Bestechungsprozess

Die unglaubliche Geschichte des Ernst S.

Österreich
26.11.2012 16:58
Agenten, Fallen, Intrigen - und mittendrin ein Ex-Minister als Aufdecker. Es ist eine schier unglaubliche Geschichte, die der ehemalige Innenminister und EU-Abgeordnete Ernst Strasser am Montag zum Auftakt des Bestechungsprozesses am Wiener Straflandesgericht vorgetragen hat. Strasser blieb jedenfalls bei seiner Behauptung, er habe die beiden britischen Journalisten, die die sogenannte "Cash for law"-Affäre ins Rollen gebracht hatten, für Geheimdienstagenten gehalten und "aufblatteln" wollen. Er operierte dabei im Alleingang, da er dem Verfassungsschutz misstraute, wie er Richter Georg Olschak erklärte.

Im März 2010 bekam Strasser das erste Mail der Unternehmensberatungsfirma Bergman & Lynch aus London. Wie sich später herausstellte, steckten dahinter zwei Journalisten der britischen Zeitung "Sunday Times". Jonathan Calvert und Claire Newell hatten die Firma gegründet und sogar ein Büro in London installiert, um möglicherweise korrupte EU-Parlamentarier zu enttarnen. Strasser will sofort klar gewesen sein: "Hier stimmt was nicht. Mir kam das komisch vor." Er habe vermutet, dass hinter Bergman & Lynch der US-amerikanische Geheimdienst steckte.

Strasser: "Die wollten eine Geisel haben"
"Geheimdienste, Nachrichtendienste versuchen, einen Fehler auszunützen und die Leute zu erpressen", führte der Ex-Innenminister dazu in seiner Einvernahme aus. "Die wollten eine Geisel haben, und eine Geisel kriegt man dann, wenn irgendeine kleine Unkorrektheit passiert. Und dann sagen die: Lieber Freund, du musst jetzt tun, was wir wollen, sonst lassen wir dich auffliegen", gab Strasser seinen damaligen Verdacht in seiner Befragung wieder.

Als Zweck der Übung der "Geheimdienstagenten" habe er vermutet, dass die USA sein Wohlverhalten im Zusammenhang mit dem umstrittenen Passagierdatenaustausch erzwingen wollten. Zudem habe er sich bei den USA durch sein Abstimmungsverhalten über die Erteilung von Bankauskünften unbeliebt gemacht.

Laut Strasser wurde der Geheimdienst-Verdacht auch erhärtet: Bergman & Lynch sei in keinem Firmenbuch zu finden gewesen. "Das war nicht etwas, was mich besonders entsetzt hatte", so der Ex-Innenminister. Er hielt trotzdem weiter Kontakt zu Newell und ihrem Kollegen Calvert, die ihm schon Anfang Dezember 2010 einen Vertragsentwurf über eine kontinuierliche Mitarbeit unterbreitet hatten. Er habe an dem Entwurf einige Änderungen vorgenommen und ihn nicht unterschrieben, "um Zeit zu gewinnen", so Strasser.

Strasser: "Eine Reihe von Fallen gestellt"
Der Ex-Politiker beteuerte, er habe die mutmaßlichen Agenten "aufblatteln" wollen, als ihm klar geworden sei, "das sind Gauner, die sind nicht das, was sie vorgeben". In weiterer Folge habe er "eine ganze Reihe von Fallen gestellt, wo ich draufkommen wollte, wo die herkommen", sagte Strasser. Auf die Frage von Richter Olschak, warum er selbst ermittelt und nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämfpung (BVT) eingeschaltet und mit seiner Verdachtslage konfrontiert habe, antwortete der ehemalige Innenminister, er habe dem Verfassungsschutz misstraut.

Wäre er in dieser Situation zum BVT gegangen, wäre er "von denen ausgelacht" worden, stellte Strasser fest. "Ich bin sogar als Minister ausgelacht worden." Demnach habe er mit dem BVT schon als Innenminister schlechte Erfahrungen gemacht. "2002, als der Verdacht bestand, dass sich ein ausländischer Geheimdienst über meine Frau an mich heranmacht, sollte sich meine Frau als Lockvogel hergeben." Deswegen habe er weiter im Alleingang ermittelt. Denn, so Strasser, man müsse dem BVT "pfannenfertige Unterlagen" liefern. Diese seien nicht vorgelegen.

Heute würde er das freilich nicht mehr machen und stattdessen BVT-Chef Peter Gridling einschalten, um sich einen Prozess zu ersparen, räumte Strasser ein. "Ich weiß, dass der Herr Gridling das in die Rundablage legt, aber ich sitz' dann wenigstens nicht mehr vor Ihnen."

