"Krone"-Interview

Samy Deluxe: “Es fehlt heute an männlichen Idolen”

Musik
30.06.2014 23:09
Samy Deluxe gehört seit fast 20 Jahren zu den intelligentesten und reflektiertesten Köpfen der deutschen Rap-Welt. Einen Mann wie ihn kann auch ein Auftritt beim Nova Rock nicht erschüttern - dort wusste er sogar hartgesottene Rocker auf seine Seite zu spielen. Im "Krone"-Interview sprach der Hamburger nicht nur über die doppelbödige Ironie seines neuen Albums "Männlich", sondern auch über das ewige Problem des Alltagsrassismus und warum ein Bundeskanzler im Prinzip wertlos ist.
(Bild: kmm)

"Krone": Samy, du warst unlängst am Nova Rock zu Gast und mit deiner Art von Musik eher ungewöhnlich aufgestellt. Ist man vor so einer Fankulisse nervöser als sonst?
Samy Deluxe: Ich bin seit etwa 20 Jahren auf der Bühne und habe nicht immer nur Hip-Hop-Festivals gespielt. Darunter waren Reggae-, Rock- oder auch Stadtfeste – zum Glück noch keine Schuhladeneröffnungen. Nervös bin ich also nicht mehr. Ich bin auch sehr kompatibel mit der Art, wie ich meine Sets zusammenstelle. Beim Nova Rock gab es keine Balladen, Experimente oder langsame Erzähldinger, wo die Leute groß mitdenken müssen, sondern einfach Vollgas auf die Zwölf. Die Leute sind von Anfang an abgegangen und am Ende waren es noch viel mehr. Ich liebe dieses Gefühl, noch Publikum erspielen zu können.

"Krone": Vollgas geben klingt sehr männlich – "Männlich" ist auch der Titel deines aktuellen Albums. Wie viel Ironie steckt hinter dem ganzen Projekt?
Deluxe: Wenn ein Mensch zu 99 Prozent aus Wasser bestehen würde, dann würde ich in dieser Größenordnung aus Ironie und THC bestehen. Ich nehme fast nichts, was ich mache, so richtig ernst. Ich nehme schon die Kunstform ernst – also ein Text muss vom Flow und dem Inhalt her gut sein, zudem müssen Reime und Beats passen. Ich habe schon viele Qualitätsmaßstäbe, aber wenn ich über witzige oder auch ernste Themen rede, sind mir Ironie, Sarkasmus und Zynismus einfach unheimlich wichtig. Wenn man als Typ mitkriegt, wie Leute sind, denken und leben, wenn man das genau beobachtet, wie es den Armen und Reichen geht, dann kriegt man schon ein Gespür dafür. Ich habe das seltene Privileg, mich in all diesen verschiedenen Welten bewegen zu können. Die beste Art, mit dem Leben umzugehen, sind Humor und Musik – H&M eben.

"Krone": Findest du, dass Männlichkeit an sich in unserer Gesellschaft immer noch zu stark ausgeprägt ist?
Deluxe: Ich finde, wenn du Männlichkeit oder Weiblichkeit in einem Satz definieren möchtest, bist du wahrscheinlich ein sehr ungebildeter, intoleranter Mensch. Jede Kultur, jede Religion und jedes Geschlecht hat so viele Facetten, sodass man niemals die eine pauschale Antwort finden kann. Das Problem mit der Männlichkeit in unserer Gesellschaft ist nicht nur das Verfangensein in alten Klischees, sondern eher das Problem, dass sich niemals etwas Anstrebenswertes, Neues gebildet hat. Früher war die Rolle des Mannes ganz klar, heute sind Frauen so weit zu sagen, dass sie nach der Schule nicht gleich direkt ein Baby kriegen wollen. Sie entscheiden sich für Karrieren oder kriegen Karriere und Mutterdasein unter einen Hut. Ich finde, dass Männer dadurch heute sehr verwirrt sind und es an männlichen Vorbildern fehlt, die ehrlich mit Männlichkeit umgehen.

