Entwurf beschlossen

Ägypten: Scharia “wichtigste Quelle” in neuer Verfassung

Ausland
30.11.2012 08:30
Die Verfassungsgebende Versammlung in Ägypten hat am Donnerstag und in der Nacht auf Freitag über ihren Entwurf für eine neue Verfassung abgestimmt. In einer 19 Stunden langen Marathonsitzung sei über alle 234 Artikel abgestimmt worden, teilte Kommissionspräsident Hossam el-Gheriyani Freitag früh in Kairo mit. Das Votum sei letztlich einstimmig gefallen. Besonders bemerkenswert ist Artikel 2, der besagt, dass die "Prinzipien der Scharia" die "wichtigste Quelle der Gesetzgebung" seien.

Zudem werden der Islam zur Staatsreligion und das Arabische zur offiziellen Sprache gemacht. Ausdrücklich wird die Dauer einer Amtszeit des Präsidenten auf vier Jahre festgelegt, wobei eine einmalige Wiederwahl möglich ist. Damit soll künftig jeder Staatschef höchstens acht Jahre im Amt sein. Der Anfang 2011 gestürzte Präsident Hosni Mubarak hatte 30 Jahre lang in Ägypten geherrscht.

Der Verfassungsentwurf schränkt nach Ansicht der Opposition außerdem die Rechte der Frauen ein, beschneidet die Kompetenzen der Justiz und gibt den Religionsgelehrten Einfluss auf den Prozess der Gesetzgebung. Außerdem werden alle früheren Mitglieder der einstigen Regierungspartei mit einem politischen Betätigungsverbot für zehn Jahre belegt.

Schlussendlich soll Volk über Verfassung entscheiden
Die neue Verfassung soll die bisherige aus der Mubarak-Ära ersetzen. Binnen einiger Wochen soll dann in einer Volksabstimmung endgültig über die Verfassung entschieden werden. Den Islamisten dürfte es jedoch schwerfallen, dieses Referendum zu organisieren. Denn in Ägypten führen bei Wahlen traditionell die Richter die Aufsicht. "Die Richter haben schon erklärt, dass sie sich weigern, dieses Referendum zu überwachen", sagte der Strafrichter Amir Ramsi im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Die Mehrheit der Richter lehnt demnach den neuen Verfassungsentwurf ab.

Opposition boykottierte die Abstimmung
Die Arbeit des Gremiums war zuletzt von der liberalen und laizistischen Opposition sowie Vertretern der christlichen Kirchen boykottiert worden. Sie warfen den die Versammlung dominierenden Islamisten vor, diese wollten ihre Werte mit aller Macht in der neuen Verfassung durchsetzen. 26 der ursprünglich 100 Mitglieder der von den Muslimbrüdern und radikalislamischen Salafisten dominierten Versammlung erschienen am Donnerstag nicht zu der Abstimmung.

Die liberalen und linken Mitglieder hatten sich in den vergangenen Wochen aus Protest gegen die aus ihrer Sicht mangelnde Kompromissbereitschaft der Islamisten aus dem Gremium zurückgezogen. Auch die koptische Kirche zog ihre Vertreter ab. Da mindestens 75 Mitglieder anwesend sein müssen und jeder Artikel nur dann als angenommen gilt, wenn 67 Mitglieder mit Ja stimmen, wurden 14 "Ersatzmitglieder" aufgerufen. Da drei von ihnen ablehnten, zogen letztlich nur elf von ihnen in das Gremium ein. Die Abstimmung wurde live im Fernsehen übertragen.

Die Islamisten hatten die ursprünglich für Mitte Dezember geplante Abstimmung kurzfristig vorgezogen. Damit sollte Oppositionellen, die in den vergangenen Tagen heftig gegen die von Präsident Mohammed Mursi verkündete Verfassungserklärung protestiert hatten, der Wind aus den Segeln genommen werden. Mursi hatte seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz ausgeweitet und will diese erst nach Annahme der neuen Verfassung wieder abgeben.

"Es ist meine Pflicht, Gefahren von Ägypten abzuwenden"
Mursi verteidigte seine umstrittene Verfassungserklärung. Genau eine Woche nach deren Verkündigung sagte er am Donnerstagabend in einer TV-Ansprache, er habe keine andere Wahl gehabt, da es seine Pflicht sei, "Gefahren" von Ägypten abzuwenden. Er wollte diese nicht näher definieren, meinte lediglich, dass diese "von außerhalb Ägyptens" drohten.

Am Mittwoch hatte er in einem Interview mit dem US-Magazin "Time" den temporären Charakter seiner Befugnisse betont. "Wenn wir eine Verfassung haben, wird alles enden, was ich gesagt und getan habe vergangene Woche", sagte Mursi. "Meine Hauptaufgabe ist es, das nationale Schiff während dieser Übergangsperiode am Schwimmen zu halten. Das ist nicht einfach."

Weitere Proteste angekündigt
Die Verfassungserklärung hatte eine Protestwelle der säkularen Parteien ausgelöst. Diese werfen Mursi vor, er habe seine Machtbefugnisse auf Kosten der Justiz ausgeweitet, um wie ein "Pharao" regieren zu können. Bei den gewaltsamen Protesten wurden zwei Menschen getötet und Hunderte verletzt.

Für Freitag riefen Gegner des islamistischen Staatschefs erneut zu Massenprotesten auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo auf. Die Islamisten setzten ihrerseits für Samstag Kundgebungen zur Unterstützung Mursis an.

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