Über Jahrzehnte

Gremium bestätigt sexuelle Gewalt in Wiener Kinderheim

Österreich
08.11.2012 14:44
Im ehemaligen städtischen Wiener Kinderheim im Schloss Wilhelminenberg ist es jahrzehntelang zu physischer, psychischer und sexueller Gewalt gekommen. Die Wilhelminenberg-Kommission, die die grausamen Geschehnisse untersucht, hat zudem festgestellt, dass die meist unter zehn Jahre alten Kinder der Gewalt schutzlos ausgeliefert waren, obwohl "vielen Verantwortlichen bekannt war bzw. hätte bekannt sein müssen, dass es gewalttätige Übergriffe gab".

Bis Mitte Oktober haben sich demnach 125 Menschen bei der Kommission, die unter dem Vorsitz von Richterin Barbara Helige arbeitet, gemeldet, heißt es im dritten Zwischenbericht der Kommission. Mit 54 weiteren Personen wurde Kontakt aufgenommen. Insgesamt wurden bisher 144 Interviews durchgeführt, weitere sollen folgen.

Als gesicherte Erkenntnis gilt laut Kommission bereits jetzt: Im Kinderheim Wilhelminenberg kam es über die Jahrzehnte zur Ausübung physischer, psychischer und sexueller Gewalt. Die ehemaligen Heimkinder haben nicht nur die Geschehnisse selbst, sondern auch Täter, Mitwisser und Zeugen beschrieben, die teilweise auch namentlich ausgeforscht werden konnten.

Traumatisierung "besonders tief"
Nach den bisherigen Erhebungen richtete sich die sexuelle Gewalt ab Mitte der 1960er-Jahre vor allem gegen Kinder im Alter unter zehn Jahren, wobei "Traumatisierung und persönliche Betroffenheit sich als besonders tief erweisen und meist bis ins Erwachsenenalter reichen", wie es in dem Bericht heißt. Nach dem bisherigen Erkenntnisstand habe sich auch der Verdacht des organisierten sexuellen Missbrauchs von Heimkindern nicht zerstreut. Zeuginnen hatten einen solchen in Zeitungsinterviews beschrieben. Sogar zu Fällen von Kinderprostitution soll es gekommen sein.

Viele Mitwisser, keine Gegenmaßnahmen
Eine abschließende Einschätzung sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht möglich, wurde betont. Fix scheint jedoch: "Vielen Verantwortlichen war bekannt bzw. hätte bekannt sein müssen, dass es gewalttätige Übergriffe gab. In den Recherchen wurden bisher keine Gegenmaßnahmen erkennbar", beklagt die Kommission. Die Kinder seien der Gewalt schutzlos ausgeliefert gewesen. Viele der befassten Erzieher, Ärzte, Psychiater, Pfleger, Polizisten oder Lehrer hätten davon gewusst.

Fallweise Probleme bei Aktenbeschaffung
Problematisch verlaufen offenbar die Aktenrecherchen: Die Magistratsabteilung 11 (Jugendwohlfahrt) unterstütze die Kommission bei ihrer Untersuchung "umfassend". Schwieriger gestaltet sich dies im Bereich des Personalamts (MA 2). Die Kommission vermutet, dass Akten zuvor von Beamten der internen Revision des Magistrats durchgesehen werden und erst dann eine Entscheidung getroffen wird, ob sie ausgefolgt werden. In manchen Fällen habe es auch Widerstand gegen die Übermittlung von Akten gegeben.

"Die Kommission akzeptiert diese Vorgangsweise nicht, schränkt sie doch die Recherchemöglichkeiten soweit ein, dass dem der Kommission erteilten wissenschaftlichen Auftrag nicht entsprochen werden kann", bekräftigt das Gremium. Die Kommission fordert die Verantwortlichen auf, alle Unterlagen und Akten "vollständig und im Original" zur Verfügung zu stellen.

Dass der Endbericht nicht wie geplant mit Jahresende vorliegt, ist ohnehin schon vereinbart: Die Laufzeit wurde bereits zuletzt bis Ende Mai 2013 verlängert. Ein weiterer Zwischenbericht ist laut Kommission aber nicht vorgesehen.

Opposition kritisiert Behinderung der Kommission
Die Wiener Opposition forderte daraufhin am Donnerstag von den Rathaus-Verantwortlichen, die Arbeit der Schloss-Wilhelminenberg-Kommission nicht zu behindern. Nach Misshandlung und Missbrauch durch sozialistische Leiter und Mitarbeiter der städtischen Heime müssten die Opfer nun miterleben, wie versucht werde, die Täter zu decken, kritisierte der Klubchef der Wiener FPÖ, Johann Gudenus. Er forderte, dass der "rote Skandal" lückenlos aufgeklärt wird.

Der Chef der Wiener ÖVP, Manfred Juraczka, erinnerte Jugendstadtrat Christian Oxonitsch (SPÖ) "erneut und eindringlich" daran, dass er selbst volle Transparenz bei der Untersuchung der Vorfälle im Kinderheim Wilhelminenberg versprochen habe.

Magistrat versichert: Keine Behinderung
Ein Sprecher der Magistratsdirekton versicherte schließlich am Donnerstag, dass die Arbeit der Wilhelminenberg-Kommission nicht behindert worden sei. Es habe allerdings rechtliche Bedenken bei der Weitergabe von Personalakten gegeben. Aus diesem Grund sei unter anderem die Datenschutzkommission des Bundes kontaktiert worden - wodurch es zu einer Verzögerung gekommen sei.

"Das Personalamt hat zunächst den rechtlichen Standpunkt vertreten, dass eine Weitergabe von Personalakten ausgeschlossen ist", berichtete der Sprecher. Aber man habe auch dem Wunsch der Kommission nachkommen wollen. Schließlich sei von der Datenschutzkommission mittels Bescheid die Erlaubnis zur Weitergabe gekommen - aber mit restriktiven Auflagen, wie der Magistrats-Sprecher betonte. "Es ist aber nicht ein einziges Blatt an seiner Stelle verrückt worden", schwor der Sprecher. Inzwischen seien auch rund 50 Personalakten übermittelt worden.

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