Erstanden aus Ruinen

Die lebenden Toten der Automobilwelt

Motor
02.10.2013 06:00
Saab ist Vergangenheit, Lancia macht es auch nicht mehr lange und Jaguar wird ausgerechnet in Indien zu Grabe getragen? Abgesänge auf Marken hat es in jüngster Zeit häufig gegeben – doch viele der Totgesagten kehren unerwartet zurück, manche feiern neue Erfolge.
(Bild: kmm)

Die Nachricht vom 18. September 2013 ging völlig im Trubel der gerade stattfindenden IAA unter: In Trollhättan hatte man ein neues Auto gebaut, ein einziges zwar nur, aber selbst damit hätte niemand mehr gerechnet. Der Ort Trollhättan war traditionell die Heimat der schwedischen Automarke Saab, doch die segnete nach langem Siechtum im Dezember 2011 scheinbar endgültig das Zeitliche. Nun aber war genau dort ein nagelneues Auto entstanden, und zwar eines mit dem Saab-Markenemblem. Bei dem Einzelstück wird es nicht bleiben: Der 2002 eingeführte Saab 9-3 soll wieder gebaut werden, außerdem soll es mit dessen Blechkleid ab 2014 ein neues Elektrofahrzeug geben.

Hinter dem Überraschungscoup steckt National Electric Vehicle Sweden (NEVS), ein Unternehmen mit chinesischer Beteiligung, das die Reste der Marke Saab verwaltet und zu neuem Leben erwecken will. Im Mittelpunkt der Pläne steht dabei die kommende Elektro-Version des 9-3, die vor allem auf dem chinesischen Markt Erfolge feiern soll – auch weil man den mehr als zehn Jahre alten Saab dort gar nicht kennt, sondern ihn als echte Neuheit wahrnimmt.

"Saab wird tot bleiben"
Allerdings teilt längst nicht jeder Experte die Euphorie, mit der sich NEVS an die Wiederbelebung macht. So wünscht Automobilforscher Professor Ferdinand Dudenhöffer von der Universität der Duisburg-Essen den Machern des Projekts "viel Spaß" bei ihrem Vorhaben. Dass sich das Unternehmen auf wirtschaftlich stabile Beine stellen lässt, daran hegt der Fachmann starke Zweifel. "Saab wird tot bleiben", lautet daher sein Résumé. Andreas Bremer vom IfA-Institut für Automobil-Marktforschung sieht es ähnlich: "Das wird die Marke Saab nicht retten." Vor allem am Erfolg der China-Pläne zweifelt Bremer stark – denn auch dort ist der Trend zum E-Auto merklich ins Stocken geraten.

Selbstverrat macht unglücklich
Deutlich unterschiedlicher sind die Meinungen der Experten in Hinblick auf die vielfach totgesagte Marke Lancia aus dem Fiat-Konzern. Lancia kam zuletzt vor allem dadurch ins Gerede, dass man nach der Ehe der Konzerne Fiat und Chrysler statt eigener Fahrzeuge lieber mit Lancia-Emblem versehene Chrysler-Modelle in die Schaufenster stellte. In der Folge brachte man im Jahr 2012 in Deutschland gerade einmal 2.979 Autos an den Mann.

Ferdinand Dudenhöffer vermutet, dass Fiat die Marke in absehbarer Zeit "rausnehmen" wird. Andreas Bremer gibt Lancia immerhin noch eine Chance – aber nur dann, wenn die Modelle wieder eigenständiger werden. Genau daran arbeitet das Unternehmen nach den Worten von Lancia-Sprecher Markus Hauf. Auch er hält die aktuelle Lage nicht für glücklich. "Aber es gab für Lancia zwei Überlegungen. Entweder man wartet, bis es eigenständig für Lancia entwickelte Modelle gibt. Oder man macht eine Übergangslösung." Wie in jedem Lancia-Showroom ersichtlich, entschied man sich für den zweiten Weg.

