Wiener Forscher:

Stammzellen hungern sich zu Tode

Wissenschaft
14.08.2014 11:07
Stammzellen setzen sich selbst auf Diät und hungern sich zu Tode, wenn sie nicht mehr gebraucht werden. Das haben Wissenschaftler des Instituts für Molekulare Biotechnologie (IMBA) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften entdeckt. Reguliert wird das durch den Stoffwechsel dieser Zellen.

Die Wissenschaftler um Jürgen Knobllich, Vizechef des IMBA, publizieren ihre neuen Erkenntnisse in der Facbhzeitschrift "Cell". Der Hintergrund: In jedem tierischen Embryo sorgen Stammzellen für den Aufbau von Gewebe und Organen, für Wachstum und Regeneration. Irgendwann aber haben sie ihren Dienst getan und müssen verschwinden. In der Fliege verschwinden sie komplett, bei Säugetieren und Mensch bleiben einige wenige übrig. Bleiben allerdings unnötige Stammzellen zurück, können sich aus ihnen eventuell bösartige Tumoren entwickeln.

Solche Stammzelltumoren werden auch bei Säuglingen und Kleinkindern beobachtet, wo sie unter anderem im Gehirn auftreten und trotz aggressiver Therapien kaum heilbar sind. Diese sogenannten rhabdoiden Tumoren sind selten, dadurch aber auch noch wenig erforscht. 80 Prozent der Kleinkinder mit einem solchen Gehirntumor versterben innerhalb von zwei Jahren nach der Diagnose.

Knoblich und sein Team haben jetzt einen Mechanismus entdeckt, der dafür sorgt, dass sich Stammzellen nach der Organ- und Gewebeentwicklung in normale Zellen weiterverwandeln und ihr Stammzelldasein ablegen. Die Stammzelle teilt sich in der Embryonalentwicklung asymmetrisch. Sie teilt sich in eine große Zelle, die Stammzelle bleibt, und eine kleinere Zelle, die sich spezialisiert, etwa zu einer Nervenzelle. Aus den Nervenzellen wird auch das Gehirn aufgebaut. Die Stammzelle hat bei diesem Teilungsprozess an Substanz verloren und wächst wieder zu ihrer ursprünglichen Größe nach, bevor die nächste Teilung stattfindet.

Stammzellen wachsen nach Teilung nicht mehr nach
Sind schließlich genug Nervenzellen vorhanden und die Stammzelle wird nicht mehr gebraucht, muss sie verschwinden. Die IMBA-Forscherin Catarina Homem hat an Fruchtfliegen (Drosophila melanogaster) den dafür verantwortlichen Mechanismus identifiziert: "Die Stammzellen wachsen nach der Teilung einfach nicht mehr nach. Dadurch werden sie nach jeder Teilung kleiner, so lange, bis eine asymmetrische Teilung nicht mehr möglich ist und als letzter Schritt eine symmetrische Teilung in zwei Nervenzellen stattfindet. Die Stammzelle ist somit verschwunden."

Die zweite völlig neue Erkenntnis ist, dass offensichtlich der Stoffwechsel der Zelle darüber entscheidet, in welche Richtung sich die Zelle entwickelt. Steroidhormone (ähnliche wie Kortison) steuern, ob die Zelle mithilfe von Sauerstoff ihren Zucker komplett verbrennt oder ob sie ohne Sauerstoff den Zucker nicht komplett abbaut, sondern bestimmte Bruchstücke zurückbehält. Aus diesen werden später neue Fette oder Aminosäuren aufgebaut, die für Wachstum benötigt werden. Wird wie bei der ersten Variante der Zucker komplett verbrannt, gehen der Zelle nach einiger Zeit die Bausteine aus - sie kann nicht wachsen.

Zelle setzt sich auf Diät
Wenn die Stammzelle verschwinden soll, ist die erste Variante des Stoffwechsels unbedingt notwendig. Die Zelle setzt sich quasi selbst auf Diät und verbrennt ihren Zucker so gründlich, dass sie sich nach den Teilungsprozessen nicht mehr zur ursprünglichen Größe regenerieren kann. Somit wird sie immer kleiner, bis schlussendlich nur noch eine letzte symmetrische Teilung möglich ist.

Der zweite Stoffwechselweg, bei dem Zucker unter Sauerstoffausschluss zu Laktat vergärt wird, ist übrigens jener, den auch Tumorzellen benötigen, um sich entwickeln zu können. "Das Überraschende an unserer Arbeit ist, wie stark der Stoffwechsel das Schicksal einer Zelle beeinflussen kann", erläuterte Knoblich die Erkenntnis der vorliegenden Studie.

"Im Allgemeinen glaubt man, dass Zellen ein bestimmtes Entwicklungsprogramm durchlaufen und ihren Stoffwechsel daran angleichen. Unsere Arbeit zeigt aber, dass es umgekehrt ist und der Stoffwechsel selbst das Zellschicksal steuert. Dies wirft auch ein völlig neues Licht auf die Rolle der Ernährung für unseren Körper, einschließlich der Tumorentstehung", fügte er hinzu. Jetzt soll geklärt werden, ob es diesen Mechanismus auch bei Säugetieren oder beim Menschen gibt.

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