180-Grad-Wende?

Deutsche Politik sauer – US-Wall-Street jubelt

Wirtschaft
29.06.2012 22:52
Die Zugeständnisse der deutschen Kanzlerin Angela Merkel an Italien und Spanien bei der Bankenhilfe haben am Freitag für erhebliche Aufregung im deutschen Bundestag gesorgt. Nicht nur SPD-Politiker orteten eine "180-Grad-Wende" der CDU-Politikerin, die Koalitionspartner und Parteikollegen zeigten sich ebenfalls höchst irritiert. Ganz anders die Reaktion der internationalen Märkte: Nach den europäischen Börsen zeigte sich auch die US-Wall-Street in Feierlaune.

"Wir sind so daran gewöhnt, dass in der Regel nicht viel dabei herausgekommen ist", dass die Erwartungen an das jüngste Treffen sehr nach unten geschraubt worden seien, erklärte Art Hogan, Analyst bei Lazard Capital, zum Thema EU-Gipfel. "Da es jetzt den Anschein hat, dass es ein Ergebnis gibt, ist das ein wirklich positiver Impuls für die Märkte." Je näher Europa einer Bankenunion käme, desto näher rücke die Fiskalunion.

Die New Yorker Aktienbörsen beendeten ihre Sitzung dann auch klar im grünen Bereich. Der Dow Jones Industrial Index kletterte um 277,83 Punkte oder 2,20 Prozent nach oben auf 12.880,09 Einheiten. Der S&P-500 Index gewann 33,12 Punkte (plus 2,49 Prozent) auf 1.362,16 Zähler und der Nasdaq Composite Index zog um deutliche 85,56 Einheiten oder 3,00 Prozent auf 2.935,05 Zähler an.

Zuvor hatten bereits praktisch alle europäischen Börsen ein wahres Kursfeuerwerk abgefeuert. Der Euro-Stoxx-50 legte etwa deutlich um 107,10 Einheiten oder 4,96 Prozent auf 2.264,72 Zähler zu. Zudem ließen die angekündigten kurzfristigen Hilfen für Italien und Spanien die Renditen für Staatsanleihen der beiden Länder deutlich sinken. Die Zinsen spanischer zehnjähriger Papiere sanken um mehr als 0,5 Prozentpunkte, italienischen Renditen fielen deutlich unter sechs Prozent.

SPD spricht von 180-Grad-Wende
Vertreter der SPD sprachen von einer 180-Grad-Wende der Kanzlerin auf dem EU-Gipfel in Brüssel und stellten in einer ersten Reaktion ihre Zustimmung zum Euro-Rettungsschirm ESM im Bundestag am Freitag infrage. Später signalisierte Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier allerdings doch zustimmen zu wollen. Der Chef der deutschen Sozialdemokraten, Sigmar Gabriel, bezeichnete dann in der Bundestags-Debatte das Einlenken der Kanzlerin beim EU-Gipfel sogar als längst überfällig. Die Beschlüsse zu möglichen Milliardenhilfen für kriselnde Länder minderten den Zinsdruck auf diese Staaten. Merkels bisheriges Spardiktat sei "krachend gescheitert", erklärte er in seiner Rede.

Auch bei Koalitionsabgeordneten von Union und FDP riefen die Beschlüsse Irritationen hervor, zumal die Kanzlerin in den Tagen zuvor Unnachgiebigkeit signalisiert hatte. Hier wurde vorübergehend eine Verschiebung der ESM-Abstimmung erwogen. Sowohl der europäische Fiskalpakt für mehr Haushaltsdisziplin als auch der ESM wurden gegen 22 Uhr dann jedoch mit deutlicher Mehrheit abgesegnet. Mit einigen Ausnahmen stimmten sowohl die Koalitionsfraktionen von Union und FDP wie auch die Oppositionsfraktionen von SPD und Grünen bei beiden Punkten mit. Lediglich die Linke stimmte sowohl gegen ESM als auch gegen den Fiskalpakt.

"Erneuter Bruch der bisherigen Prinzipien"
Zuvor hatte CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach im Deutschlandfunk erklärt, dass durch die Beschlüsse vom Donnerstag die Europäische Währungsunion zu einer Haftungsunion ausgeweitet werde. Der Präsident des CDU-Wirtschaftsrats, Kurt Lauk, kritisierte, die Beschlüsse seien "ein erneuter Bruch mit den bisherigen Prinzipien, Hilfen nur gegen tatsächliche Reformen und konkretes Sparen zu gewähren". Der als Euro-Kritiker bekannte FDP-Abgeordnete Frank Schäffler bemängelte erneut den Zeitdruck, unter dem die Gesetze verabschiedet würden.

Merkel antwortete hingegen bei einer abschließenden Pressekonferenz in Brüssel auf die Frage, ob die überraschend vereinbarte direkte Finanzhilfe aus dem ESM an marode Banken betroffener Staaten mit den Entwürfen für den Bundestag gedeckt sei: "Ja, 100 Prozent." Sie versicherte erneut, dass jede Veränderung im ESM vom Bundestag abgesegnet werden muss.

Hilfen auch ohne Sparprogramm möglich
In einer Nachtsitzung hatten sich die Staats- und Regierungschefs der 17 Euro-Länder auf Hilfen für die angeschlagenen Partner Spanien und Italien geeinigt. Länder mit guter Haushaltsführung können vom Sommer an - ohne zusätzliche Sparprogramme - Unterstützung aus den Schirmen EFSF und ESM erhalten. Zudem hatten sich die Euro-Länder auf die Schaffung einer unabhängigen gemeinsamen Bankenaufsicht unter Einbeziehung der Europäischen Zentralbank geeinigt.

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