Dutzende Tote

Ägypten wird wieder zum Hexenkessel

Ausland
22.11.2011 14:20
Dutzende Todesopfer, Hunderte zum Teil schwer Verletzte: Ägypten ist wieder zum Hexenkessel geworden. Der neue Aufstand in den Großstädten richtet sich gegen den Militärrat, der das größte arabische Land seit dem Sturz von Diktator Hosni Mubarak regiert. Die Protestbewegung fühlt sich um ihre Revolution betrogen. Am Montagabend reichte zwar immerhin die Übergangsregierung ihren Rücktritt ein, doch ob sich die Lage nun beruhigt, darf bezweifelt werden.

Bei den schwersten Unruhen seit dem erzwungenen Rücktritt von Mubarak im Februar sind nach Angaben von Aktivisten bis Dienstagnachmittag bereits mindestens 33 Menschen getötet und über 400 weitere Personen zum Teil schwer verletzt worden. Auch in der Nacht auf Dienstag harrten wieder Tausende Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo aus und forderten die Ablösung von Militärratschef Mohammed Hussein Tantawi. Rund 38 Oppositionsgruppen riefen zum Massenprotest auf.

Übergangsregierung reicht Rücktritt ein
Die Übergangsregierung von Ministerpräsident Essam Sharaf hatte zuvor ihren Rücktritt eingereicht. Offen bleibt jedoch, ob der Militärrat den Rücktritt akzeptieren wird. Ein Militärsprecher sagte der regierungsnahen Nachrichtenwebsite "Al-Ahram Online", der Rat habe noch keine Entscheidung gefällt. Angeblich wollen die Generäle erst einen neuen Ministerpräsidenten suchen, bevor sie Sharaf und seine Mannschaft ziehen lassen.

Der im März angetretene Sharaf war anfangs sehr beliebt bei den pro-demokratischen Kräften seines Landes. Im Laufe der Monate wuchs jedoch die Enttäuschung, weil sich die Regierung gegenüber dem Militärrat als machtlos erwies und Reformen nur langsam anging.

Problematische Parlamentswahlen
Am 28. November sollen in Ägypten die Parlamentswahlen beginnen, die - in mehreren Phasen - bis März dauern sollen. Basierend auf einem Wahlgesetz, das auch erfahrene Demokraten überfordern würde, und in einem Land, in dem ein gutes Drittel der Bevölkerung nicht lesen und schreiben kann. Kontrollieren sollen die Wahlen Tausende Richter, die aber bereits angekündigt haben, das möglicherweise nicht zu tun - aus Angst um ihre Sicherheit.

Nicht unverständlich, soll diese Sicherheit doch von jenem Militär gewährleistet werden, das gerade wieder auf das eigene Volk schießen lässt. Doch selbst wenn diese Parlamentswahlen - zu denen mehr als 50 Parteien antreten - halbwegs geordnet ablaufen sollten, will der Militärrat nicht abtreten, und wenn doch, dann frühestens nach den für 2013 geplanten Präsidentschaftswahlen. Aber selbst dann will sich die Armee in wichtigen Fragen das letzte Wort vorbehalten.

Von dem im Februar gegebenen Versprechen der Generäle, die Macht nach sechs Monaten abzugeben, ist fast zehn Monate später also keine Rede mehr. Den Streitkräften, die über ein gewaltiges Industrie-Imperium verfügen und von 1,3 Milliarden Dollar US-Militärhilfe jährlich profitieren, wird vorgeworfen, Mubaraks alte Seilschaften an der Macht zu halten. Tantawi selbst war 20 Jahre lang Verteidigungsminister unter dem vertriebenen Machthaber. Zudem werden dem Militär schwere Menschenrechtsverletzungen und Folter zur Last gelegt.

Planlose Revolutionäre, organisierte Islamisten
Die Revolutionäre vom zentralen Kairoer Tahrir-Platz, der das Zentrum des Volksaufstands war, fühlen sich um ihre Revolution betrogen. Doch daran sind sie selbst auch nicht ganz schuldlos. Denn sie haben zwar Mubarak gestürzt, die politische Basisarbeit in der Folge aber völlig verschlafen.

Die einzige Organisation, die bis ins kleinste Dorf vernetzt ist, sind die Islamisten, die in dem Land mit seinen 85 Millionen großteils verarmten Einwohnern Spitäler und Suppenküchen betreiben. Die Moslembrüder sind beim Aufstand gegen den auch ihnen verhassten Mubarak nie an vorderster Front gestanden, sie haben die Revolution aber als Einzige für sich zu nutzen gewusst.

Und die Krux an der völlig verfahrenen Situation ist, dass ausgerechnet das jetzt wieder so brutal agierende Militär der bislang einzige Garant für ein halbwegs säkulares Ägypten ist, auch wenn die Generäle bloß aus Eigennutz handeln, um ihre Pfründe zu sichern. Der neue Aufstand der frustrierten Revolutionäre auf dem Tahrir-Platz wird deshalb weitergehen. Doch es fehlt ihm die Aufbruchsstimmung, die Hoffnung, die noch im Februar überall zu spüren war - stattdessen regiert jetzt die Gewalt.

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