'Beklemmendes Gefühl'

Nazi-Terror: Waren auch Politiker auf der Abschussliste?

Ausland
16.11.2011 22:54
Bei den Ermittlungen zum rechtsextremen Terror in Deutschland gibt es immer mehr offene Fragen. Darunter auch, ob und warum Politiker im Visier des Neonazi-Trios gewesen sind. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Jerzy Montag (Bild) erklärte am Mittwoch, dass sein Name ebenso wie der des CSU-Abgeordneten Hans-Peter Uhl auf einer Liste stand, die auf einem USB-Stick im abgebrannten Wohnhaus der mutmaßlichen Rechtsterroristen in Zwickau gefunden wurde.

Insgesamt standen laut Montag 88 Posten auf der Liste: Namen, Organisationen und andere Angaben. "Das ist ein sehr beklemmendes Gefühl", sagte Montag. "Die wollten mir sicher keine Weihnachtsgrüße schicken." Nach Ansicht Uhls ist es kein Zufall, dass er und Montag beide aus München stammten. "Da muss es einen Link nach München geben."

Das Bundeskriminalamt bestätigte den Fund der Liste. Es gebe aber nach bisherigen Ermittlungen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Liste des Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Zusammenhang mit konkreten Anschlagsplänen stehen könnte.

Das Trio wird für zehn Morde verantwortlich gemacht: An acht türkischstämmigen Männern, einem Mann griechischer Herkunft und einer jungen Polizistin. Mundlos und Böhnhardt sind mittlerweile tot, sie haben sich laut Polizei selbst umgebracht. Zschäpe sitzt in Untersuchungshaft in Köln und wolle nun am Donnerstag aussagen, erklärte ein Sprecher des NRW-Justizministeriums am Mittwoch.

Immer mehr Ermittlungspannen
Bei der bayerischen Polizei gab es laut Medienberichten bei den Ermittlungen zur Mordserie schon früh den Verdacht auf einen rechtsextremistischen Hintergrund. Beamte der Nürnberger Sonderkommission "Bosporus" hätten deshalb bereits vor Jahren alle deutschen Verfassungsschutzämter gezielt um Informationen über auffällige Personen aus dem rechtsextremen Milieu gebeten, sagte einer der leitenden SOKO-Mitarbeiter, Uwe Jornitz, am Mittwoch in einer Dokumentation der ARD-Politikmagazine "Fakt", "Report Mainz" und "Report München".

In Niedersachsen wurde der als mutmaßlicher Komplize festgenommene Holger G. bereits 1999 als möglicher Terror-Helfer observiert. Der Fall wurde aber nicht weiterverfolgt. Fälschlicherweise sei der heute 37-Jährige lediglich als Mitläufer eingestuft worden, sagte Verfassungsschutzpräsident Hans Wargel in Hannover. Innenminister Uwe Schünemann sagte: "Hier drängen sich einige Fragen auf, warum beim Begriff Rechtsterrorismus nicht alle Alarmglocken angegangen sind."

In Baden-Württemberg wurde wiederum bekannt, dass die Polizei am Tag des Mordes an der Polizistin Michéle Kiesewetter in Heilbronn ein Wohnmobil mit einem Kennzeichen aus Ostdeutschland notierte. Nach dpa-Informationen wurde nun festgestellt, dass der Anmieter Holger G. war. Wäre damals intensiv ermittelt worden, wer das Fahrzeug gemietet hatte, hätte die Polizei auf die Spur der Terrorgruppe kommen können, berichtete dazu der "Tagesspiegel" mit Bezug auf Überlegungen in Sicherheitskreisen. Holger G. sitzt derzeit in Untersuchungshaft. Er soll dem mutmaßlichen Zwickauer Terror-Trio 2007 seinen Führerschein und Reisepass zur Verfügung gestellt und mehrfach Wohnmobile angemietet haben.

Regierung beruft Krisengipfel ein
Nach den neuen Berichten über Pannen bei den Ermittlungen hat die deutsche Bundesregierung einen Krisengipfel einberufen. Innen- und Justizminister aus Bund und Ländern treffen sich am Freitag in Berlin mit den Spitzen der Sicherheitsbehörden. Bundeskanzlerin Angela Merkel verlangte erneut Konsequenzen. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte am Mittwoch: "Wir haben eine Verantwortung aufzuklären und womöglich eine Verantwortung, Konsequenzen zu ziehen."

Bundespräsident Christian Wulff erklärte: "Ich bin erschüttert und teile die Empörung der Menschen in unserem Land." Wulff will die Angehörigen der Neonazi-Mordopfer zu einem Gespräch nach Berlin einladen. Es würden sich die Fragen stellen, ob die Bundesrepublik den Opfern und ihren Hinterbliebenen gerecht geworden sei und die Protagonisten rechtsextremer Kreise ausreichend beobachtet wurden. "Haben wir uns möglicherweise von Vorurteilen fehlleiten lassen?", so der Präsident.

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