"Krone" vor Ort

Lampedusa: Wo das Meer nach Tod schmeckt

Ausland
18.10.2013 17:00
Eine Insel im Ausnahmezustand – oder doch nur trauriger Alltag? Die Dramen vor Lampedusa haben jedenfalls Spuren hinterlassen. Ein überfälliger Weckruf. Denn bisher verhallten die Hilfeschreie von dem so idyllischen Eiland ungehört.

Über Lampedusa zieht ein Sturm auf. Der Fährbetrieb ist eingestellt, der Wellengang zu stark. Vor der Küste patrouilliert eine Fregatte der Marine in der Dämmerung, ein Hubschrauber steigt auf. Binnen Minuten wird es finster. Da draußen könnten sie sein – trotz der stürmischen See. Banges Warten – auf Flüchtlinge aus Eritrea, Syrien, Ghana, Nigeria. Zusammengepfercht auf desolaten Holzbooten, auf Nussschalen. Seit Tagen unterwegs, ohne Wasser, unter widrigsten hygienischen Bedingungen. Doch in jener Nacht ist es ruhig. Verschnaufpause für die Einsatzkräfte, die in den vergangenen Wochen unfassbares Leid miterleben mussten.

Mindestens 500 Menschen verloren seit Anfang Oktober auf der Überfahrt in eine vermeintlich bessere Welt ihr Leben, bis zu 20.000 sollen in den letzten 15 Jahren die Reise nicht überlebt haben. Und trotzdem ist Lampedusa, die 5.800-Seelen-Insel, lediglich einer von vielen Schauplätzen der Flüchtlingstragödie. Das Drama vom 3. Oktober mit mehr als 350 Toten rückte das kleine Eiland aber einmal mehr ins traurige Rampenlicht.

"Überall Leichen, dieses Bild vergisst du nie!"
Simone d'Ippolito ist das, was man als "coolen Hund" bezeichnet. Der 47-jährige Insulaner betreibt im Hafen eine Tauchschule. An jenem verhängnisvollen Morgen war er mit einer Gruppe unterwegs. Er brachte seine Klienten zurück ans Ufer und begab sich zur Unglücksstelle, nur 500 Meter von der Küste entfernt. Es war zu spät. Dutzende Leichen trieben an der Oberfläche, andere hatte das Meer samt Boot verschlungen.

Gemeinsam mit Küstenwache und Militär fischte er die leblosen Körper aus dem Wasser. "Wenn es Männer sind, kannst du es noch irgendwie ertragen. Aber hier waren Hochschwangere und Kinder dabei..." Simone wischt sich unter seiner Sonnenbrille eine Träne ab. "Wir sind die 50 Meter zum Wrack getaucht. Überall Leichen, dieses Bild vergisst du nie."

Lager komplett überlastet
Das Lager auf Lampedusa ist für 250 Flüchtlinge ausgerichtet, derzeit fristen hier 1.000 Menschen unter unwürdigen Bedingungen ihr Dasein. Ausgänge sind offiziell verboten, doch durch Löcher im Zaun verlassen die Einwanderer ihr überfülltes Camp. Sie spazieren in Gruppen durch den Ort, versuchen telefonisch ihre Angehörigen zu erreichen, um ihnen zu sagen: "Ich lebe noch."

Insulaner haben das Herz am rechten Fleck
Die Spaziergänge werden von allen Seiten toleriert, verschwinden kann von der Insel niemand. In einer Bar in der Via Roma manifestiert sich oft ein skurriles Bild: Soldaten, Polizisten, Küstenwache und Flüchtlinge (auf ihren illegalen Ausflügen) sitzen Tisch an Tisch in der Herbstsonne bei einem Cappuccino. Die Atmosphäre ist friedlich. Gegen die Migranten hegen die Einheimischen keinen Groll – ein Inselvolk eben. Mehr schon gegenüber Rom und der EU.

Jerry Omo (31) sitzt auf einer Bank in der Fußgängerzone. Der gelernte Steinmetz strandete von drei Tagen mit 70 anderen Flüchtlingen auf der Insel. Er hatte Glück. Sein Boot wurde von zwei Patrouillen rechtzeitig entdeckt und sicher in den Hafen eskortiert. Umgerechnet 600 Euro zahlte der Nigerianer für die Einschleusung in die EU, ein "Schnäppchen". Andere bezahlen Tausende Euro – und viele bezahlen mit ihrem Leben.

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