Potenzial verschenkt

‘Moorhuhn’-Shooter ‘Sniper: Ghost Warrior 2’ im Test

Spiele
21.03.2013 15:01
In schnellen Multiplayer-Shootern werden Mitspieler, die sich mit Vorliebe in einem schlecht ausgeleuchteten Winkel der Karte verstecken und mit dem Scharfschützengewehr aus der Ferne punkten, "Camper" genannt. Mit "Sniper: Ghost Warrior" bringt der polnische Entwickler CI Games jetzt das passende Spiel für diese Spielerfraktion. Ganz wie es sich bei einem bewaffneten Campingausflug gehört, schickt der unkonventionelle Shooter den Spieler zunächst durch das Unterholz, um ihn von einer guten Position aus seinem blutigen Tagwerk nachgehen zu lassen. krone.at hat das Scharfschützen-Game getestet.

In den meisten aktuellen Ego-Shootern schlüpft der Spieler in die Rolle eines modernen John Rambo, der mit so gut wie jeder Waffe umgehen kann, im Alleingang ganze Armeen ausschaltet und nicht unbedingt durch sein lautloses Vorgehen auffällt. Umso erfrischender ist die Idee von CI Games, einen Shooter zu machen, der die Arbeit von lautlos agierenden Scharfschützenkommandos zum Thema hat.

Sich bedächtig voran zu schleichen, Gegner von Weitem zu beobachten und im richtigen Moment den entscheidenden Schuss abzugeben, diese Vorgehensweise erwartet sich der militärisch unbedarfte Gamer von einem Scharfschützen. Und tatsächlich gelingt es CI Games mit "Sniper: Ghost Warrior 2", diesen Wunsch vom lautlosen Killer, der mit seinem Scharfschützengewehr über Hunderte Meter Entfernung Bösewichte zur Strecke bringt und ständig darauf bedacht ist, nicht aufzufallen, zu erfüllen. Zumindest in der ersten halben Stunde, danach wird "Sniper: Ghost Warrior 2" nämlich zum virtuellen Wandertag mit "Moorhuhn"-Allüren.

Dünnes, austauschbares Terror-Storysüppchen
Dass das Spiel nicht sonderlich fesselt, ist vor allem dem dünnen Story-Süppchen, das die Entwickler dem virtuellen Scharfschützen vorsetzen, geschuldet. Die Kurzfassung: Austauschbare Russisch sprechende Terroristen, die eine Biowaffe aus einem Labor geklaut haben, wollen ihre Beute an einen austauschbaren anderen Terroristen verkaufen. Eine austauschbare Scharfschützeneinheit wird daraufhin mit der Mission betraut, die Bösewichte zur Strecke zu bringen, die Biowaffe zurückzuerobern und sich durch zehn austauschbare und vorhersehbare Missionen zu kämpfen. Das war's.

Dass die dünne Story nicht einmal sonderlich packend erzählt wird, am Beginn einer Mission statt einer Zwischensequenz meist nur ein kurzes Einsatzbriefing stattfindet und die Charaktere wie seelenlose Freizeitrambos wirken, versalzt die ohnehin dünne Suppe zusätzlich. Klar: Auch Shooter-Größen à la "Medal of Honor" widmen sich seit Jahren nur dem langweiligen Terrorismus-Einheitsbrei und bekleckern sich storytechnisch nicht gerade mit Ruhm, aber die faden Geschichten werden bei Konkurrenzspielen zumindest mit Zwischensequenzen in Szene gesetzt und packend erzählt.

Fehlender Anspruch nimmt dem Spiel die Spannung
Dabei wäre die schwache Geschichte hinter "Sniper: Ghost Warrior 2" ja verschmerzbar, wenn das Gameplay stimmen würde. Scharfschützen-Shooter sind schließlich eine Seltenheit und es gibt zweifellos zahlreiche Gamer, die gerne einmal in die Haut eines todbringenden Snipers schlüpfen, feindliches Gebiet erkunden und im richtigen Moment zuschlagen möchten. Nur ist das Spiel leider selbst auf höheren Schwierigkeitsgraden so leicht geraten, dass nie so recht das beklemmende Gefühl aufkommen mag, das beim auf sich allein gestellten Vorrücken im feindverseuchten Territorium entstehen sollte.

Das liegt daran, dass Entwickler CI Games dem Spieler jede nur erdenkliche Art von Hilfestellung bietet, die man sich in einem solchen Spiel erwarten könnte. Auf einer Minimap werden die strohdummen Gegner bereits aus großer Entfernung angezeigt, entsprechend einfach ist es, sie schon einen halben Kilometer vor dem Erreichen des Ziels auszuknipsen. Lobenswert ist, dass das Schussverhalten des Scharfschützengewehrs relativ realitätsnah wirkt. Projektile ändern durch den Wind und die Entfernung zum Ziel ihre Flugbahn, was dem Spiel eigentlich taktische Tiefe verleihen sollte.