Ich habe auf dem Album auch versucht, die dunkle Seite zu erforschen. Das Fremdgehen zum Beispiel. Ich bin so ein Typ, der in der Theorie fast alles versteht, aber in der Praxis sieht es dann ganz anders aus. Männer sind in vielen Widersprüchen verfangen und es gibt mehr Anti-Helden als Helden. Wenn du dir in Deutschland die Schulhöfe anguckst – dort sind Bushido oder Kollegah geile Männer für die Schüler. Ich finde es völlig legitim, dass es Gangsta- und Straßen-Rap gibt und verstehe auch den Humor und Charme dieser Kunstform, aber trotzdem erschreckt mich das. Vor zehn Jahren war ich selbst noch so ein Schulhofthema mit "Weck mich auf". Das war noch etwas, was Leute anders geprägt hat – es war nicht so negativ, bei mir war die Welt nicht scheiße und man musste auch keine Frau schlecht behandeln. Im Gangsta-Rap sind so derbe viele Klischees drin, die mir persönlich nicht gefallen.

"Krone": Gerade der Hip-Hop- und Rap-Bereich ist ja vom "Badass-Gehabe" durchzogen. Musst du dir von Kollegen anhören, dass du jetzt endgültig verweichlichst?
Deluxe: Nein, gar nicht so. Die Kollegen verstehen ja, was ich mache. Es ist heute aber schon sehr wichtig, was du in erster Instanz rausbringst – das wird wahrgenommen. Viele Leute wollen auch nur mehr über die dummen Klischees reden, deshalb habe ich in vielen Interviews auch nur mehr über Blödsinn geredet, weil mir nur dumme Fragen gestellt wurden. Ich kam also gar nicht richtig zum Kern der Sache. Das nächste Album werde ich also sicher nicht "Männlich 2" oder "Weiblich" nennen, damit ich klar deklarieren kann, dass es um die Musik und nicht um das Thema geht. Am Ende ist es doch egal, wie ich mein Album nenne – die Lieder müssen geil sein. Viele Leute haben sich aber zu stark am Titel festgeklammert und sich ihre Meinung danach gebildet – so wie jetzt auch bei Jan Delay. Viele sagen ja, es gefällt ihnen nicht, weil er es Rock nennt.

Ich hatte auch ein bisschen das Gefühl, dass die Leute mich nicht verstehen und viele Leute von der Presse es sich einfach machen wollen. Da gab es auch Journalisten, die sagten, ich trage mein Haar in einem Dutt, und fragten sich, ob das überhaupt noch männlich sei. Darüber hatte ich mir noch nie Gedanken gemacht. Ich habe halt lange Haare und mag weder einen Pferdeschwanz tragen noch die Haare auf der Bühne offen lassen. Man merkt dabei, wie dumm die Journalistenwelt teilweise geworden ist – das gilt natürlich nicht für alle, ganz klar. Ich gehe bei meinen Texten tiefer, und wenn mir bei Interviews gar nicht die Möglichkeit geboten wird, das Tiefere zu erklären, sondern ich immer nur auf Klischees rumreiten muss, versuchen muss, in einem Satz Männlichkeit zu erklären, dann ist das einfach Zeitverschwendung.

"Krone": Was ist denn nun der Kern des Themas, den du in manch anderen Gesprächen nicht offenlegen konntest?
Deluxe: Es gibt im Prinzip keinen Kern und auch keine pauschale Aussage, was Männlichkeit denn nun ist, sondern ich mehr hinterfrage, was es ist, als es zu sagen. Ich rede oft nicht nur aus meiner persönlichen Sicht, sondern beziehe auch andere Schwingungen und Meinungen von Menschen ein. Am Ende ist es trotzdem nur das, was ich meine zu wissen. Ich denke schon, dass ich schlauer bin als viele, aber ich bin sicher nicht so schlau zu denken, ich hätte die ultimative Weisheit gepachtet. Manchmal wird auch für dumme Leute viel verwässert, weil ich so viel Humor und Sarkasmus verwende, den die gar nicht greifen können.

