krone.at-Reportage

Mega-Fabriken in China: Zu Besuch bei Huawei

Elektronik
04.10.2014 09:00
Die südchinesische Zehn-Millionen-Metropole Shenzhen vor den Toren Hongkongs war vor 30 Jahren ein Fischerdorf mit ein paar Tausend Einwohnern. Vom Reformer Deng Xiaoping zur Sonderwirtschaftszone erklärt, entwickelte sie sich seither zur wichtigsten Hightech-Metropole im Reich der Mitte. Jeder fünfte Bürger von Shenzhen arbeitet heute bei einem der vielen Elektronikkonzerne, die sich hier mit ihren Fabriken angesiedelt haben. Wie der Alltag dieser Menschen aussieht, hat krone.at bei einem Besuch in einer Fabrik des Telekom-Riesen Huawei erforscht.

Fotos sind untersagt. Freundlich, aber bestimmt werden wir beim Betreten der Huawei-Fabrik dazu aufgefordert, die bereitgelegte Anti-Statik-Kleidung anzuziehen: ein gelbes Kapperl, dazu eine Art Arztkittel und aus speziellem Anti-Statik-Stoff gefertigte Überzüge für die Schuhe.

Es geht hier nicht um den Schutz vor Schmutz oder Keimen, sondern um eine andere Art von Hygiene: elektrische Hygiene. Jede statische Ladung, wie sie schon durch die Reibung der Kleidung am Körper entstehen kann, ist Gift für das Geschäft dieser Mega-Fabrik, in der ein Teil der 35.000 Huawei-Mitarbeiter von Shenzhen arbeitet.

Modernes Arbeiten im elektrischen Reinraum
Adäquat gekleidet betreten wir die Produktionshallen. Säuberlich aufgereiht stehen Platinen im Eingangsbereich, aus den Hallen sind die Laute von Kreissägen zu hören, mit denen die Leiterplatten zugeschnitten werden. Über den Köpfen transportieren Förderbänder unter ständigem Rattern Elektronik an ihren Bestimmungsort. Die Mitarbeiter – wir sind erstaunt, so wenige zu sehen – sind gekleidet wie die Besucher: Kapperl, Arztkittel, spezielles Schuhwerk.

Die Farbe der Kopfbedeckung verrät ihre Funktion, wird uns erklärt. Normale Arbeiter tragen Weiß, Ingenieure Blau, die Qualitätskontrolle Rosa. Manch ein Arbeiter ist mit einer eigentümlichen Manschette an seine Maschine gekettet. Kein Anzeichen für Zwangsarbeit, sondern eine weitere Vorsichtsmaßnahme, um Arbeiter an kritischen Stellen der Produktion zu erden und statische Entladungen zu verhindern.

Chips kommen zu Hunderten auf großen Filmrollen
Schnell durchlaufen die Platinen, die wir zuvor erblickt haben, die Produktionsstraßen der Fabrik. Mit Hightech-Maschinen, die zum großen Teil aus Europa stammen, werden die Chips auf die Platinen aufgebracht. Die Chips – teils stecknadel-, teils fingernagelgroß – kommen auf einer Art Filmrolle in die Maschinen. Zu Hunderten auf Plastikbändern befestigt, die von der Rolle in die Maschinen abgezogen werden, kommt jedes Bauteil maschinell an die vorgesehene Stelle der Platine.

Nur bei größeren Chips wird von Mitarbeitern gelötet oder Wärmeleitmaterial aufgebracht, das meiste läuft automatisch – selbst Mozart abspielende Roboter für den Transport der Elektronik gibt es in Huaweis Mega-Fabrik. Die Musik soll Zusammenstöße zwischen den auf Bodenmarkierungen durch die Hallen rollenden Robotern und den Arbeitern verhindern, wird uns erklärt.

Dutzende Produktionsstraßen, wie sie auch in österreichischen Fabriken stehen können, füllen die mit PVC-Boden ausgelegten Hallen. Gebaut werden nicht etwa Handys oder andere Verbraucher-Elektronik, sondern Serverschränke für Mobilfunker. Auf die Frage, wo denn die Handys gefertigt werden, erhalten wir als Antwort: "Outsourcing." Sie würden zu großen Teilen bei Auftragsfertigern wie Foxconn gebaut, nur verpackt werde dann bei Huawei.

Foxconn-Fabrik nebenan durch Erdwälle abgeschirmt
Eine große Foxconn-Fabrik stünde gleich am Nachbargrundstück. Tausende Mitarbeiter sollen dort beschäftigt sein, Besucher sind unerwünscht. Das brauchen die Betreiber nicht einmal mitzuteilen: Die meterhohen Erdwälle, durch welche die Fabrik vor neugierigen Blicken abgeschirmt wird, sprechen Bände.

Nur einzelne Details der Gebäude sind beim Vorbeifahren am Hunderte Meter langen Foxconn-Komplex zu sehen. Keine Grünflächen und Bäume wie bei Huawei. Und keine wenige Jahre alten Fabrikgebäude wie beim chinesischen Nachbarn. Stattdessen Beton und Fassaden, die ihre besten Tage schon hinter sich haben.

