Islamisten-Vormarsch

IS vs. Kurden: Kampf um Kobane wird immer heftiger

Ausland
07.10.2014 14:24
Seit Wochen versuchen die Gotteskrieger der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die nordsyrische Stadt Kobane an der Grenze zur Türkei einzunehmen. Die meisten Bewohner der Stadt sind geflohen, kurdische Milizionäre leisten erbitterten Widerstand. Unterstützt werden sie von Luftangriffen der internationalen Allianz. Dennoch rücken die Dschihadisten weiter auf Kobane vor, auch am Dienstag gab es wieder heftige Gefechte. Fällt die 50.000-Einwohner-Stadt, stehen den IS-Kämpfern Tür und Tor in das NATO-Land Türkei offen.

Nicht nur würden die Islamisten einen langen Abschnitt der syrisch-türkischen Grenze kontrollieren, auch wird ein Massaker an den kurdischen Milizionären, die Kobane immer noch verteidigen, befürchtet. Am Dienstag flog die US-geführte Koalition im Kampf gegen die Dschihadistengruppe neue Luftangriffe gegen Stellungen der Extremisten. Dabei wurden Ziele im Südwesten von Kobane getroffen, wie eine AFP-Reporterin von der türkischen Grenze berichtete.

Die Kämpfe zwischen den Islamisten und kurdischen Milizionären hatten sich zuletzt nach Angaben von Aktivisten auf Viertel im Süden und Westen Kobanes ausgeweitet, nachdem der IS zunächst drei Stadtviertel im Osten erobert hatte. Die Dschihadisten hätten eine Industriezone und zwei Wohnviertel in ihre Gewalt gebracht, berichtete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte in der Nacht auf Dienstag. Auch im Ostteil der Stadt gebe es weiter heftige Gefechte, sagte der örtliche Kurdenvertreter.

IS-Krieger erobern wichtigen Hügel
Am Montag hatten die IS-Krieger zwei schwarze Fahnen am Ostrand der Stadt gehisst. Zudem dürften sie den strategisch wichtigen Mistenur-Hügel erobert haben, meldete die BBC unter Berufung auf einen Sprecher der kurdischen Stadtverwaltung. Von dort aus soll ein permanenter Beschuss der gesamten Stadt möglich sein. Der kurdische Journalist Mustafa Bali berichtete, angesichts der Straßenkämpfe hätten die kurdischen Milizen die verbleibenden Zivilisten aufgefordert, die Stadt zu verlassen.

Allein am Montagabend seien rund 2.000 Zivilisten aus Kobane geflohen. Die meisten Bewohner hatten schon in den Tagen zuvor die Stadt verlassen und waren über die türkische Grenze geflüchtet. Nach türkischen Regierungsangaben sind mehr als 185.000 Menschen vor den Kämpfen in der Region rund um Kobane in die angrenzende Türkei geflohen. Kurdische Volksschutzeinheiten erklärten Kobane am Dienstag zudem zur "Militärzone" und brachten die noch verbliebenen Zivilisten an die nahe gelegene türkische Grenze. In zahlreichen österreichischen und europäischen Städten kam es zu Protestaktionen kurdischer Gruppen.

Massaker an Kurden befürchtet
Angesichts der von den IS-Kämpfern bisher verübten Gräueltaten in Syrien und im Irak wird ein blutiges Massaker befürchtet, sollte die Stadt fallen. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon rief zum Schutz der Zivilbevölkerung in der belagerten Stadt auf. Wie ein Sprecher Bans am Montag in New York mitteilte, appellierte der Generalsekretär dringend an alle, die die Mittel dazu hätten, sofort zum Schutz der Bevölkerung zu handeln, angesichts der "groben und grausamen Verletzungen der Menschenrechte", die die Terroristengruppe während ihres "barbarischen Feldzugs" in der Region begangen habe.

Bei den meisten der 412 bekannten Opfer der Gefechte um Kobane handelt es sich um Kämpfer beider Seiten, teilte die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte am Dienstag mit. Den Angaben zufolge starben seit Beginn der Kämpfe 219 IS-Dschihadisten, 173 kurdische Kämpfer sowie 20 Zivilisten. Nach Angaben der Beobachtungsstelle liegt die Opferzahl jedoch vermutlich weit höher. Inmitten der Kämpfe sei es jedoch schwierig, Todesfälle zu dokumentieren.

Türkei weiterhin zurückhaltend
Sollte Kobane in die Hände des IS fallen, so würden der Terrorgruppe Tür und Tor in die Türkei offen stehen. Obwohl der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu vergangene Woche angekündigt hat, alles zu unternehmen, um die Eroberung Kobanes durch den IS zu verhindern, gibt es bisher keine Anzeichen für eine türkische Intervention. Präsident Recep Tayyip Erdogan bekräftigte allerdings seine Forderung nach einer Bodenoffensive zur Bekämpfung des IS. "Der Terror wird mit Luftangriffen nicht aufhören", sagte Erdogan am Dienstag. Notwendig sei eine Kooperation von Truppen am Boden. Bereits bei einer Parlamentssitzung Anfang Oktober hatte der Präsident betont, dass Luftangriffe nur eine vorübergehende Lösung darstellten.

Davutoglu erklärte unterdessen, die Türkei sei "zu allem" im Kampf gegen die IS-Extremisten in Syrien bereit, stellte aber Bedingungen. Notwendig sei eine abgestimmte Strategie gegen den syrischen Machthaber Bashar al-Assad, sagte Davutoglu dem US-Nachrichtensender CNN. Ankara werde nur Truppen entsenden, wenn "andere ihren Anteil leisten".

"Terroristen" verteidigen die Stadt
Die kurdischen Kämpfer kritisierten von Anfang an, dass sie schlecht ausgerüstet seien und keinerlei Hilfe von außen erhielten. Der Vizepräsident der syrischen Kurdenpartei PYD, Salih Muslim, warnte kürzlich vor einem Massaker, sollte der IS die Stadt einnehmen. Die Volksschutzeinheiten, die Kobane verteidigen, gelten als bewaffneter Arm der PYD. Sie stehen der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe, die unter anderem in der Türkei, der EU und den USA als "terroristische Vereinigung" geführt wird.

Die Kurden würden mit Kobane überdies nicht nur eine Stadt verlieren, es wäre allgemein ein herber Rückschlag für die kurdische Selbstverwaltung im Norden Syriens. Dort hatten die Kurden seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs im Jahr 2011 drei selbstverwaltete Regionen etabliert - mit Kobane würden sie eine davon verlieren.

Im Bürgerkrieg galt die kurdische Enklave lange Zeit als relativ sicherer Zufluchtsort. Nach UN-Angaben waren 200.000 Menschen aus anderen Teilen Syriens dorthin geflohen. Man geht davon aus, dass sich vor Beginn der heftigen Gefechte um die Region Kobane insgesamt etwa 400.000 Menschen dort aufhielten.

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