Bin-Laden-Tötung

Empörung von Pakistan über US-Aktion nur Show?

Ausland
11.05.2011 10:44
Es ist ein Drahtseilakt, den Pakistans Premier Yousuf Raza Gilani im Falle der Tötung des Terrorpaten Osama bin Laden durch die USA vollführen muss: Washington verprellen kann er nicht, weil sein Land am finanziellen Tropf der Supermacht hängt. Seinem Volk - dem die Amerikaner verhasst sind - muss er zugleich deutlich machen, dass er eigenmächtige US-Operationen nicht dulden kann. Vor dem Parlament drohte ein aufgebrachter Gilani den USA im Wiederholungsfall offen mit Gegengewalt. Doch ein Medienbericht nährt nun Zweifel daran, wie echt die Empörung ist.

Unter Berufung auf anonyme Quellen aus beiden Ländern schreibt die britische Tageszeitung "The Guardian" in einem Bericht über ein angebliches Geheimabkommen zwischen dem früheren US-Präsidenten George W. Bush und dem ehemaligen pakistanischen Militärmachthaber Pervez Musharraf: Demnach hätten die beiden Staatschefs nach der Flucht Bin Ladens aus Afghanistan Ende 2001 vereinbart, dass die USA das Recht hätten, den Al-Kaida-Chef (im Bild ein Ausschnitt aus einem von den USA konfiszierten und freigegebenen Videos, das Bin Laden in seinem Versteck beim Fernsehen zeigt) eigenmächtig in Pakistan zu verfolgen. In einem solchen Fall würde Pakistan anschließend lautstark gegen den Einsatz protestieren - um sein Gesicht zu wahren.

"Lediglich das Abkommen umgesetzt"
Der "Guardian" zitiert eine hochrangige pakistanische Quelle, wonach Pakistans Armee das Abkommen im Februar 2008 erneuert habe. Damals war Musharraf noch Präsident, aber eine zivile Regierung war bereits gewählt. "Was unsere amerikanischen Freunde angeht, so haben sie lediglich das Abkommen umgesetzt", sagt der Pakistaner. Und ein mit dem Fall vertrauter Amerikaner meint nach Angaben des Blattes, die pakistanischen Proteste seien nur das "öffentliche Gesicht" der Vereinbarung: "Wir wussten, dass sie diese Sache dementieren würden."

Ob nur die Armee oder auch die Zivilregierung von dem Abkommen wusste - oder ob es diesen brisanten Deal in Wirklichkeit gar nicht gab, wird kaum zu belegen sein. Parallelen ließen sich möglicherweise zu den Drohnen-Angriffen ziehen, mit denen der US-Geheimdienst CIA Extremisten im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan bekämpft. Öffentlich verurteilt Islamabad die Einsätze unbemannter Flugzeuge, während Pakistans Militär unter der Hand einräumt, die Amerikaner mit Zieldaten zu versorgen.

Drohnen-Angriffe: "Werden protestieren, es dann ignorieren"
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Regierung in Islamabad warf auch eine von WikiLeaks veröffentlichte Depesche der damaligen US-Botschafterin Anne Patterson auf. Demnach berichtete sie an Washington, Premierminister Gilani habe einen Vorschlag seines Innenministers Rehman Malik abgelehnt, die Drohnen-Angriffe während einer pakistanischen Offensive gegen die Taliban im Jahr 2009 zu stoppen. Der Regierungschef habe gesagt: "Es ist mir gleich, wenn die Amerikaner es tun, solange sie die richtigen Leute treffen. Wir werden im Parlament protestieren und es dann ignorieren."

Obama soll Elitesoldaten brisante Vollmachten gegeben haben
Außer Frage steht dennoch, dass die Beziehungen zwischen Washington und Islamabad auf ihrem tiefsten Punkt seit dem 11. September 2001 angekommen sind. Die "New York Times" berichtete, die gegen Bin Laden eingesetzten amerikanischen Spezialeinheiten seien von Präsident Barack Obama autorisiert gewesen, sich den Rückweg aus Pakistan heraus notfalls freizuschießen. Obama habe bewusst eine militärische Konfrontation in Kauf genommen - mit Sicherheitskräften eines Landes, das offiziell immer noch ein Alliierter ist.

