Viele Gefahren

Was ein neuer Krieg im Gazastreifen für Israel bedeutet

Ausland
20.11.2012 12:16
Israel steht am Scheideweg: Stimmt es einer international geforderten Waffenruhe mit der im Gazastreifen herrschenden Hamas zu oder beginnt das Land eine gefährliche Bodenoffensive im Palästinensergebiet? Trotz der Beteuerung, eine diplomatische Lösung vorzuziehen, hat die Regierung in Jerusalem bereits 40.000 Reservisten am Rande des schmalen Küstenstreifens zusammengezogen. Dabei birgt ein neuer Krieg nicht nur die Gefahr Tausender ziviler Opfer auf palästinensischer Seite, auch Israel könnte er mehr schaden als nützen.

Am 3. Jänner 2009 rückte die israelische Armee zuletzt in den Gazastreifen ein. Bei dem insgesamt dreiwöchigen Militäreinsatz "Gegossenes Blei" wurden nach UNO-Angaben mehr als 1.400 Palästinenser getötet, darunter viele Frauen und Kinder, und mehr als 6.200 Häuser zerstört. Auf israelischer Seite starben 13 Menschen.

Trotz internationaler Rufe nach einer Waffenruhe setzten die Israelis ihre Offensive mit Soldaten, Panzern und Artillerie bis zum 17. Jänner fort. Am nächsten Tag, nachdem auch die Hamas zur Feuerpause aufgerufen hatte, begann die Armee mit dem Abzug. Militärisch gelang es in den insgesamt 22 Tagen zwar, die Hamas zu schwächen, doch diese ging politisch gestärkt aus der Bodenoffensive hervor. Denn nicht nur in der arabischen Welt hatte der Angriff mit den vielen zivilen Opfern den Palästinensern Sympathien eingebracht. Das erklärte Ziel Israels, mit dem Einmarsch den Raketenbeschuss aus dem Gazastreifen zu unterbinden, blieb überdies erfolglos.

Neue Eskalation durch Raketenbeschuss
Nun könnte es erneut zu einer Bodenoffensive kommen. Der Konflikt ist in der vergangenen Woche eskaliert, als Extremisten zahlreiche Raketen auf den jüdischen Staat abfeuerten. Bei israelischen Luftangriffen auf den Gazastreifen wurden seit vergangenen Mittwoch mehr als hundert Palästinenser getötet. In Israel starben drei Zivilisten beim Einschlag einer Rakete aus dem Gazastreifen.

Will Israel von Verbündeten zurückgehalten werden?
Zwar ziehe man eine diplomatische Lösung vor, so diverse israelische Politiker, doch müsse die Hamas hierfür die Raketenangriffe auf israelisches Gebiet für lange Zeit stoppen. Ein israelischer Fernsehkommentator sagte am Montag, Israel verhalte sich gegenwärtig wie ein Nachbarschaftsrüpel, der seine Freunde dazu auffordere, ihn in einem Streit zurückzuhalten. "Haltet mich fest, haltet mich fest", suggeriere Israel momentan seinen westlichen Verbündeten.

Wahlen in Israel als Faktor
Wie groß die Gefahr einer neuen Invasion tatsächlich ist, ist unklar. Schließlich birgt eine neue militärische Auseinandersetzung auch für Israel große Risiken. Käme es zu großen Verlusten auf der israelischen Seite, könnte die Welle der Zustimmung für die Regierung von Benjamin Netanyahu brechen und in herbe Kritik umschlagen. Dies kann sich der Regierungschef kurz vor den Wahlen im Jänner nicht leisten.

Zivile Opfer bringen Ärger mit dem Westen
Außerdem: Je mehr Opfer es auf palästinensischer Seite gibt, desto weniger Verständnis hat auch der Westen für das israelische Vorgehen. Katastrophal war bereits der Luftangriff auf das Haus der Familie Dalu in Gaza, bei der am Sonntag elf Menschen getötet wurden, darunter neun Mitglieder der Familie. Fünf Kinder waren unter den Toten, die erschütternden Bilder gingen um die Welt.

Soziale Proteste - teurer Krieg
Zum politischen Preis des Konflikts kommen immense Finanzkosten für einen Staat, der ohnehin mit sozialen Protesten zu kämpfen hat. Jeder Kampftag koste Israel umgerechnet 60 Millionen Euro, rechnete ein Wirtschaftsexperte am Montag im israelischen Rundfunk vor. Nach Informationen der Wirtschaftszeitung "The Marker" würden sich die Kosten für eine neue Gaza-Offensive auf mehrere Milliarden Schekel belaufen - der letzte Angriff 2009 kostete Israel 3,8 Milliarden Schekel (etwa 700 Millionen Euro).

Zahlreiche Vermittler für Waffenstillstand
Um es nicht wieder so weit kommen zu lassen, versuchen derzeit unter anderem Ägypten und UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon, einen möglichen Waffenstillstand zu vermitteln. Die USA stellen sich derweil eher auf Israels Seite - eine mögliche Invasion sei Sache des Landes, ein Ende des Raketenbeschusses aus Gaza sei nötig. Israel habe das Recht, sich zu verteidigen, so Ben Rhodes, ein hochrangiger Sicherheitsberater von US-Präsident Barack Obama. Welche Rolle US-Außenministerin Hillary Clinton, die am Dienstag nach Israel aufbrach, einnehmen wird, bleibt abzuwarten.

Internationale Politik gespalten
Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte das Recht Israels auf Selbstverteidigung, verlangte aber einen Waffenstillstand. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle warnte vor einer "drohenden Eskalationsspirale" in Nahost, wirke die arabische Welt nicht mäßigend auf die Hamas ein. Auch der tunesische Außenminister Rafik Abdel Abdesslem äußerte ähnliche Befürchtungen: "Was in der Vergangenheit erlaubt war, ist jetzt wegen der Entwicklung in der arabischen Welt verboten." Israel müsse seine Angriffe sofort einstellen. Der britische Außenminister William Hague sieht zwar die Hamas als hauptverantwortlich für die Krise, sagte aber auch, dass Israel mit einer Invasion in Gaza internationale Sympathien verspielen könnte.

Die Arabische Liga kündigt einen Solidaritätsbesuch von Generalsekretär Nabil al-Arabi im Gazastreifen an. Die Liga kritisiert die israelischen Angriffe auf Gaza und bezeichnet sie als "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". Der iranische Außenminister Ali-Akbar Salehi macht Israel für den Konflikt verantwortlich und ruft die muslimischen Staaten zur Solidarität mit Gaza auf: "Sie sollten sich auf den Hauptfeind konzentrieren, und dieser ist das zionistische Regime."

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