Hauf geht davon aus, dass etwa 2015 eine neue Modellgeneration des Spitzenmodells Thema vorgestellt wird. Die teilt sich dann zwar ebenfalls die Plattform mit einem Chrysler-Modell. Allerdings sei das künftige Konzept so ausgelegt, dass auf dieser Basis deutlich unterschiedliche und eigenständigere Modelle aufgebaut werden, so dass Lancia wieder ein eigenes Gesicht bekommt. Auch ein immer wieder angekündigter neuer großer Alfa Romeo wird dann auf dieser Basis erscheinen. Dass Lancia langsam abgewickelt wird, bestreitet Hauf vehement. "Die Marke verkauft in Italien jährlich 80.000 bis 90.000 Autos – es wäre Wahnsinn, Lancia einzustellen."

Erfolgsspur statt Industrieleiche
Worauf Lancia noch einige Jahre warten muss, das hat Opel mittlerweile geschafft: Die Rückkehr vom Status der lebenden Industrie-Leiche auf die Erfolgsspur. Eben noch von den Medien begraben, reiht sich nun eine positive Meldung an die andere. Den Grund dafür sehen die Experten in der neuen Taktik der Konzernmutter General Motors, einzelne Marken regional zu spezialisieren. So kann sich Opel auf europäische Anforderungen ausrichten, muss nicht die Vorstellungen anderer Kontinente berücksichtigen. Andreas Berger hält die Entwicklung bei Opel für "absolut faszinierend". Was jetzt noch zu einer dauerhaften Festigung des zurückgekehrten Erfolges fehle, sei eine Modelloffensive mit neuen Motoren und Getrieben.

Eine britisch-indische Erfolgsgeschichte
Ähnlich überraschend und erfolgversprechend ist das, was mit den britischen Traditionsmarken Land Rover und Jaguar geschieht. "Das wird eine der ganz großen Erfolgsgeschichten der kommenden fünf Jahre", prophezeit Ferdinand Dudenhöffer. Dabei sah es vor ein paar Jahren noch ziemlich düster aus. Die beiden angeschlagenen Marken wurden aus der zu Ford gehörenden Premier Automotive Group (PAG) herausgelöst, und ausgerechnet an den indischen Tata-Konzern verkauft. Der war hierzulande bislang allein durch das seltsame Billigmobil Tata Nano bekannt geworden. Als nächster Schlag in die Gesichter gusseiserner Jaguar-Fans wurde dann auch noch das typische und klassische Design der Limousinen komplett verändert.

Doch man wusste, was man tat. Tata besetzte das Management mit europäischen Experten, die ihr Wissen bei BMW und auch Opel gesammelt hatten. Und diese Manager nutzten die neue Chance. Mit dem Evoque schufen sie ein stilbildendes SUV, das Land Rover neue Kunden zuführte. Jaguar wiederum tat die stilistische und technische Frischzellenkur ebenfalls gut. Dudenhöffer und Bremer gehen davon aus, dass beide Marken die Erfolge fortsetzen und auf neuer Ebene zu fest etablierten Größen heranwachsen.

Wie das Überleben der vielen anderen wankenden Autobauer aussieht, muss die Zukunft zeigen. So sitzt die von chinesischen Unternehmen übernommene Marke Volvo derzeit laut Ferdinand Dudenhöffer zwischen allen Stühlen, benötigt wohl noch eine Weile für eine zielsichere Neuausrichtung. Daneben gibt es Hersteller, die zwar schwanken, aber im Endeffekt doch nicht kippen werden. Seat etwa gilt im VW-Konzern als Problemkind, wird aber von Übervater Ferdinand Piëch gestützt und geschützt. Für den ebenfalls immer wieder in negative Schlagzeilen geratenen französischen Autobauer Peugeot gilt laut Andreas Berger: "Die Marke ist einfach zu groß zum Sterben."

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(Bild: kmm)



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