Insel-Blutbad

Utöya-Überlebende erzählen vom Grauen

Ausland
26.07.2011 09:14
"Erschieß mich nicht. Du hast jetzt genug geschossen. Du hast meinen Papa getötet, ich bin zu jung zum Sterben" - mit diesen Worten hat ein kleiner Bub auf der norwegischen Ferieninsel Utöya den Attentäter Anders Behring Breivik um Gnade gebeten, berichtet Adrian Pracon, der das Jugendcamp dort mitorganisiert hat. Der Kleine hat das Massaker überlebt, genau wie Pracon und viele andere Jugendliche, die jetzt vom Grauen erzählen.

Die 16-jährige Ingvild Stensrud lag mit toten Menschen auf und unter sich auf einer Wiese - sie hörte, wie der Attentäter zwischen den Schusssalven jubelte. "Ich tat, als sei ich tot", sagt sie dem Fernsehsender NRK. Dann habe sie gehört, wie Breivik seine Waffe nachlud: "Das war der schlimmste Augenblick in meinem Leben." Breivik schoss ihr in den Fuß, alle um sie herum starben. Nach einer halben Stunde hätten nach und nach alle Handys angefangen zu läuten. "Es klingelte und klingelte, aber keiner ging ran. In dem Augenblick war ich mir sicher, dass ich die einzige Überlebende bin."

Breivik richtete ein unfassbares Blutbad an. In etwas mehr als einer Stunde - von kurz nach 17 Uhr bis 18.27 Uhr, als er von der Polizei festgenommen wurde - tötete der 32-Jährige mindestens 68 Menschen, darunter viele Jugendliche. Im kleinen Norwegen mit einer Einwohnerzahl von nicht einmal fünf Millionen dürfte fast jeder eine Verbindung zu den Opfern haben. Breivik habe Projektile genutzt, die im Körper zerbarsten und riesige Schäden anrichteten, sagte der Chirurg Colin Poole der Zeitung "Dagbladet". "So etwas habe ich noch nie gesehen."

"Jedes Mal schoss eine rote Fontäne empor"
Viele der Camp-Teilnehmer waren vor dem Attentäter in das die Insel umgebende Wasser geflüchtet. Jedes Mal, wenn Breivik einen der um ihr Leben schwimmenden Jugendlichen getroffen habe, sei eine rote Fontäne aufgespritzt, sagte Organisator Pracon. Diejenigen, die sich in den See retten konnten, hätten sich nicht getraut, ans Festland zu schwimmen, erzählt Tim Viskjer. "Wir hatten Angst, dass auf der anderen Seite jemand wartet, der auch auf uns schießt."

Sie alle hätten die Hölle auf der Insel erlebt, beschreibt auch der 19-jährige Tarjei Jensen Beck: "Stell dir den schlimmsten Horrorfilm vor, aber du bist selber mittendrin." Als der Attentäter auf ihn geschossen habe, sei er eine mehr als 15 Meter hohe Klippe heruntergestürzt und bewusstlos liegengeblieben. Sechsmal war er schon auf Utöya - "Sonne, Gesang und Idylle" sei das immer gewesen - bis Freitag die Hölle ausbrach.

Koch versteckte sich in zwei Grad kalter Kühlkammer
Ferienlager-Koch Peter Dyredal Nielsen versteckte sich in der Kühlkammer im Gemeinschaftshaus - stundenlang bei zwei Grad. "Ich wartete darauf zu sterben. Der Körper ging in den Überlebensmodus", sagte er dem "Dagbladet".

Auch Nicoline Bjerge Schie überlebte das Massaker. Jetzt graut ihr vor den Beerdigungen ihrer Freunde. Das schlimmste sei, die Eltern und Angehörigen der Toten zu sehen, während sie überlebt habe.

Auch Mette-Marits Stiefbruder unter den Toten
Zu den Opfern des Massakers gehört auch ein Stiefbruder der norwegischen Prinzessin Mette-Marit. Wie die Zeitung "Dagbladet" berichtete, wurde der Polizist Trond Berntsen erschossen, als er den Attentäter überwältigen wollte. Der 51-Jährige hatte sich gemeinsam mit seinem zehnjährigen Sohn auf der Insel befunden. Vor seinem Eingreifen habe er den Bub in Sicherheit gebracht. Berntsens Vater war mit der Mutter Mette-Marits, Marit Tjessem, verheiratet. "Die Gedanken der Prinzessin sind bei den nächsten Angehörigen", sagte eine Hofsprecherin.

Alle Überlebenden sollten ihre grausamen Erlebnisse mit möglichst vielen Menschen teilen, fordern nun die Jugendlichen. "Die Leute da draußen müssen erfahren, wie es wirklich war." Sie würden weiter für ihre Werte kämpfen, betont Stine Renate Haheim. "Wenn ein Mann so viel Hass zeigen kann, stell dir vor, wie viel Liebe wir alle zeigen können."

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