Tote und Verletzte

US-Botschaften in Tunis und Khartum gestürmt

Ausland
14.09.2012 19:13
Die Proteste gegen das in den USA produzierte Anti-Islam-Amateurvideo haben am Freitag einen neuen Höhepunkt erreicht und sich auf weitere Länder ausgeweitet. In Sudans Hauptstadt Khartum stürmten Demonstranten die US-Botschaft. Auch die US-Vertretung in der tunesischen Hauptstadt Tunis wurde Ziel eines Angriffs (Bild). Es gab mehrere Tote und zahlreiche Verletzte. Zuvor war es im Sudan bereits zur Erstürmung des Geländes der deutschen Botschaft gekommen (weitere Bilder), der Diplomatensitz Großbritanniens wurde ebenfalls angegriffen.

In Khartum setzte die Polizei Tränengas gegen die rund 10.000 Demonstranten ein, die auf das Gelände der US-Botschaft vordrangen. Auch Gewehrfeuer sei zu hören gewesen, berichtete ein Reuters-Reporter. Die Angreifer konnten nach Angaben der diplomatischen Vertretung wenig später vom Gelände der Botschaft vertrieben werden. Mindestens zwei Demonstranten kamen ums Leben. Den Rettungskräften zufolge wurde ein Mann von einem Polizeiwagen überfahren. Die Leiche des zweiten Toten wurde am Fuß der Umfassungsmauer der Botschaft gefunden. Die Umstände seines Todes sind unklar.

Ähnliche Szenen spielten sich auch in Tunis ab. Fenster der US-Botschaft wurden eingeschlagen, Bäume in Brand gesetzt. In dem Gebäudekomplex brach ein Brand aus. Die Polizei setzte zunächst Tränengas ein. Später schossen die Sicherheitskräfte. Mindestens drei Demonstranten wurden getötet, mindestens 28 weitere Personen verletzt. Auch die Amerikanische Schule in Tunis wurde von Demonstranten in Brand gesetzt. Am Abend kehrte zunächst Ruhe ein.

Deutsche Botschaft attackiert
Zuvor hatten rund 5.000 aufgebrachte Demonstranten nach dem Mittagsgebet in Khartum versucht, die beiden nebeneinander liegenden Botschaften der Bundesrepublik Deutschland und des Vereinigten Königsreichs zu stürmen. Die Menge, die davor noch gegen den umstrittenen Mohammed-Film "Innocence of Muslims" und die USA protestierte, habe Steine und brennende Fackeln auf die Gebäude geworfen, berichteten Augenzeugen laut den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP.

Vor der britischen Botschaft habe die Polizei die Menge mit Tränengas in Schach halten können, bei der deutschen Botschaft sei dies nicht gelungen. Der wütende Mob durchbrach die Zutrittsbarrieren und stürmte auf das Gelände. Statt der deutschen Flagge soll ein islamistisches Banner gehisst worden sein. Ins Innere des Konsulats dürften aber niemand vorgedrungen sein.

Einem Bericht der deutschen Presseagentur dpa zufolge haben die Demonstranten vor dem Gebäude jedoch Brände gelegt. Um die Feuerwehr von dem Botschaftsgelände fernzuhalten, blockierten sie die Zufahrtsstraßen, berichtet die BBC. Bilder aus dem Sudan zeigten großteils unbewaffnete Demonstranten und Rauchentwicklung sowie kleinere Brände auf dem Botschaftsgelände.

Motiv für die Aggression gegen Deutschland soll ein Statement des sudanesischen Außenministeriums zum Anti-Islam-Film sein. Darin wird auch Deutschland kritisiert, weil es im August eine Demonstration erlaubt habe, bei der die dänischen Mohammed-Karikaturen aus dem Jahr 2005 auf Transparenten benutzt wurden. Deutschland hatte am Freitagvormittag aus Sorge vor gewalttätigen Protesten die Sicherheitsvorkehrungen an diplomatischen Vertretungen in mehreren islamischen Ländern verschärft.

Merkel: "Religiöser Fanatismus darf nicht Oberhand gewinnen"
"Ich verurteile die Angriffe auf die deutsche Botschaft in Khartum sowie auf mehrere amerikanische Botschaften in aller Schärfe", erklärte Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitagabend in Berlin. "Gewalt darf nie Mittel der politischen Auseinandersetzung sein. Religiöser Fanatismus darf nicht die Oberhand gewinnen." Deutschland trete für einen respektvollen Umgang mit allen Glaubensrichtungen und für einen Dialog der Religionen ein. Sie rufe alle Beteiligten zu Ruhe und Besonnenheit auf, betonte Merkel. "Die arabischen Regierungen müssen alles tun, um die Sicherheit der diplomatischen Vertretungen zu gewährleisten."

Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle hatte zuvor erklärt, die Mitarbeiter der Botschaft in Khartum seien in Sicherheit. Ein Krisenstab stehe in ständigen Kontakt mit den Diplomaten. Botschafter Rolf Welberts hielt sich zum Zeitpunkt der Angriffe nicht auf dem Gelände auf. Der Diplomat ist erst seit vergangener Woche in Khartum auf dem Posten. Aus Protest gegen die Übergriffe sei der sudanesische Botschafter einbestellt worden, sagte Westerwelle. Man habe ihn "auf die Pflicht seiner Regierung zum Schutz diplomatischer Einrichtungen hingewiesen".

Libanon: Toter bei Brandanschlag auf KFC-Restaurant
Auch in der libanesischen Stadt Tripoli ist am Freitag bei Protesten aufgebrachter Gläubiger ein Mensch ums Leben gekommen. 25 Menschen wurden verletzt, als bei einer Demo eine Filiale der US-Imbisskette KFC angegriffen und in Brand gesetzt wurde. Die staatliche Nachrichtenagentur NNA meldete, die Polizei habe in die Luft geschossen, um die Demonstranten zu vertreiben.

Kurz vor den Ausschreitungen war Papst Benedikt XVI. in der libanesischen Hauptstadt Beirut eingetroffen. Die Demonstranten in Tripoli riefen nach Berichten von Augenzeugen: "Wir wollen den Papst nicht" und "Keine Beleidigungen mehr".

Liste der Protest-Länder immer länger
Weltweit sind am Freitag an den amerikanischen Botschaften die Sicherheitsvorkehrungen verschärft worden. Die Liste der Länder, aus denen - großteils friedliche - Proteste gegen den islamfeindlichen Film gemeldet werden, hat sich stetig ausgeweitet: Neben Ägypten, Libyen und dem Jemen gab es Proteste in den Kriegsländern Irak und Afghanistan sowie im Iran, Pakistan, dem Gazastreifen, Saudi-Arabien, Indonesien, Marokko, Bangladesch, Indiens Kaschmirregion, Indonesien und Malaysia.

Die US-Regierung war von einer Zunahme der Proteste nach dem Freitagsgebet ausgegangen. In der ägyptischen Hauptstadt Kairo bewarfen Demonstranten bereits vor dem Gebet die Sicherheitskräfte vor der US-Botschaft mit Steinen, die Attackierten antworteten mit Tränengas. Für den Nachmittag hatten Demonstranten einen Großaufmarsch am Tahrir-Platz angekündigt.

Warnschüsse und Tränengas im Jemen
In Jemens Hauptstadt Sanaa bewachten Sicherheitskräfte weiterhin die Straßen in der Umgebung der US-Botschaft. Die Demonstranten versammelten sich etwa 500 Meter von der Botschaft entfernt. Sie forderten die Ausweisung des US-Gesandten und verbrannten die US-Flagge. Sicherheitskräfte gaben Warnschüsse ab und setzten Wasserwerfer ein, wie ein Korrespondent berichtete. In der Stadt seien am Freitag US-Marineinfanteristen eingetroffen, berichtete die jemenitische Zeitung "Al-Methaq". Eine aufgebrachte Menschenmenge hatte am Donnerstag die US-Botschaft in Sanaa attackiert, dabei wurden vier Demonstranten erschossen.

In Saudi-Arabien, wo Demonstrationen eigentlich verboten sind, wurde über den Kurznachrichtendienst Twitter zu Protesten vor den US-Vertretungen in Riad und Jeddah aufgerufen. Ein iranischer Religionsführer, Ajatollah Nouri Hamedani, drohte mit "noch harscheren Reaktionen". Im Anschluss an das Freitagsgebet in Teheran demonstrierten mehrere Tausend Menschen gegen die USA und Israel. Auf Transparenten wurde US-Präsident Barack Obama mit Davidsternen an den Augen gezeigt. Die Proteste blieben friedlich.

In Jordanien kündigten sowohl die fundamentalistischen Salafisten als auch die Muslimbrüder Demonstrationen an. Die indonesische Polizei stationierte 400 Beamte rund um die US-Botschaft in Jakarta, nachdem sich dort rund 500 Religionsfanatiker versammelt hatten.

