Neue Rechen-Regeln

Schulden-Katze ist jetzt aus dem Sack: Defizit bei 4,6%

Österreich
31.03.2011 13:55
Gestern noch in greifbarer Nähe zu einem Maastricht-konformen Defizit, heute plötzlich meilenweit davon entfernt. Die EU-Statistikbehörde Eurostat hat die Bundesregierung zur Budgetwahrheit gezwungen, am Donnerstag ist man nun mit dem Schuldenzettel herausgerückt: Statt 3,6 Prozent liegt das Defizit für 2010 bei 4,6 Prozent - ein 15-Jahres-Hoch -, die Staatsverschuldung beträgt nunmehr 205,2 Milliarden Euro bzw. 72,3 Prozent des BIP. Die Regierung kramt indes ihre veralteten Schreckenszahlen von Anfang 2010 hervor und gibt sich gelassen.

Aufgrund neuer Regeln von Eurostat, die nach der Griechenland-Krise beschlossen wurden, musste die heimische Statistik Austria bei ihren Berechnungen große Teile der bisher außerbudgetär gehaltenen Verbindlichkeiten - z.B. für die zwar privatisierte, aber nach wie vor kräftig am Staatstropf nuckelnde ÖBB - in ihre Aufstellungen einbeziehen. Immerhin haftet ja Vater Staat bzw. seine Steuerzahler für sie.

Auch die Verbindlichkeiten der Landes-Krankenanstalten, der eine Milliarde Euro schwere Transfer für die "Bad Bank" der verstaatlichten Kommunalkredit sowie ein "kreativer" Schulden-Trick des Burgenlandes mussten zugerechnet werden. Außen vor blieben immerhin die Asfinag und die Bundesimmobiliengesellschaft.

Schuldenrucksack der ÖBB am größten
Der größte Brocken unter den Schuldentreibern in der neuen Defizit-Aufstellung sind die ÖBB. Von den insgesamt 2,89 Milliarden Euro, um die sich das Defizit 2010 erhöht, entfallen 1,27 Milliarden auf die Bahn, eine Milliarde Euro auf die Kommunalkredit-"Bad Bank", sowie 610 Millionen Euro auf die Krankenanstalten.

Beim gesamten Schuldenberg sieht es ähnlich aus, nur dass die Summen größer sind. Da gehen von 9,5 Milliarden Euro Zuwachs rund fünf Milliarden Euro für die Bahn drauf; bei der Kommunalkredit konnte die Regierung verhindern, dass der gesamte Schuldenstand von 15 Milliarden in die Berechnung gedrückt wird, womit dieser Posten bei Verbindlichkeiten von einer Milliarde Euro bleibt.

Fast drei Milliarden Euro steuern dafür die föderalen Krankenanstalten bei, wobei hier zwei Länder hauptverantwortlich sind: die Steiermark und Kärnten. Ein drittes "Sünder-Bundesland" tut sich mit einem besonders "kreativen" Auslagerungs-Manöver hervor und erhöht den Schuldenberg um weitere 440 Millionen Euro. Das Burgenland hat Forderungen aus Wohnbaudarlehen an eine ausgegliederte Gesellschaft namens Wohnbau Burgenland GmbH verkauft. Diese überwies wiederum dem Land die 440 Millionen Euro zurück, indem sie sie selbst über eine Schuldenaufnahme finanzierte. Das Land haftet aber für die Rückzahlung der Darlehen an die Wohnbau Burgenland GmbH, womit sich die GmbH letztendlich als reines Beschönigungsvehikel entpuppt.

Es ginge noch schlimmer...
Die Anpassungen sind aber im Grunde noch immer nicht die volle Budgetwahrheit: Weiteres Ungemach könnte 2014 drohen, wenn neue EU-Regeln gelten, die derzeit in Verhandlung stehen. Dann könnten die ganzen ÖBB-Schulden von derzeit rund 20 Milliarden Euro den Staatsschulden zugerechnet zu werden - dabei könnten diese bis dahin schon auf 24 Milliarden Euro angewachsen sein. Die Staatsschuldenquote würde sich in diesem Fall auf 80 Prozent des BIP erhöhen. Maastricht-konform wären eine Schuldenquote von 60 Prozent des BIP sowie ein Defizit von maximal drei Prozent.

