krone.at-Interview

“World of Warcraft” am Pranger: Ein Ex-Spieler rechnet ab

Spiele
11.07.2011 10:57
Mit weltweit über zwölf Millionen Spielern und jährlichen Umsätzen in Milliardenhöhe ist Blizzards Online-Rollenspiel "World of Warcraft" (WoW) eines der erfolgreichsten Spiele überhaupt. Matthias Theiser freut das gar nicht. Der 21-jährige Amstettener war lange Zeit selbst begeisterter WoW-Spieler, bis er eines Tages die Sinnlosigkeit des Ganzen erkannte und statt zur Maus zum Stift griff. In seinem Büchlein "World of Warcraft am Pranger: Quo vadis, Computerspiele-Branche?" rechnet er jetzt auf ganz persönliche Art mit der Fantasywelt Azeroths ab. Im Interview mit krone.at sprach der junge Autor über die Tücken endlosen Spielvergnügens, die Sucht beim Spielen und darüber, was ein wirklich gutes Spiel eigentlich auszeichnet.

krone.at: Wie viele Stunden haben Sie durchschnittlich pro Tag mit WoW verbracht und was war für Sie der ausschlaggebende Moment, damit aufzuhören?
Matthias Theiser: Ich habe einmal mehr, einmal weniger gespielt. Je nachdem, wie viel Freizeit ich hatte. Denn Freizeit hieß WoW-Zeit. Gespielt wurde zwischen Schule, Schlafen und Essen. Und so striegelt man seine Lebenszugpferde zu ultimativen Kampfmaschinen, die selbst die mächtigsten Drachen vom Himmel holen und dem realen Selbst irgendwie vorgaukeln, alles sei in bester Ordnung. Bis man dann den Mut aufbringt, die Zügel loszulassen und seine Pferde im Staub davongaloppieren.

krone.at: Spielen Sie WoW heute noch gelegentlich?
Theiser: Nein, ich bin clean! Aktuell spiele ich gelegentlich "Portal 2" auf der PS3. Und zwar deshalb, weil mir das Spiel großen Spaß macht, ich die Arbeit der Entwickler überaus schätze und ich davon ausgehen kann, mich nicht in einem Strudel endlosen Spielvergnügens zu verlieren.

krone.at: Die in WoW erworbenen bzw. dafür benötigten "Fähigkeiten" sind Ihrer Meinung nach für das reale Leben bedeutungslos, haben also keinen praktischen Nutzen. Ist dies nicht etwas, das WoW mit vielen anderen Hobbys wie etwa dem Modellbau oder dem Sammeln von Briefmarken gemein hat?
Theiser: Um Modellbauer oder Briefmarkensammler zu sein, braucht es schon eine hohe Affinität, Liebe und Ausdauer zu genau jenen Leidenschaften. Um ein WoW-Spieler zu sein, braucht es - ja genau, was braucht es eigentlich? Und außerdem habe ich an keiner Stelle behauptet, dass das exzessive Modellbauen und/oder Briefmarkensammeln nicht weniger bedeutungslos wäre - wenn es nicht gerade zur Selbstverwirklichung beiträgt.

krone.at: Aber was ist so schlimm daran, ein Spiel wie WoW zum Hobby zu haben?
Theiser: Es ist nicht schlimm, ein Spiel wie WoW als Hobby zu haben, sondern ein Spiel wie WoW als Barrikade zu Hobbys zu haben.

krone.at: Gibt es denn Ihrer Meinung nach überhaupt positive Seiten an WoW?
Theiser: Ein guter Freund sagte mir einmal nach einem Streit seiner Eltern und einer verkorksten Schularbeit, dass ihn WoW davon ablenke, darüber nachzudenken. Entscheiden Sie selbst, ob das etwas Positives ist. Oh, und WoW macht Spaß - jedenfalls so lange, wie man das wirklich glaubt.