"Krone": Hast du mit vielen Sitten- und Moralwächtern zu tun, die deine Doppelbödigkeit nicht verstehen oder ignorieren wollen?
Deluxe: Ich hatte 2009 auf dem Album "Dis wo ich herkomm" eine Zeile, wo ich über Hitler geredet habe – eigentlich nur über meine Hassliebe zu meiner Heimat Deutschland. Ich dachte mir, Deutschland hat so viele gute Ansätze, ein multikulturelles Land zu sein, aber wir haben halt diesen einen krassen Faktor, dass unsere Vergangenheit das unmöglich macht, Deutschland zu feiern. In einer Zeile habe ich mit Mega-Augenzwinkern von Hitler "Schöne Scheiße, der Typ war doch eigentlich 'n Österreicher, ich frag mich, was das soll, als wäre ich Herbert Grönemeyer" gerappt und meinte damit dieses typisch deutsche Ding, dass wir es einfach den anderen zuschieben sollen. So in der Art von "die Ausländer klauen uns die Arbeitsplätze". Seitdem hasst mich die linke Szene in Deutschland. Früher habe ich in der Roten Flora, das ist ein linkes Kulturzentrum in Hamburg, aufgelegt und war in vielen Reggae- und Hip-Hop-Konzerten. Heute darf ich nicht mehr rein und auch kein Video drehen, weil mich die Leute direkt als Nazi abgestempelt haben.

"Krone": Da ist seitdem aber viel Zeit vergangen, in der du dieses Problem erklären konntest.
Deluxe: Aber ich erkläre es immer in einzelnen Foren, und ob das dann bei den richtigen Leuten ankommt, ist die andere Frage. Wenn ich mich selber mit denen an den Tisch setzen kann, könnte ich das alles rechtfertigen und erklären. Dann würden sie mich auch kennenlernen und vielleicht anders denken. Eigentlich ist mein Fazit für meine Karriere: "Je mehr man sich engagiert, desto mehr kriegt man auf die Fresse.d etwas über dich. Bist du aber so wie ich, dann bekommst du Kritik. Dabei habe ich selbst zwei Vereine und unterstütze Stiftungen und Charity-Projekte. Wenn ich versucht habe, etwas Gutes zu machen, habe ich mehr Kritik bekommen als für einen Song wie "Grüne Brille", der komplett das Kiffen verherrlicht. Das fanden aber alle witzig. Alle anderen Sachen dürfte ich nicht sagen.

"Krone": Warum ist es in Österreich oder auch Deutschland bei vielen Menschen oftmals so, dass das Abschieben eines Asylwerbers als weniger schlimm wahrgenommen wird als jemand, der kifft?
Deluxe: Je mehr man hat, umso mehr kann man verlieren. Deshalb haben viel mehr Leute in den westlichen Ländern ein Problem mit diesem Fremdenthema. Ich habe jetzt als erwachsener, 1,97 m großer und 115 kg schwerer Mann mit breiten Schultern nicht so viele Leute, die mich rassistisch beleidigen. Ich sehe aber auch, wie mich alte deutsche Menschen angucken, wenn ich in meinem Auto fahre. Die denken sich, ich könne mir das Auto bestimmt nur leisten, weil ich Drogen deale. Das ist etwas, was nie weggehen wird. Gerade in Zeiten, wo es der Wirtschaft schlecht geht, kann das von den Medien so schön benutzt werden. Man kann den Leuten damit Angst machen. Das ist einfach ein westliches Problem. In anderen Ländern, wo die Menschen ohnehin wenig bis nichts haben, freuen sie sich, wenn sie ein fremdes Gesicht sehen oder jemand einen anderen Einfluss reinbringt.

"Krone": Wärst du nicht prädestiniert dazu, einmal in die Politik zu gehen?
Deluxe: Ja, aber ich wäre auch prädestiniert dazu, einen halben Selbstmord zu begehen, weil man als Politiker nichts ändern kann. Die sind Marionetten von Wirtschaftstreibenden und Bankleuten – vielleicht sogar von irgendwelchen Illuminaten, ich weiß es nicht (lacht). Ich bin aber sicher, dass jeder Mensch, der jetzt gerade überlegt, in die Politik zu gehen, auf der einen Seite etwas wirklich Gutes tut, auf der anderen Seite, seinen grenzenlosen Idealismus, den Wunsch, die Welt zu verbessern, sicher schnell begraben kann. Ich stehe eher auf karitative Projekte, wo ich einfach einen Workshop in der Schule mit Kids mache, die Probleme haben. Wenn von den 50 Kindern dann eines etwas gecheckt und plötzlich Kunst oder Musik entdeckt, sein Leben bereichert, dann habe ich meinen Teil getan. Ich sehe mich eher als Botschafter der Kunst und Musik und nicht als jemand, der sich selbst das Leben damit kaputtmacht, etwas verändern zu wollen, was sich gar nicht verändern lässt. Wenn ich morgen 100 Trillionen Dollar hätte, könnte ich die Welt eher verändern, als wenn ich Bundeskanzler wäre.

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