Massiv abhängig

“Zweischneidiges Schwert”: Haiti und seine Helfer

Ausland
06.10.2013 18:30
Haiti dürfte einer der Staaten mit der höchsten Dichte an Nichtregierungsorganisationen weltweit sein. Moderne Solaranlagen in der Hauptstadt Port-au-Prince sowie aufwendige Infrastrukturprojekte sind zu sehen - an Geld und gutem Willen mangelt es nicht. Trotzdem ist und bleibt Haiti eines der ärmsten Länder der Welt. Der gewaltige Hilfsapparat von etwa 250 aktiven Entwicklungshilfsorganisationen schafft Abhängigkeiten, die den Staat überflüssig machen. Ein ganzes Land werde bevormundet, glauben viele Experten.

Seit 2004 sorgt der UN-Stabilisierungseinsatz Minustah mit 8.000 Blauhelmen zusätzlich zu rund 12.000 haitianischen Polizisten für Ordnung in der seit Jahrzehnten gebeutelten Krisenrepublik. Ohne sie ginge es nicht. Auch die mehr als 320.000 Flüchtlinge, die bald vier Jahre nach dem verheerenden Erdbeben noch in Notlagern wohnen, sind weiter auf Hilfe angewiesen.

Zweifellos hätten die Hilfsorganisationen einen wichtigen Beitrag in Haiti geleistet, glaubt Marc Desir. Der 47-jährige haitianische Universitätsdekan war dabei, als die deutsche Welthungerhilfe im August eine Studie vorstellte, die neue Wege für die Stärkung der haitianischen Zivilgesellschaft ausloten soll. Dort äußerte Desir aber auch seine Bedenken.

"Ein zweischneidiges Schwert"
Die Arbeit der ausländischen Organisationen sei "ein zweischneidiges Schwert", sagte er. Denn sie demobilisiere auch den Staat. "Wir bleiben in den Händen der Nichtregierungsorganisationen, was sehr schlecht ist", zog er Bilanz.

Man müsse unterscheiden, erklärte Anja Kühn vom Seminar für Ländliche Entwicklung der Berliner Humboldt-Universität. Nach einer Naturkatastrophe sei die Nothilfe einfach nötig, sagt die Leiterin des zehnköpfigen binationalen Forschungsteams, das die Studie für die Welthungerhilfe erstellen soll. Wie es dann aber gelinge, "aus dieser Nothilfesituation heraus in die entwicklungsorientierte Zusammenarbeit zu gehen, ist eine der großen Fragestellungen im fragilen Kontext", glaubt die Wissenschaftlerin.

Problem auch in Afrika vorhanden
Dass sich zu große Hilfsbereitschaft auch negativ auswirken kann, ist ein Thema, das zuletzt stärker in den Vordergrund gerückt ist. 2009 veröffentlichte der deutsche Diplomat Volker Seitz sein persönliches Fazit nach langjährigem Afrika-Aufenthalt. In dem Buch "Afrika wird armregiert" beschreibt er, wie beispielsweise eine fehlgeleitete Entwicklungshilfe auch die einheimische Agrarproduktion zerstören kann.

Kürzlich beschuldigte der Sohn des US-amerikanischen Starinvestors und Mäzens Warren Buffett, Peter Buffett, unter anderem die gemeinnützigen Stiftungen seines Vaters des "philanthropischen Kolonialismus". Allein in den USA habe die Charity-"Großindustrie" 2012 rund 316 Milliarden US-Dollar ausgegeben, ohne wirklich zur Armutsbekämpfung beizutragen, klagte Peter Buffett im Juli in der "New York Times".

Parallelstrukturen erschaffen
Tausende Hilfsorganisationen waren unmittelbar nach dem Erdbeben vom 12. Jänner 2010 nach Haiti gekommen. Das Land wurde fast überrannt von Hilfsinitiativen, die angesichts des Zusammenbruchs der ohnehin kargen Staatsstrukturen ihren eigenen Apparat schufen. Parallelstrukturen entstanden.

Nun müssten sich die verbliebenen 600 - rund 250 sind laut Regierungsangaben tatsächlich aktiv - einem neuen Rahmen anpassen, findet Bernice Kavanagh, die im Planungsministerium für die Arbeit der Hilfsorganisationen zuständig ist. "Wir versuchen herauszufinden, wie die NGO's ihre Arbeit mit der der Regierung verbinden können", sagt sie.

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