Geführter Pixelwandertag mit wenig Abwechslung
Tatsächlich spendieren die Entwickler dem Spieler allerdings eine Zielhilfe, die den tatsächlichen Eintrittsort des Projektils bereits vor dem Abfeuern klar kenntlich macht, wodurch selbst Schüsse auf weit entfernte Ziele zum Kinderspiel werden und der Anspruch des Spiels auf "Moorhuhn"-Niveau sinkt. Dass der Spieler in den meisten Missionen von einem Späher begleitet wird, der vor ihm das Gelände auskundschaftet, dem Spieler detailliert erklärt, wie er sich unbemerkt vorwärts bewegen kann, und ihm während des Zielvorgangs sogar mitteilt, in welcher Reihenfolge er die Gegner ausschalten soll, um nicht entdeckt zu werden, nimmt dem Spiel dann jeglichen verbliebenen Anspruch.

Hinter dem Späher durch die schlauchförmigen Levels zu wandern, sich auf seine Anweisung hin irgendwo hinzulegen und die Gegner in der diktierten Reihenfolge zu erledigen, wäre eines Tutorials würdig und hilft, die Spielmechanik zu verstehen, macht das Spiel nach der ersten Mission jedoch zum geführten Pixelwandertag mit gelegentlichem Moorhuhnschießen. Atmosphäre kommt so nur selten auf.

Viel zu kurze, eintönige Kampagne
Wäre die Handlung packender und das Gameplay fesselnder, würde wohl auch die recht beschränkte Waffenauswahl nicht negativ auffallen. Tatsächlich läuft man in "Sniper: Ghost Warrior 2" zumeist mit dem liebevoll designten, aber immer gleichen Scharfschützengewehr herum, darf hin und wieder mal das russische Modell eines erledigten gegnerischen Scharfschützen aufnehmen und an einigen wenigen vordefinierten Stellen zum Großkaliber greifen, um das Vorrücken des eigenen Kommandotrupps zu decken. Nahkampf-Fähigkeiten und eine schallgedämpfte Pistole bringen zumindest ein klein wenig Abwechslung in das Leben des virtuellen Snipers, retten das Spiel jedoch auch nicht mehr.

Hübsche Grafik mit Detailschwächen
Dass der – mit ungefähr fünf Stunden viel zu kurze – geführte Wandertag nicht vollends enttäuscht, verdankt das Spiel seiner hübschen Grafik. Die basiert auf der CryEngine 3, reicht deswegen aber noch lange nicht an die grafische Opulenz eines "Crysis 3" heran. Hässlich ist sie aber auch nicht, nur stellenweise etwas altbacken. Während die Landschaft und die Ausleuchtung der Wälder, Städte und Gebirge, durch die sich der Spieler in "Sniper: Ghost Warrior 2" kämpft, durchaus ansehnlich sind, senken niedrig aufgelöste Texturen die eigentlich mögliche grafische Qualität wieder auf Durchschnittsniveau. Dafür bewegen sich aber zumindest die Hardwareanforderungen der PC-Version im Rahmen: Das Spiel kann auch auf älteren Systemen in ansehnlicher Qualität gespielt werden.

Besonders negativ fällt an dem Spiel die deutsche Vertonung auf. Das liegt gar nicht unbedingt an den semiprofessionellen Sprechern, sondern an den platten Dialogen, die vor ebenso markigen wie entbehrlichen Sprüchen nur so strotzen - und vor allem an der fürchterlichen deutschen Übersetzung. Immer wieder kommt es vor, dass wegen falscher wortgetreuer Übersetzung aus dem Englischen völlig unpassende und sinnfreie Kommentare zu hören sind. Der gelungene Soundtrack und die Umgebungsgeräusche retten die Ehre der Entwickler zumindest teilweise.

Camper-Multiplayer ermöglicht kein sinnvolles Spielen
Bei der Steuerung von "Sniper: Ghost Warrior 2" werden sich Shooter-Fans sofort zurechtfinden. Genutzt werden klassische, seit jeher bekannte Tastaturkommandos, gezielt wird mit der Maus. Allzu hektische Bewegungen sind in diesem Titel generell nicht nötig, weshalb auch Grobmotoriker auf ihre Kosten kommen dürften. Abschließend noch ein Wort zum Multiplayer: Camper sind in schnellen Mehrspieler-Shootern vor allem deshalb verhasst, weil schlicht kein sinnvolles Spiel möglich ist, wenn sich alle Spieler in den Ecken verkriechen und darauf warten, dass ihnen ein Gegner vor die Flinte läuft. Genau darauf läuft jedoch der Multiplayer-Modus im Sniper-Shooter hinaus. Er ist deshalb verzichtbar und eher als Beiwerk zu sehen.

Fazit: "Sniper: Ghost Warrior 2" zeigt beispielhaft, wie aus einer guten Idee durch schlechte Umsetzung ein mäßiges Spiel wird. Scharfschützen-Liebhaber mag dieses Werk noch bis zu einem gewissen Grad begeistern, doch auch sie werden sich an der dünnen Story, der recht kurzen Spielzeit und der missratenen deutschen Vertonung stören. Der unnötige Multiplayer, die strohdummen Gegner und der fehlende Anspruch im eintönigen Singleplayermodus sorgen ebenfalls nicht uoter-Ansatz zu probieren – für dieses Spiel. Über die spielerischen Schwächen tröstet aber auch die teure CryEngine 3 nicht hinweg.

Plattform: PC (getestet), PS3, Xbox 360
Publisher: Daedalic Entertainment
krone.at-Wertung: 5/10

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