Foxconn-Werke sorgen für Negativschlagzeilen
Wie es im Inneren aussieht, lässt sich nur erahnen. Berichte über die Arbeitsbedingungen bei Foxconn und anderen Auftragsfertigern gab es genug: Kinderarbeit, Selbstmordwellen, armselige Unterkünfte, massive Überstundenbelastung und gewalttätige Proteste sind nur ein Auszug aus der Chronologie des Elends (siehe Infobox).

Selbst wenn Foxconn, wie mehrfach beteuert, bei den Arbeitsbedingungen nachgebessert hat: Die Liste der in der Vergangenheit aufgedeckten Missstände ist lang. Und das Bild der mit Erdwällen abgeschirmte Mega-Fabrik lässt nicht unbedingt den Eindruck entstehen, dass dort alles mit rechten Dingen zugeht.

Frohe und traurige Smileys in der Huawei-Fabrik
Wenig zu verbergen haben die Mitarbeiter in der topmodernen Huawei-Anlage nebenan. Beim Rundgang passieren wir eine große Tafel, auf der jeder Mitarbeiter sein eigenes Kärtchen hat. Die Kärtchen enthalten eine Weinrebe mit 31 Trauben und einen Smiley – entweder gut, neutral oder schlecht gelaunt.

Auf Anfrage wird uns erklärt, was es mit den Kärtchen auf sich hat: Durch farbige Markierung der Trauben vergibt der Vorarbeiter Lob und Tadel, einmal im Jahr werden besonders engagierte Mitarbeiter geehrt. Und dank Smiley weiß jeder Arbeiter, wie es im Inneren des Kollegen gerade aussieht. Klebt jemand den traurigen Smiley auf die Tafel, wird er von den Kollegen, die sich in der Früh schon zum gemeinsamen Morgensport im Werk treffen, aufgemuntert.

Starker Zusammenhalt in der Belegschaft
Der Zusammenhalt unter den Arbeitern ist stark. Kaum jemand von ihnen ist in Shenzhen geboren, die allermeisten stammen aus anderen Regionen und sind auf der Suche nach einem besseren Leben in die Hightech-Metropole gezogen. Verwandte oder Jugendfreunde haben die wenigsten hier, Freundschaften zwischen Arbeitskollegen sind der Ersatz.

Bei gemeinsamen Veranstaltungen – das Werk hat sogar eine eigene Fußballmannschaft – und nach Dienstschluss werden die Kontakte gepflegt. Und in den Pausen, welche die im Schnitt gerade einmal 26 Jahre alten Mitarbeiter entweder in einem durch mannshohe Trennwände von der restlichen Fabrik abgetrennten Pausenraum und Besprechungszimmer mit blauen Plastikstühlen verbringen oder bei einer Zigarette vor den Fabrikstoren.

Huawei-Mitarbeiter loben Arbeitssituation
Alles bestens also? Bei Gesprächen mit Mitarbeitern loben diese jedenfalls ihre Arbeitssituation. Huawei kümmere sich gut um seine Belegschaft, beteuert ein junger Marketing-Mitarbeiter. Großkantinen, in denen die Belegschaft ausgespeist wird und zum Teil auch ihren Mittagsschlaf hält, dienen der Versorgung der Arbeiter.

Neue Mitarbeiter können zwei Jahre lang günstig in großen, mit Sport- und Freizeiteinrichtungen ausgestatteten, Wohnanlagen des Konzerns unterkommen.

Eine firmeneigene Fortbildungs-Uni stehe zur Verfügung, um in der Karriereleiter nach oben zu kommen. Und in der Mitte eines der weitläufigen Huawei-Grundstücke in Shenzhen lade sogar ein künstlicher See zum Verweilen ein. Dazu komme ein – trotz hohem Arbeitspensum – für chinesische Verhältnisse recht faires Gehalt inklusive Sozialleistungen.

Sind chinesische Konzerne fairer als fremde?
Nach dem Gespräch mit dem 25-jährigen Huawei-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, fragen wir uns: Sind die Arbeitsbedingungen in China am Ende gar nicht so schlecht, wie immer wieder dargestellt wird? In der Vergangenheit aufgetauchte Bilder von Hardware-Sweatshops, in denen arme Teufel für einen Hungerlohn fast rund um die Uhr schuften müssen, sprechen dagegen. Und auch die abgeschottete Foxconn-Fabrik am Nachbargrundstück.

Vielmehr drängt sich uns der Gedanke auf, dass die Bedingungen, über die beispielsweise immer wieder im Zusammenhang mit Auftragsfertigern wie Foxconn berichtet wird, auch in China nicht alltäglich sind. Eine mögliche Erklärung wäre, dass Huawei ein chinesisches Unternehmen ist und heimische Unternehmen ihren Mitarbeitern in China bessere Arbeitsbedingungen bieten als beispielsweise im Auftrag großer IT-Konzerne operierende Elektronikfertiger mit Firmensitz im Ausland.

Eine andere, dass uns Huawei beim Besuch in Shenzhen vor allem seine neueren und schöneren Niederlassungen und Einrichtungen gezeigt hat und diese nicht unbedingt repräsentativ für ganz Shenzhen sein müssen.

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