10.000 Gläubige vor Moschee in Bangladesh
In Bangladeschs Hauptstadt Dhaka versammelten sich vor der größten Moschee des Landes etwa 10.000 Demonstranten. Sie verbrannten israelische und US-Flaggen und riefen Parolen wie "Wir werden keine Beleidigungen unseres Propheten hinnehmen" oder "Zerschmettert die schwarzen Hände der Juden".

Hunderte Polizisten und Elite-Sicherheitskräfte hielten die Demonstranten mit Wasserwerfern davon ab, zur mehrere Kilometer entfernten US-Botschaft vorzudringen. Die Proteste seien "friedlich" geblieben, sagte Polizeichef Golam Sarwar. Der oberste Geistliche der Baitul-Mokarram-Moschee, Maolana Mohammad Salahuddin, hatte den Provokations-Film über den Propheten Mohammed in seiner Ansprache an die Gläubigen verurteilt und eine "exemplarische Bestrafung der Filmemacher" gefordert. Zugleich rief er die Gläubigen aber auf, von Gewalt abzusehen.

Clinton: "Gewalt ein Zeichen von Glaubensschwäche"
US-Außeich eines Empfangs zum Ende des muslimischen Fastenmonats Ramadan, die USA würden die "verabscheuungswürdigen Filmszenen" auf das Schärfste verurteilen. Darauf mit Gewalt zu antworten, sei aber nicht ein Zeichen von Religiösität, sondern gerade das Gegenteil. "Die großen Religionen sind stärker als jede Beleidigung, sie haben ihnen Jahrhunderte widerstanden. Wer von Gewalt absehen kann, demonstriert die Stärke seines Glaubens, nicht Schwäche."

Zugleich stellte sie klar, dass die US-Regierung "absolut nichts mit diesem Video zu tun hat". Da in den Vereinigten Staaten das Recht auf freie Meinungsäußerung herrsche, sei es für die Regierung in Washington "unmöglich", solche Filme zu verhindern. Demonstranten hatten zuvor eine offizielle Entschuldigung der USA gefordert.

Muslimbruderschaft nimmt USA in Schutz
Die ägyptische Muslimbruderschaft nahm die USA am Freitag gegen Angriffe in Schutz. Weder die Regierung in Washington noch die US-Bürger seien "für Taten einiger weniger, die Gesetze zur Meinungsfreiheit missbrauchen, verantwortlich", schrieb ihr Vizechef Khairat al-Shater in der US-Tageszeitung "New York Times" vom Freitag. Proteste seien zwar erlaubt, der Angriff auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi jedoch "unrechtmäßig" gewesen.

Ägyptens Präsident Mohammed Mursi verurteilte die Gewalt ebenfalls. Allerdings forderte er die USA zu "ernsthaften Schritten" gegen den islamfeindlichen Videofilm auf. "Wir sind gegen jede Handlung, mit der der Islam und der Prophet Mohammed beleidigt werden soll, und wir sind gegen die Beleidigung jeder Religion", sagte Mursi am Freitag. Proteste gegen den Film erklärte er für legitim. Diese müssten aber friedlich bleiben. Bei den Krawallen in Kairo, wo die Anti-US-Demonstrationen begonnen haben, wurden seit Dienstagabend 40 Demonstranten festgenommen. Mursi verurteilte den Angriff auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi: "Der Koran sagt: Wer einen Menschen tötet, tötet die ganze Welt."

Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan kritisierte die gewaltsamen Angriffe auf US-Vertretungen. "Es handelt sich um eine ernste Provokation, eine schlimme Aufwiegelung", zitierten türkische Medien den Regierungschef. "Die Beleidigung der Religion kann keine Rechtfertigung für Angriffe auf Menschen sein."

Österreich: Erhöhte Vorsicht bei Botschaften in US-Nähe
Auch Österreich steht mit seinen Botschaftern nach den blutigen Protesten in der Region in engem Kontakt. Zwar werde das Sicherheitspersonal nicht verstärkt, man stimme sich jedoch mit den lokalen Sicherheitseinrichtungen ab, hieß es am Freitag aus dem Außenministerium. Besondere Vorsicht herrsche bei österreichischen Botschaften, die sich in der Nähe von US-Botschaften befinden. Die österreichischen Botschaften in Beirut, Tunis und Abuja schlossen am Freitag wegen der erwarteten Proteste bereits zu Mittag.

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