisweilen immer noch als heftiger Ruck zu spüren ist, der auch mal die Linie beeinflussen kann. Interessanterweise kommt das nicht immer so deutlich, manchmal ist der Übergang richtig geschmeidig. Übrigens: 7.000 Touren entsprechen etwa 77 km/h im zweiten Gang.

Im Vergleich zu früher ist das VTEC dank Drive by Wire deutlich smoother, vor allem nervt es nicht mit ständigem Hin- und Herschalten, wenn man um die Drehzahlstufe pendelt. "Das liegt daran, dass es jetzt ein Drehzahlfenster zum Umschalten gibt", erklärt Honda-Technik-Auskenner Christian Zwedorn.

Der Durchzug geht in Ordnung und der Motor verhält sich auch bei niedrigsten Drehzahlen lammfromm. Wer flott unterwegs sein will – etwa zum Überholen auf der Landstraße – sollte aber drauf achten, dass alle Ventile arbeiten. Das volle Drehmoment von 75 Nm powert bei 8.500/min., 106 PS sind bei 10.250/min. versammelt. Gedreht werden kann bis 12.500/min., da sind wir dann schon mitten im roten Bereich. Passend zum Lack. Am Rande bemerkt: Die Vorgängerin hatte drei PS und fünf Nm mehr – wegen der geänderten Abgasvorschriften, sagt Honda.

Nerv sie nicht mit engen Winkeln!
Beim schnellen Dahinpfeilen ist die Honda VFR800F in ihrem Element, das Carven durch verwinkelte Kurven ist weniger ihr Ding. Das liegt teilweise auch an ihrem mit 242 kg nicht gerade schlanken Fuß; da sind natürlich Hauptständer und Zweikanal-ABS mit drin. Beim Generationenwechsel hat sie immerhin 10 kg verloren, 6 davon durch die neue 4-in-1-Auspuffanlage statt der zwei Röhrln unterm Sitz.

Das Getriebe schaltet exakt und butterweich; auch das Fahrwerk ist ohne Fehl und Tadel, mehr auf Stabilität als auf Agilität ausgelegt und vermittelt prächtig zwischen Straße und Hirn; ebenso die zielgenaue Lenkung. Die radial verschraubten Vierkolben-Festsättel geraten nie an ihre Grenzen und werden vom Zweikanal-ABS (kein Combined-System mehr), wenn nötig, gefühlvoll dosiert. Wenn es drauf ankommt, zwicken sie die Backen zusammen wie Fräulein Rottenmeier im Moment größten Entsetzens. Seit Neuestem gibt es eine sicherheitsorientierte Traktionskontrolle, die sich am Lenker mit einem Schalter, der wie aus dem Baumarkt wirkt, deaktivieren lässt.

Der TC-Schalter ist nicht die einzige Bedien-Schrulle: Das Display ist aller Ehren wert, glänzt mit Ganganzeige, hervorragender Ablesbarkeit, gelungener Optik, so ziemlich allen Infos, die man braucht – aber Himmel! warum setzt man für die Bedienung des Bordcomputers im Jahr 2014 (bei einem neuen Modell!) zwei billige, schwer zu bedienende, schwarze Knöpfe auf die Konsole?! Solange es hier keine zeitgemäße Fernbedienung am Lenkergriff gibt, sollte Fräulein Rottenmeier den Verantwortlichen mit dem Rohrstock eins auf die Finger geben. Täglich! Im Dienste der Sicherheit. Auf der anderen Seite hat die VFR800F eine hervorragende automatische Blinkerrückstellung. Ist das logisch?

Die fünfstufige Griffheizung wärmt serienmäßig die Hände, das ganze Motorrad hingegen die Herzen der Fans. Das konnte allerdings schon die Vorgängerin, wie ihre Jünger bestätigen werden. Mit geschmeidigerem VTEC könnte sie nun aber auch einen Eroberungszug starten. 13.790 Euro werden fällig für eine VFR in Rot. Schwarz und Weiß ist nur im Ausland zu haben. Der Klang ist Geschmackssache, die VFR-Zuverlässigkeit sprichwörtlich und – ja – sympathisch ist sie auch. Obwohl sie die "Initialen" von Fräulein Rottenmeier im Namen trägt. Nur: Was heißt dann V?

Warum?

  • VTEC viel geschmeidiger als früher
  • Top-Optik

Warum nicht?

  • VTEC muss man mögen

Oder vielleicht …

… BMW F 800 GT, Kawasaki Z 1000 SX. Die anderen Sporttourer sind größer.

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(Bild: kmm)



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