Pakistan kontert mit schmerzlichen Nadelstichen. Die "New York Times" berichtet über Ärger in der CIA über den vorgeblichen pakistanischen Partner, den Militär-Geheimdienst ISI. Der ISI, so schreibt das Blatt, habe einheimischen Medien nun zum zweiten Mal in fünf Monaten die Identität des jeweiligen CIA-Repräsentanten in Islamabad gesteckt. Die Enttarnung sei nach Einschätzung amerikanischer Behördenvertreter ein bewusster Versuch, die Arbeit des US-Geheimdienstes nach der Tötung Bin Ladens zu erschweren.

USA verschweigen Bande zwischen ISI und Terror
Doch um das fragile Verhältnis der USA zu Pakistan zu retten, kehren die Amerikaner sogar wichtige Indizien unter den Tisch, die enge Bande zwischen dem ISI und Terroristen belegen. Etwa in einem Prozess vor einem Bundesgericht in Chicago: Dort wurde vergangene Woche ein hochrangiger ISI-Offizier wegen seiner terroristischen Verbindungen angeklagt. Der Agent soll im Rahmen der blutigen Anschläge von Mumbai 2008 geholfen haben, sechs Amerikaner zu töten, berichtet die seriöse amerikanische Stiftung investigativer Journalisten "Pro Publica".

Ansonsten Funkstille: keine Mitteilung des Justizministeriums, kein Zeitungs-, TV- oder Radiobericht über diesen Prozess, der am 16. Mai beginnt. In der Anklageschrift wird nach Informationen von "Pro Publica" verwischt, dass "Major Iqbal" ISI-Spion ist. Dies gehe aber aus anderen Dokumenten der US-Regierung eindeutig hervor. Ebenfalls auf der Anklagebank sitzen drei hochrangige Mitarbeiter der pakistanischen Terrorgruppe Lashkar-e-Taiba, die für die Mumbai-Anschlagserie verantwortlich gemacht wird. Unter ihnen Sajid Mir, der das dreitägige Gemetzel per Telefon von Pakistan aus dirigiert hatte. Auch Mir hat den Informationen von "Pro Publica" zufolge Verbindungen zum ISI.

Und auch der Chef eines Beraterbüros für Einwanderer muss sich vor dem Chicagoer Gericht verantworten. Tahawwur Rana soll den Mumbai-Terroristen sein Büro zur Verfügung gestellt haben. Ranas Anwalt hat "Pro Publica" erklärt, sein Mandant habe sich in Sicherheit gewähnt, weil er der Annahme gewesen sei, er arbeite für Pakistans Geheimdienst und nicht für eine Terrorgruppe: "Für die USA ist die Entscheidung, was sie da preisgeben oder nicht, eine Gratwanderung", so Charles Swift. Ein anonymer Mitarbeiter der US-Regierung erklärte der Stiftung: "Ganz offensichtlich wird versucht, das Ganze ohne viel Aufsehen über die Bühne zu bringen. Es soll sichergestellt werden, dass das Verfahren die Beziehung zu Pakistan nicht eintrübt."

Lob und Kritik: Höchst ambivalente Beziehungen
Wie undurchschaubar die Beziehungen beider Länder tatsächlich sind, zeigen die jüngsten Aussagen Washingtons rund eine Woche nach dem Tod Bin Ladens: Die US-Regierung hat am Dienstag trotz aller Irritationen ernsthaft von "Fortschritten" bei der Lieferung von Informationen zu dem Terroristenführer durch Pakistan gesprochen. Die USA würden ihre Zusammenarbeit mit Islamabad fortsetzen, um jede mögliche Information zur Fortsetzung des Anti-Terror-Kampfes zu erhalten, sagte Außenamtssprecher Mark Toner. Das Weiße Haus sei "optimistisch, dass wir jegliches Hindernis überwinden und unseren Informationsaustausch erhöhen können".

Auch Obama hatte es in seinem CBS-Interview zur Kommandoaktion, die zur Tötung Bin Ladens führte, nicht versäumt, Pakistan für die Kooperation im Antiterrorkampf zu loben. Doch zugleich war seine Kritik deutlich: Er begreife nicht, wie es möglich gewesen sei, dass sich Bin Laden über fünf Jahre in einem Gebäude in derart prominenter Lage versteckt halten konnte. Und überdies sei das Bin-Laden-Anwesen in Abbottabad ausschließlich dafür gebaut worden, den Massenmörder zu verstecken.

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