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Triumph-Näherin im Interview: “Es trifft immer die Kleinen”

Österreich
20.04.2013 16:03
30 Jahre lang hat sie für den Wäsche-Riesen Triumph in Oberpullendorf BHs am Fließband produziert. Jetzt wird zugesperrt. Anita Gmeiner (47) erzählt im Interview mit Conny Bischofberger, was ihr und 350 anderen Näherinnen durch den Kopf geht.

Freitage sind für Frau Gmeiner triste Tage. "Da hat das Werk wegen Kurzarbeit geschlossen, da sind wir daheim." Sie sagt es mit Bedauern in der Stimme. Kurzarbeit bedeutet nicht nur weniger Geld. Es bedeutet auch Angst vor dem Tag, an dem Triumph den Standort Oberpullendorf - wie auch Aspang - endgültig zusperren wird (Bericht siehe Infobox).

Wir treffen die Näherin an einem solchen Freitag im Reihenhaus ihrer Tochter Kathrin in Ritzing, einem 900-Seelen-Dorf im Südburgenland. "Dann bin ich beim Interview nicht allein", erklärt die 47-Jährige mit einem verzweifelten Lächeln.

Vor zehn Tagen verkündete der Österreich-Chef des Konzerns der Belegschaft das endgültige Aus für Juni. Anita Gmeiner ist die Einzige, die bereit war, mit der "Krone" darüber zu sprechen. Während des Interviews wiegt sie ihren sechs Monate alten Enkelsohn Fabian im Arm. "Die Familie ist jetzt mein einziger Halt", sagt sie leise.

"Krone": Frau Gmeiner, haben Sie die böse Nachricht schon verdaut?
Anita Gmeiner: Es ist jetzt zehn Tage her, seit man uns informiert hat, dass wir alle unsere Jobs verlieren. Ich habe es bis heute nicht richtig verarbeitet. Am Abend kann ich nicht einschlafen. Ich schlafe überhaupt sehr wenig zurzeit. Ich glaube, das verdrängt man irgendwie. Mein Unterbewusstsein will das alles nicht wahrhaben.

"Krone": Aber es gab Warnhinweise. Sind Sie nicht skeptisch geworden, als zum Beispiel der Triumph-Schriftzug vom Gebäude entfernt wurde?
Gmeiner: Das ist mir gar nicht aufgefallen. Du gehst da jeden Tag hinein, aber du schaust nicht hinauf, ob das Schild noch obenhängt (lacht). Nein, es ist ja immer wieder weitergegangen. Ich dachte, es wird auch diesmal weitergehen. Aber diesmal ist es endgültig.

"Krone": Bricht gerade Ihre Welt zusammen?
Gmeiner: Triumph war wirklich meine Welt... Am 2. Mai sind es 30 Jahre, dass ich für die Firma arbeite. Die meisten meiner 109 Kolleginnen - 45 Prozent kommen aus Ungarn - sind auch so lang dabei. Was wir alles erlebt haben in der Zeit! Hochzeiten, Geburten, Todesfälle. Da sind enge Freundschaften entstanden. Ich vermisse meine Kolleginnen jetzt schon. (Wischt sich Tränen aus dem Gesicht.)

"Krone": Haben Sie die Arbeit gerne gemacht?
Gmeiner: Sehr! Ich hab' den Riegelautomaten bedient. Damit befestigt man die Träger und die Bügelstreifen des BHs. Das ist deshalb so schön, weil man da schon sieht, wie schön er wird.

"Krone": Hatten Sie einen Lieblings-BH?
Gmeiner: Ja, den Amourette. Der hat wunderschöne Spitzen über dem Stoffkörbchen. Und man durfte 13,8 Minuten mit dem Riegeln verbringen - bei uns gibt es für jeden Arbeitsgang vorgeschriebene Zeiten. Ich war aber meistens schneller. In den goldenen Zeiten haben wir 2.000 BHs pro Tag produziert.

