Zweijähriger Bub

Kambodscha: Massen pilgern zu “Mini-Wunderheiler”

Ausland
30.10.2013 12:09
In der schwülen Hitze sitzen und liegen sie zu Hunderten. Wer kann, nutzt den Schatten der Bäume. Ein fieberndes Mädchen, das unter einer dicken Decke bibbert, eine alte Frau, der ein Helfer Wasser in den Mund träufelt. Ein alter Mann sitzt reglos im Rollstuhl, Mütter wiegen kranke Kinder im Schoß. Alle wollen zu dem Wunderheiler. Sagenhafte Geschichten über seine Zauberkräfte haben sich wie ein Lauffeuer in Kambodscha verbreitet. Kong Keng (Bild links) heißt er - und ist gerade mal zwei Jahre alt.

Im Dorf Khnor rund drei Autostunden östlich der Hauptstadt Phnom Penh ist seit vergangener Woche die Hölle los. Die Verzweifelten kommen in Scharen, die meisten stundenlang zu Fuß, andere auf Mopeds oder auf der Ladefläche von Kleinlastern, ihre kranken und behinderten Verwandten im Schlepptau. Der Bub könne Lahme zum Gehen bringen, Blinde zum Sehen und Taube zum Hören, raunen sie sich zu.

"Wir haben seine übernatürlichen Kräfte entdeckt, als sein Großvater krank wurde und er ihn geheilt hat", sagt seine Mutter Sueun. Wie, erklärt sie nicht. Die Familie verlangt 4.000 Riel, rund 70 Cent, von jedem, der seinen Segen will. Das entspricht der Summe, von der jeder Dritte in Kambodscha einen ganzen Tag leben muss.

Bub ist oft genervt
Angesichts der vielen Menschen sei ihr Bub aber oft genervt, sagt seine Mutter, eine Bäuerin. Deshalb bekommen jetzt viele der Weithergereisten für das Geld oft nur ein paar Blätter in die Hand gedrückt. Die habe der Bub gesegnet, die solle man sich zu Hause aufbrühen, sagt die Familie. 500 bis 700 Menschen kaufen jeden Tag ein Blättersträußchen, schätzt Dorfvorsteher Sou Hen.

Im Dorf herrscht Feststimmung. Einwohner haben schnell Stände aufgebaut und verkaufen Enteneier, Mangos und Kokosnüsse. Einer bietet billiges Plastikspielzeug feil - das sei doch ein nettes Geschenk für den Wunderbuben, lockt er. Das Geschäft läuft blendend.

Langer Weg zur "Heilung"
Der 43-jährige Kat They ist ein paar Stunden durch den Wald hierher gewandert. Er will die Blätter für seinen 14-jährigen Sohn, der Polio hat. Er wartet seit Tagen. "Ich habe im Radio gehört, dass dieser Bub Wunderkräfte hat", sagt er. "Wir waren bei Ärzten, aber die sagen, sie können nichts für meinen Sohn tun."

Neben ihm sitzt Cheth Kimly und wischt den Schweiß von der Stirn ihres erwachsenen Sohnes. Er trägt eine Gesichtsmaske über Mund und Nase und ist gelähmt. "Ich habe gehört, der Wunderjunge legt etwas auf die Beine, und dann können Gelähmte wieder gehen", sagt sie. Jeder hier hat von den wundersamen Heilungen gehört, nur Geheilte sind weit und breit nicht zu finden.

"Er ist unsere letzte Hoffnung"
Fürchten sie nicht, einem Riesenschwindel aufzusitzen? Die Frage überrascht die Leute. "Er ist unsere letzte Hoffnung", sagen sie. "Natürlich ist dies kein Betrug", beteuert der Dorfvorsteher. So viele Menschen seien schon geheilt davongezogen. Der Mini-Wunderheiler sitzt jedenfalls an diesem Tag etwas lustlos auf dem Schoß seiner Mutter. Sie sind auf den Beifahrersitz eines Autos geflüchtet. Unbeirrt von dem ganzen Hokuspokus knabbert der Kleine an einem Stück Obst. Die Mutter lacht. Verwandte sammeln das Geld in Krügen ein.

Kambodschas Gesundheitswesen gibt nur sehr wenigen Menschen Hoffnung auf Heilung. Die Krankenhäuser sind chronisch unterfinanziert, Ärzte verdienen einen Hungerlohn. Viele verlangen unter dem Tisch Geld, ehe sie Patienten auch nur zur Sprechstunde vorlassen. Das Geld haben viele nicht. Die Elite fliegt zur Behandlung nach Singapur oder Bangkok. Den armen Leuten bleibt aber oft nichts anderes übrig, als zu traditionellen Heilern zu gehen – oder an Wunder zu glauben.

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