krone.at: Was würden Sie all jenen raten, die ihre Zeit mit WoW und Co verbringen?
Theiser: Nach der Maslowschen Bedürfnispyramide zu googeln und sich dann selbst zu fragen: Wo möchte ich hin? Wo stehe ich jetzt? Und wie förderlich sind dabei meine täglichen Streifzüge durch die Länder Azeroths?

krone.at: Ab wann würden Sie von Computerspielsucht sprechen und wie äußert sich diese Ihrer Meinung nach?
Theiser: Die Grenze hierfür ist fließend und nicht fest definierbar. Das Hauptproblem spiegelt sich in der allgemeinen Problematik potentieller Suchtgefahren wider. Der Konsum macht Spaß, die Aufwände sind gering und die Erfolge, welcher Natur auch immer, schnell und intensiv spürbar. Blöd nur, dass die Worte "Alles hat ein Ende" sich irgendwann bestätigen und man plötzlich wieder in dieser anderen Welt steht, dieser herzlosen realen Welt, die über die Zeit Risse einbüßen musste.

krone.at: Laut einer im Februar 2011 veröffentlichten Studie der Landesanstalt für Medien NRW gelten "nur" 0,5 aller Computerspieler als "abhängig", weitere 0,9 Prozent als "gefährdet". Wird das Problem Ihrer Meinung nach verharmlost?
Theiser: Dazu reicht die studieneigene Stellungnahme zur unklaren Validität dieser Zahlen und die darauf folgenden erklärenden Zeilen: "Deutlich aufschlussreicher sind in dieser Hinsicht die qualitativen Interviews. Sie zeigen, dass der Grat zwischen intensiver, extensiver oder exzessiver Nutzung schmal sein kann, auch und gerade weil es keinen allgemeingültigen Maßstab gibt."

krone.at: Neben WoW und der damit einhergehenden "Lebensuntüchtigkeit" kritisieren Sie in ihrem Buch auch das Modell der herunterladbaren Zusatzinhalte für Spiele. Was stört Sie daran?
Theiser: Gegenfrage: Was würde Sie daran stören, wenn man Milch künftig mit Wasser streckt? Es geht wie in vielen Bereichen um das Preis-/Leistungsverhältnis. Aber nicht nur dem Kunden zuliebe, sondern in weiterer Folge dem Qualitätserhalt der Leistung der jeweiligen Branche. Weil, streckt der eine seine Milch und verkauft sie trotzdem munter weiter, lassen die anderen nicht lange auf sich warten. Die Folge: Alle verkaufen gestreckte Milch.

krone.at: Ist es bei Preisen von 60 Euro und mehr für ein Spiel nicht gerechtfertigt, dass Spieler möglichst lange damit ihre Freude haben können?
Theiser: Qualität statt Quantität, lautet die Devise. Und wenn ich sehe, wie viel entwicklerische Cleverness und liebevolle Hingabe in ein Spiel wie "Half Life 2" dazumal flossen, dann blutet mir regelrecht das Herz, wenn sich die Spieler der Nation heutzutage an polygonarmen 20-Euro-Reittieren ergötzen und der Spieleinhalt zu einer flauen Pfütze finanzsteigernder Systematiken heranwächst.

krone.at: Was zeichnet Ihrer Meinung nach ein gutes Computerspiel aus?
Theiser: Ein Computerspiel soll mich unterhalten, und zwar wie ein Film im Kino. Actionreiche Explosionen sollen mir das Blut in den Adern gefrieren lassen, gefühlspotente Trauer- und Freudenspiele sollen mir den Atem rauben. Aber dann soll ich mich in die reale Welt zurückbegeben und laut verkünden können: "Das war der Hammer!" Was ein Spiel keinesfalls beinhalten sollte, sind psychologische Mechanismen, die sich fuchslistig um die sozialen Schwachstellen der Menschen schlängeln und sich wie Unkraut über ihr Leben ausbreiten.

krone.at: Vielen Dank für das Gespräch.

"World of Warcraft am Pranger: Quo vadis, Computerspiele-Branche?" von Matthias Theiser ist in allen Bibliotheken und bei Online-Händlern für 6,80 Euro erhältlich.

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