Nach Fall Reichelt

Schmerzmittel auf Dopingliste? “Das wird heikel”

Sport
06.02.2014 11:43
Hannes Reichelts bittersüßer Triumph auf der Streif hat die Diskussionen neu befeuert: Sollen (auch leichte) Schmerzmittel auf die Dopingliste gesetzt werden? "Dann wird's heikel", sagt Sportmediziner Robert Lugscheider. "Wo zieht man dann die Grenze?"

Steffen Hofmann brennt auf das Wiener Derby am Wochenende. "Wir wollen daheim endlich wieder gewinnen", bläst er im Plausch mit krone.at zum Kampf gegen die lähmende Heimserie (seit vier Jahren ohne Derby-Sieg vor eigenem Publikum). Die Vorfreude auf den Clash mit dem violetten Erzrivalen wird von einem erfreulichen Umstand zusätzlich genährt: Der Rapid-Kapitän ist völlig schmerzfrei, die Vorbereitung verlief gut, die Wehwehchen sind verflogen.

Eine Seltenheit! Noch im Herbst sprach er im krone.tv-Interview von einem "Unlauf - ich hab immer irgendwo Probleme". Und war damit verhältnismäßig noch gut bedient. 2010 stand nämlich gar das Karriereende im Raum. Eine Schambeinentzündung quälte den "Fußballgott" so sehr, dass er morgens oft kaum aus dem Bett kam. Spielen mit Schmerzmitteln - Usus.

Bei Kröll geht ohne Schmerzmittel nix
Immer wieder gestehen Spitzensportler ein inniges "Gspusi" mit Voltaren und Co. Für Speed-Koloss Klaus Kröll wird ohne seine obligaten zwei Rationen Schmerzmittel pro Tag selbst das bloße Gehen zur Qual. Bei Austrialiens früherem Schwimm-Hero Ian Thorpe führte der fatale Mix aus Schmerzmitteln gegen seine Schulterverletzung und Antidepressiva gar zu einer Sinnesverwirrung.

Tragischer Held Reichelt
Und zuletzt die herzzerreißende Story um Kitzbühel-Triumphator Hannes Reichelt: "Entweder du fährst da runter und gewinnst, oder du packst zusammen und gehst nach Hause", gab ihm ÖSV-Cheftrainer Mathias Berthold mit auf die Reise. Reichelt, eigentlich "Verfechter gegen Schmerzmittel", entschied sich trotz heftiger Rückenschmerzen für Variante eins, freilich nicht ohne vorher eine schmerzhemmende Pille geschluckt zu haben. Und bezahlte seinen historischen Coup teuer: Bandscheibenvorfall, Aus für Olympia.

Klassiker
Für Mediziner ist der Fall Reichelt ein Klassiker. "Jedes Schmerzmittel wirkt zentral, also im Gehirn", sagt Robert Lugscheider, ehemals Mannschaftsarzt bei Rapid: "Dadurch wird das Schmerzempfinden beim Sportler verringert und er läuft Gefahr, sich noch mehr wehzutun. Das ist im besagten Fall passiert."

Und das wiederum ruft Kritiker auf den Plan. Anti-Doping-Guru Hans Holdhaus und Österreichs erfolgreichster Olympionike Felix Gottwald dachten Anfang der Woche via "Ö1" laut über eine Aufnahme von Schmerzmitteln in die Dopingliste nach, weil es nicht Sinn des Sports sein kann, den Körper zu ruinieren. "Jede Manipulation – wie etwa durch Schmerzmittel – betäubt die Fähigkeit, die Signale des Körpers wahrzunehmen. Damit beginnen die Probleme. Abgesehen davon: Spitzenathleten gelten als Identifikationsfiguren für gesundes Körperbewusstsein", schießt Gottwald via Aussendung nach: "Welche Wirkung hat es, wenn der Eindruck entsteht, die tägliche Pillendosis gegen Gelenks- und Muskelschmerzen gehöre zum Spitzensport wie das Aufwärmen? Keine gute!"

"Richtig starke Schmerzmittel stehen ja ohnehin bereits auf der Dopingliste", sagt Lugscheider gegenüber krone.at und ergänzt: "Die Frage ist jetzt, wie weit man runter geht und wo man die Grenze zieht. Das wird heikel." Er spielt etwa auf den Fall Peter Stöger an, dessen Asthma-Medikament einst auf der Dopingliste stand.

"Durchaus gerechtfertigt"
Pauschal verteufeln will Lugscheider Schmerzmittel nicht. Er verabreiche "durchaus" derartige Präparate. "Gerade in akuten Situationen sind sie ein Traum. Natürlich lasse ich einen Fußballer mit einem angerissenen oder gänzlich gerissenen Band nicht spielen, das ist ja keine Frage. Aber wenn er einen Schlag abbekommen hat, ist der Einsatz von Schmerzmittel durchaus gerechtfertigt und gerade bei Ballsportarten auch üblich."

Der Theorie, wonach die Einnahme von Schmerzmitteln eine Wettbewerbsverzerrung nach sich zieht, kann Lugscheider nichts abgewinnen: "Jedes Schmerzmittel führt zu einer leichten Dämpfung, zu einer leichten Benebelung der Sinne. Das hat gerade bei Sportarten, in denen Technik und Reaktionsschnelligkeit eine große Rolle spielen, immer ein kleiner Nachteil. Besser wird man durch die Einnahme von Schmerzmitteln also sicher nicht."

Selbstverantwortung
Außerdem "sind wir ja nicht im Kindergarten", appelliert er an die Selbstverantwortung der Sportler und bringt eine Anekdote aus Rapid-Zeiten: "Es war vor dem Europacup-Halbfinale. Trainer Dokupil hat einem Spieler (den Namen will Lugscheider nicht nennen) freigestellt, ob er trotz Muskelzerrung spielen, sich also fitspritzen lassen will. Der Spieler hat zu mir gesagt, dass er unbedingt spielen will. Ich habe das akzeptiert. Nach dem Spiel war der Muskel schwerer lädiert, sodass der Spieler wochenlang pausieren musste."

Kein "Vollhosenscheißer"
Eine Pause steht jetzt auch für Hannes Reichelt auf dem Programm. Das ist der Preis, den er zahlen musste, um nicht als "Vollhosenscheißer" dazustehen. Kurz vor dem Start in Kitzbühel habe er nämlich noch überlegt, das Starthaus zu verlassen. Vielleicht hätte er dann bald "Olympiasieger" statt "Kitzbühel-Sieger" auf seiner Visitenkarte stehen.

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(Bild: KMM)



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