"Krone"-Interview

Ist Europa noch zu retten, Herr Portisch?

Österreich
18.10.2011 18:18
Weltweite Demos, wankende Banken und eine ratlose EU: In seinem neuen Buch analysiert Hugo Portisch mit Scharfblick den Ernst der Lage. Masterplan inklusive.

84 Jahre und kein bisschen leise. Wer gedacht hat, Hugo Portisch habe sich zurückgezogen und schreibe nur noch Bücher über Pilze und Oliven, hat sich getäuscht. "Was jetzt" - ohne Fragezeichen - heißt sein neues Werk, das Dienstagmittag in Wien vorgestellt wurde. Im Interview bleibt der Doyen des österreichischen Journalismus keine Antworten schuldig.

"Krone": Herr Dr. Portisch, hat man Sie bekniet oder war es Ihr ureigener Wunsch, dieses Buch zu schreiben?
Hugo Portisch: Das ist seit vielen Jahren mein Anliegen. Der Friede in Europa ist für alle selbstverständlich, aber die EU das Feindbild. Das geht nicht.

"Krone": Am Sonntag, beim großen EU-Gipfel, beraten die Staats- und Regierungschefs, wie es weitergehen soll. Was müsste da passieren?
Portisch: Die EU muss die Finanzmärkte regulieren, sonst werden wir ernste Zeiten erleben. Dann werden sich diese Demonstrationen immer mehr ausweiten und die Grundfesten der Gesellschaft erschüttern. Diese Bewegung richtet sich ja nicht gegen die EU, sondern gegen die globalisierte Finanzwelt. Heute kann man auf Knopfdruck Milliarden verschieben und so Banken, Unternehmen, ja sogar ganze Länder in die Krise stürzen. Und die Ratingagenturen fördern das noch.

"Krone": Finden die Spekulanten nicht immer ihre Schlupflöcher?
Portisch: In London City und an der New Yorker Wall Street finden sie volle Unterstützung. Ich bezweifle, ob man England mit seiner "Splendid isolation"-Politik dazu bringen kann, diese heilige Kuh zu schlachten. Ich fürchte, die EU muss eine Formel finden, dem wilden Treiben der Finanzspekulation trotzdem ein Ende zu setzen.

"Krone": Sie sprechen von "ernsten Zeiten". Wie hoch schätzen Sie das Risiko ein, dass es zu Unruhen kommt?
Portisch: Immer wenn Anleihen an arme Länder vergeben wurden, hat das zu sozialen Unruhen geführt, Bürgerkriege ausgelöst. Ich habe es gewagt zu behaupten, dass es auch heute zu revolutionären Umbrüchen kommen kann, wenn nicht gehandelt wird.

"Krone": Wird aus "Occupy Wall Street" eine neue Jugendbewegung?
Portisch: Ja, das halte ich für möglich. Das ist eine intelligente Bewegung, deshalb muss man sie sehr ernst nehmen. So wie man die Griechen ernst nehmen muss, die ja in Wahrheit gegen ihre eigene Regierung auf die Straße gehen.

"Krone": Sollte man den Griechen die Schulden erlassen?
Portisch: Bitte, so pleite wie Griechenland waren wir, war Österreich 1922, nur noch ein bisschen ärger! Wir haben unsere Schulden auf Heller und Pfennig zurückgezahlt. Aber es hatte auch verheerende Folgen. Österreich musste 100.000 Beamte entlassen, das ist eine gewaltige Zahl, Spitäler und Schulen wurden geschlossen, der Sozialabbau hat zu einem scharfen Ton in der Innenpolitik geführt, und die Arbeitslosigkeit ist rasant gestiegen. Mehr hat der Hitler nicht gebraucht. Golo Mann hat gesagt: Man muss die Geschichte kennen, um Schlüsse zu ziehen.

"Krone": Welche Schlüsse ziehen Sie in Ihrem Buch?
Portisch: Mein Buch ist ein Mutbuch, kein Wutbuch. Es zeigt auch die Schuld der EU auf, die sich an eigene Vorschriften und Gesetze nicht gehalten hat. Für ihre Repräsentanten haben die nationalen Regierungen wirklich die Schwächsten der Schwachen ausgesucht. Blöd, ich habe vergessen, das zu schreiben. Bei der nächsten Auflage brauche ich mindestens zehn Seiten mehr.

"Krone": Ist Europa noch zu retten?
Portisch: Goethe hat gesagt: Alles auf der Welt kommt auf einen gescheiten Einfall und auf einen festen Entschluss an. Der gescheite Einfall war die Gründung der EU. Es ist falsch zu glauben, wir hätten unseren heutigen Wohlstand, unsere soziale Sicherheit, unsere wirtschaftlichen Möglichkeiten ganz allein geschafft. Dazu bedurfte es einer jahrzehntelangen Anstrengung Europas, vor allem auch der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe. Also wird es wichtig sein, den stark verschuldeten Staaten Geld zu geben, ohne sie zu strangulieren und kaputt zu machen. Griechenland, Italien, Spanien.

"Krone": Aber die Leute verstehen nicht, warum man Staaten, in denen das Einkommen vielleicht sogar höher ist, immer neues Geld geben soll.
Portisch: "Wir armen Teufel sollen das zahlen" - aus der Sicht eines ehemaligen Ostblocklandes verstehe ich diese Haltung. Aber wenn man in einer Gemeinschaft ist, steht einer für den anderen ein. Das war auch so, als Österreich den Marschallplan bekommen hat.

"Krone": Macht es Ihnen Sorgen, dass Österreich so mit seinen Skandalen und Korruptionsfällen beschäftigt ist, dass für die wichtigen Fragen keine Zeit mehr bleibt?
Portisch: Österreich war in der Nabelbeschau immer tüchtig, aber selten hat dieses Land über den Tellerrand geblickt. Dass die Korruptionsfälle parlamentarisch verfolgt werden, ist eine sehr gute Sache.

"Krone": Herr Dr. Portisch, was ist Ihre prägendste Erinnerung an Hans Dichand?
Portisch: Wir waren zwei arme Jungjournalisten, die gerne Tennis gespielt hätten. Aus einem Leintuch, das meine Mutter geopfert hat, ließen wir uns Hosen schneidern. Aber kein Klub hat uns genommen. "Wer seid ihr schon?" Diese Frage höre ich heute noch. Wir haben das beide bis ins hohe Alter nicht vergessen.

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