"Krone": Acht Stunden am Tag denselben Arbeitsgang zu machen, ist das nicht schwierig?
Gmeiner: Oft war es anstrengend. Da haben wir auch Überstunden gemacht und sogar am Samstag gearbeitet. Aber wir haben auch viel Spaß gehabt. Oft haben wir uns gefragt, wer die BHs wohl kaufen wird, wer sie wem schenkt? Aber wir sind auf keinen grünen Zweig gekommen. Sicher Frauen mit höherem Einkommen, denn Triumph steht für Qualität. Heute gibt es BHs um 4,90 Euro im Supermarkt. Ich glaube, das hat uns umgebracht.

"Krone": Apropos Einkommen: Wie viel verdient eine Näherin?
Gmeiner: Rund 1.000 bis 1.200 Euro netto, je nach Stunden.

"Krone": Der Konzern macht trotz eingebrochenen Absätzen noch immer einen Umsatz von zwei Milliarden Schweizer Franken. Was geht da durch Ihren Kopf?
Gmeiner: Zum Nachdenken fängt man schon an, nicht? Es trifft halt immer die Kleinen. (Denkt nach.) Für den Weltkonzern war ich ein kleines Rädchen. Aber in unserem Werk hab' ich mich wichtig gefühlt. Ich glaube, jede von uns hat sich wichtig gefühlt, weil wir zusammengehalten haben.

"Krone": Wie haben Sie den 10. April, als die Betriebsversammlung stattgefunden hat, erlebt?
Gmeiner: Der Herr Zumkley, das ist unser Österreich-Chef, war persönlich da. Wir hatten das Gefühl, dass ihm das auch nicht leicht fällt. Er hat zwischendurch immer so Pausen gemacht... Wir waren von der Nachricht ganz erschlagen, es war totenstill in der Halle. Unsere Betriebsrätin, die Daniela, hat mit jeder einzelnen von uns Gespräche geführt. Dann durften wir heimgehen.

"Krone": Hat es Tränen gegeben?
Gmeiner: Viele Tränen. Auch von mir. Es tut schon weh. Ich bin gleich zur Kathrin gefahren. Sie hat gemeint: Wirst schon sehen, Mama, es gibt immer Möglichkeiten.

"Krone": Glauben Sie das auch?
Gmeiner: Ich bin mir nicht so sicher. Ich hab' ja nichts gelernt. Und null Ahnung, was ich machen könnte. Verkäuferin vielleicht, aber ich kenne kaum eine Verkäuferin, die 40 Stunden arbeitet. Das meiste sind 20-Stunden-Jobs mit Pausen dazwischen. In der Region um Pullendorf ist es halt schwer mit den Arbeitsplätzen. Und in Wien kenn' ich mich null aus!

"Krone": Vertrauen Sie auf den Sozialplan, der gerade ausgehandelt wird?
Gmeiner: Sicher, die Gewerkschaft will uns helfen. Wir sollen umgeschult werden. Aber man hätte doch lieber eine Arbeit. Und ich brauche ja das Geld. Mein Mann und ich haben das Haus zwar schon abbezahlt, aber Strom, Wasser, Kanal, Versicherungen kosten auch viel. Und wir brauchen grad neue Fenster und eine neue Heizung.

"Krone": Welche Partei steht am ehesten auf Ihrer Seite?
Gmeiner: In die Politik hab' ich kein Vertrauen. Man verliert überhaupt langsam das Vertrauen in ... - eigentlich in alles.

"Krone": Gibt es irgendetwas, das Sie tröstet?
Gmeiner: Vielleicht der Gedanke, dass es ärgere Schicksale gibt! Der 14-jährige Bub, der bei uns im Burgenland bei dem Motorradunfall gestorben ist, zum Beispiel. Oder die Familien, die in Boston die Bombe erwischt hat. Da ist man dann froh, wenn alle gesund sind und am Leben. Etwas möchte ich noch sagen: Ich war sehr nervös vor diesem Interview. Aber es hat gut getan zu reden.

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