"Vertrauenssache"

Hinter den Kulissen der Zeitnehmung im Ski-Weltcup

Sport
01.02.2012 15:16
Bunte Kabelwulste umwickeln rot-graue Hightech-Apparate, um ihnen permanent hochsensible Signale abzuzapfen. Daneben schmiegen sich unzählige Laptops fugenlos aneinander, an denen französischsprachige Mitarbeiter an der TV-gerechten Aufbereitung der monströsen Datenmengen feilen. krone.at wühlte sich am Rande eines Weltcuprennens durch die mobile Zentrale von "Longines", dem offiziellen Zeitnehmungspartner der FIS, um dem Geheimnis von Hundertstel-Sekunden beim Skifahren auf die Schliche zu kommen.

Heute noch muss sich der blonde Feschak von süffisant veranlagten Kumpeln als "Hundertstel-Hans" papierln lassen. Der WM-Super-G 1999 in Vail hat Hans Knauß zum tragischen Helden gemacht: Eine einzige Hundertsel-Sekunde fehlte dem kernigen Steirer damals zum größten Triumph seiner Karriere: WM-Gold. Stattdessen reichte es nur für Bronze - weil vor ihm Hermann Maier und Lasse Kjus mit der auf die Hundertstel-Sekunde genau gleichen Zeit an die Spitze gerast waren.

Wenngleich Knauß zum vielleicht bedauernswertesten Opfer ihrer brutalen Gnadenlosigkeit wurde – ohne am Bildschirm mittickernde Zeit- und Geschwindigkeitsmessung wäre die Live-Übertragung eines Skirennens vor allem eines: fad.

Tonnenweise Material
Wie sehr bei der Zeitnehmung eine technische Revolution die nächste jagt, weiß niemand besser als Peter Hürzeler, seines Zeichens Zeitnehmungsexperte bei Swisstiming. "Als ich im Jahr 1970 beim Slalom in Wengen mit der Zeitmessung begonnen habe, benötigten wir 350 Kilogramm Material – heute sind es über vier Tonnen", erklärt der 73-jährige Schweizer in beruhigend-liebenswürdigem Schwyzerdütsch, während er sich durch die Zeitnehmungszentrale direkt neben dem Zielhang schlängelt: "Wir betreiben heute also einen enormen Aufwand, um allen Anforderungen gerecht zu werden: den der Skifahrer, des Verbands, des Fernsehens und der Zuschauer."

Dabei läuft ohne Unmengen an Kabeln gar nichts. "Wir sind mit dem Starthaus, mit den Zwischenzeiten und mit dem Ziel jeweils mit Kabeln verbunden. Funk wäre viel zu gefährlich. Man stelle sich vor, wir haben eine Frequenz, die womöglich ein Wilder auch hat – dann ginge gar nichts mehr."

Ein Hauptgerät, zwei Backup-Geräte
Das Hauptgerät, es ähnelt von seiner Optik her ein wenig einem überdimensionalen EKG-Gerät, spuckt die Zeit, die der Läufer beim Durchqueren des Lichtschrankens auslöst, bis auf Zehntausendstel-Sekunden genau aus. "Das interessiert aber niemanden", sagt Hürzeler, "gültig sind Zeiten beim Skifahren ja nur bis auf Hundertstel-Sekunden". Vom Hauptgerät, das für alle Fälle von zwei Backup-Geräten abgesichert wird, werden die Zeiten an das sogenannte Data-Handling weitergeleitet. Dort werden in Windeseile sämtliche Ergebnisse, Ranglisten und Weltcuppunkte errechnet und sowohl der FIS als auch TV-Stationen zur Verfügung gestellt.

Die Vorbereitung auf eine Abfahrt starten bei "Longines" drei Tage, bei einem Slalom zwei Tage vor dem Rennen. Pannen passieren fast nie. "Wir sind mit einem Backup-Gerät und zwei weiteren mobilen Geräten abgesichert, da dürfte nichts passieren. Trotzdem bleibt die Zeitmessung natürlich Vertrauenssache", sagt Hürzeler.

1952 gab's erstmals Hundertstel-Sekunden
Als größte technische Revolution bezeichnet der Doyen der Zeitmessung nicht etwa die Einführung des Lichtschrankens in den 1940er-Jahren, sondern die Erfindung des mechanischen Druckers, der 1952 zum ersten Mal Zeiten in Hundertstel-Sekunden ausspuckte. "Und im Jahre 1969", so Hürzeler, "wurde die Zeit erstmals live im Fernsehen eingeblendet". Als weniger erfolgreiche Innovation erwies sich hingegen die virtuelle Linie des jeweils Führenden, die im Vorjahr – so wie beim Schwimmen – eingeführt wurde.

Wohin sich die Zeitnehmung noch entwickeln wird? "Wir sind daran, etwas zu entwickeln, mit dem man die Zeit schon kennt, bevor der Läufer überhaupt noch gestartet ist", scherzt Hürzeler: "Aber das wird sich nie ergeben." Wäre aber sicher interessant.

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(Bild: KMM)



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