Strasser "ermittelte" jedenfalls auf seine Weise weiter: Er traf sich mit den Leuten von Bergman & Lynch mehrmals über viele Monate hinweg. Diese Gespräche in Brüssel und London wurden geheim per Video aufgezeichnet und dienen nun als Beweismittel. Der Ex-Innenminister riet dem Gericht in seiner Einvernahme, die darin getätigten Aussagen nicht für bare Münze zu nehmen. "Die Videos zeigen ja das Folgende: Da sitzen sich zwei Parteien gegenüber, die sich die meiste Zeit anlügen." Warum er dann so detaillierte Angaben zu den Geschäften seiner Firmen gemacht habe, wollte Olschak wissen. Dazu Strasser: "Wenn die das sind, was ich vermutete, dann haben die das sowieso gewusst."

Einiges Belastendes nur Übersetzungsfehler?
Einiges Belastendes führte Strasser auch schlicht auf Übersetzungsfehler zurück – etwa jene Passage, in der er über die "Gutmenschen" im Europaparlament lästert. Im englischen Original habe er nämlich von den "good people in the parliament" gesprochen, und das bedeute schlicht "die lieben Leute im Parlament". "Nach meinem Lexikon heißt Gutmenschen auf Englisch 'do-gooder' oder auch 'goody two shoes'", sagte Strasser. Schließlich gab er noch zu bedenken: "Englisch ist nicht meine Muttersprache, daher kann ich mich dort nicht so gut ausdrücken wie im Deutschen."

Anklage sieht Bestechungsdelikt verwirklicht
Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftskriminalität und Korruption sieht den Fall ganz anders und wirft dem Ex-Innenminister vor, den beiden vermeintlichen Lobbyisten gegen ein jährliches Honorar von 100.000 Euro die Einflussnahme auf die Gesetzwerdung im EU-Parlament in Aussicht gestellt zu haben (siehe Storys in der Infobox). Ob Strasser tatsächlich Geld erhalten habe, sei letztlich irrelevant, denn schon mit der bloßen Zusage sei das Delikt der Bestechlichkeit verwirklicht, betonte Staatsanwältin Alexandra Maruna.

Konkret soll Strasser laut Anklage in Bezug auf eine Elektroschrott-Richtlinie beim deutschen CDU-Abgeordneten Karl-Heinz Florenz, dem dafür zuständigen Berichterstatter des Parlaments, interveniert und hinsichtlich einer Anlegerschutz-Richtlinie bei Mitarbeitern seiner Fraktionskollegen Othmar Karas und Hella Ranner in Richtung möglicher Änderungen "vorgefühlt" haben.

Verteidiger sieht "nichts Strafbares"
Strasser und sein Verteidiger Thomas Kralik wiesen diese Darstellung jedoch entschieden zurück. Von Florenz - der Strasser bei seiner Befragung eine "blühende Fantasie" attestierte - habe der Ex-Innenminister nur eine "Prüfung" der an ihn herangetragenen Wünsche vornehmen lassen wollen, während sich die Mitarbeiter von Karas und Ranner die von den vermeintlichen Lobbyisten an Strasser übermittelten Vorschläge "anschauen hätten sollen, ob das Sinn macht oder ein Blödsinn ist", wie Kralik darlegte. Daran sei nichts Strafbares zu erkennen.

Den englischen Journalisten sei es nur darum gegangen, seinen Mandanten "einzutunken", doch Strasser habe "kein Verbrechen begangen", so der Verteidiger. Die auf YouTube veröffentlichten Clips seien – getragen von der Ambition, Strasser zu schaden – zusammengeschnitten worden. Man müsse sich nur die Originalbänder anschauen, die immerhin Gespräche im Ausmaß von acht Stunden umfassen, um festzustellen, dass die publizierten Clips manipuliert wurden, so Kralik.

Prozess wird am Dienstag forgesetzt
Genau das wird auch passieren: Der Prozess wird am Dienstag fortgesetzt, das Gericht wird die Originalbänder der heimlich mitgeschnittenen Videos in voller Länge abspielen. Ob auch die zwei Journalisten vor Gericht erscheinen und als Zeugen aussagen werden, ist indessen noch offen. Strasser hatte die beiden wegen Missbrauchs von Tonaufnahme- und Abhörgeräten bei der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt. Sie ließen daraufhin verlauten, dass sie nicht aussagen wollen, solange das Verfahren offen ist. Mittlerweile wurden die Ermittlungen aber eingestellt, einer Aussage stünde also nichts entgegen.

Der Prozess gegen Strasser ist auf acht Tage anberaumt. Das Urteil wird für den 13. Dezember erwartet. Dem Ex-Innenminister drohen bei einem Schuldspruch bis zu zehn Jahre Haft.

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