Von wegen verrostet

Filmteam entdeckt Atommüllfässer im Ärmelkanal

Ausland
12.04.2013 17:58
Im Ärmelkanal vor Frankreich lagern offenbar noch immer unversehrte Fässer mit Atommüll aus den 1950er- und 1960er-Jahren. Einem Team des Südwestrundfunks sind nun erstmals Aufnahmen gelungen, bei denen ein unbemanntes U-Boot zwei der Fässer vor Frankreichs Küste ausfindig machte (Bild). Umweltschützer halten die Fässer für eine latente Gefahr, weil die Strahlung in die Nahrungskette gelangen könnte. Laut offizieller Darstellung der beteiligten Regierungen sollten die Fässer allerdings längst verrostet und ihr Inhalt unschädlich geworden sein.

Der Frage, welche Gefahren heute von den am Meeresboden versenkten Fässern ausgehen, gingen die deutschen Journalisten Thomas Reutter und Manfred Ladwig für den SWR nach. Der Vorwurf der Filmemacher wiegt schwer: Die wahre Faktenlage werde geleugnet, heruntergespielt oder verheimlicht. Die Verantwortlichen würden seit Jahren das wahre Ausmaß der Gefahren, die von dem versenkten und vergessenen Atomendlager im Meer ausgehen, beschönigen.

28.000 Atomfässer vor Kanalinsel versenkt
Nach einer Statistik der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) waren mehr als 28.000 Fässer mit schwachradioaktivem Material in den Jahren 1950 bis 1963 von Großbritannien und Belgien in den Unterwassergraben Hurd Deep nordöstlich der britischen Kanalinsel Alderney versenkt worden. Das entspricht mehr als 17.000 Tonnen. Die britischen Fässer enthalten nach IAEO-Angaben 58 Billionen Becquerel, die belgischen 2,4 Billionen Becquerel Alpha-, Beta und Gammastrahlen. Je höher der Becquerel-Wert, desto mehr Atomkerne zerfallen pro Sekunde. Der EU-Grenzwert für Trinkwasser liegt bei zehn Becquerel pro Liter.

U-Boot spürte Fässer in 124 Metern Tiefe auf
Von den beteiligten Regierungen beauftragte Experten gingen laut deutschen Medienberichten bislang stets davon aus, dass die Atomfässer längst verrostet sind, sich die Radioaktivität im Meer verteilt hat, und der Atommüll unschädlich geworden ist. Aufnahmen des SWR-Filmteams beweisen nun allerdings das Gegenteil. Ein unbemanntes, ferngesteuertes U-Boot lieferte den Filmemachern Bilder aus den Tiefen des Kanals. In 124 Metern Tiefe, wenige Kilometer vor der französischen Küste, entdeckten sie zwei Atommüllfässer. Die brisanten Aufnahmen werden im Themenabend "Endlager Meeresgrund" am 23. April um 20.15 Uhr auf Arte ausgestrahlt.

Journalist vermutet "noch viel mehr unversehrte Fässer"
"Wir denken, dass noch viel mehr unversehrte Fässer da unten liegen", erklärte Filmemacher Reutter gegenüber "Spiegel Online". Es wäre sehr unwahrscheinlich, dass man bei dem Tauchgang ausgerechnet die beiden einzigen unbeschädigten Fässer entdeckt habe. So hatte Großbritannien seinen Atommüll, vor allem aus der Nuklearanlage in Sellafield, noch bis 1982 im Ärmelkanal und anderen Stellen des Nordatlantiks versenkt. Der Meeresgraben Hurd Deep war eines der bevorzugten Gebiete. Auch andere Länder wie Belgien und die Schweiz, aber auch Deutschland machten von der seit 1993 endgültig verbotenen Praxis Gebrauch.

IAEO-Experte und deutsche Grüne fordern Bergung
Der Meeresexperte Hartmut Nies von der IAEO sprach sich - mit den Aufnahmen des Filmteams konfrontiert - dafür aus, die Fässer zu bergen: "Wenn ich da keinen hohen Aufwand habe - natürlich rausholen", empfahl er in einem ARD-Interview. Auch die Grünen im Bundestag fordern laut ARD die Rückholung der Fässer. "Ich glaube, dass diese Fässer in dieser geringen Tiefe ein hohes Gefährdungspotential darstellen", erklärte Sylvia Kotting-Uhl gegenüber den Filmemachern. Es sei gefährlich, die Fässer einfach so auf dem Meeresboden liegen zu lassen. Nicht umsonst ist die Entsorgung im Meer seit 20 Jahren verboten, wie die Grüne zu bedenken gab.

Deutsche Regierung sieht keine Hinweise auf Verseuchung
Nach Darstellung der deutschen Grünen unter Berufung auf offizielle Statistiken aus dem Jahr 2012 lagern in der Nordsee an 15 Stellen 114.726 Tonnen Atommüll in 222.732 Fässern - Alpha-, Beta-und Gammastrahler. 480 Fässer kommen einer Antwort der deutschen Bundesregierung auf eine Grünen-Anfrage zufolge aus Deutschland. "Die Überwachungsdaten enthalten keinerlei Hinweise auf Emissionen aus den Versenkungsgebieten", hieß es in der Mitte 2012 veröffentlichten Antwort des deutschen Bundesumweltministeriums.

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