Scharfe Kritik an der Regierung kam am Donnerstag von der Opposition. Die "Schwindeleien und Tricksereien" der Bundesregierung würden sich nun rächen, dabei sei die Entwicklung absehbar gewesen, hieß es aus der FPÖ. Das BZÖ fürchtet, dass spätestens 2014 der "Schulden-Supergau" auf Österreich zukomme, wenn alle versteckten Schulden dem Budget zugerechnet werden müssten, Josef Pröll (V) sei als Finanzminister am Ende. Für die Grünen sind auch Budgettricks der früheren schwarz-blauen Bundesregierung enttarnt, man habe immer davor gewarnt, dass die Regierung mit bewusst geschönten Zahlen operiere.

Schieder und Lopatka: "Schulden nicht mehr geworden"
Die Koalition begegnet der Rückabwicklung ihrer Zahlentricks indes mit weiteren Zahlenspielen. "Kein Grund zur Aufregung", tönten die Finanzstaatssekretäre Andreas Schieder (SPÖ) und Reinhold Lopatka (ÖVP). Man habe nämlich die Neuberechnungen in den laufenden Verhandlungen zum Finanzrahmen mitbedacht, erklärten beide. Das Maastricht-Ziel von weniger als drei Prozent Neuverschuldung werde man ohne ein zusätzliches Sparpaket 2013 erreichen.

Es gebe keinen Anlass für drastische Budgetmaßnahmen. "Wir haben vor, im Jahr 2013 die Drei-Prozent-Grenze zu unterschreiten. Bei diesem Ziel bleibt es", so Schieder. Allerdings will man sich erst seit Kurzem wieder bis dahin Zeit lassen. Bei der Budget-Klausur im vergangenen Oktober in Loipersdorf hatte die Regierung schon 2012 für das Unterschreiten der Maastricht-Grenze angepeilt.

Jedenfalls, so Schieder, handle es sich bei der Neuberechnung aufgrund strengerer Eurostat-Vorschriften nicht um neu entdeckte Umstände, sondern um eine "Revision von volkswirtschaftlichen Kennzahlen". Diese habe weder Auswirkungen auf die Stabilität noch auf die Nachhaltigkeit des Staatshaushalts und der Staatsfinanzen. Auch an der Investitionspolitik der Republik ändere sich nichts, so Schieder in Bezug auf die nun eingerechneten Ausgaben für die ÖBB-Infrastruktur. Ein wenig anders bewertet dies der "Anti-ÖBB-Beauftragte" der Volkspartei, Lopatka. "Ich sehe mich bestätigt, dass gerade beim Schuldentreiber Nummer 1 großer Reformbedarf gegeben ist, denn wir wissen ja noch nicht, was in wenigen Jahren sein wird, was den Gesamtschuldenstand der ÖBB betrifft."

Überraschung: Schreckenszahl traf nicht ein
Im Finanzministerium sieht man in den Zahlen eine Bestätigung dafür, "wie sorgsam und vorsichtig wir budgetiert haben". Denn trotz der Einrechnung der außerbudgetären Schulden liege der Defizitwert jetzt niedriger als in der ursprünglichen Budgeterstellung 2010 angenommen. Damals ging man von einem Defizit von 4,7 Prozent im Jahr 2010 aus (nun 4,6 Prozent) und von einem Schuldenstand von 73 Prozent des BIP (nun 72,3 Prozent). Allerdings waren da keine außerbudgetären Schulden eingerechnet worden und auch bezeichneten Wirtschaftsforscher die Zahlen immer wieder als zu pessimistisch. Die Opposition kritisierte, die Regierung würde Scheinerfolge feiern, wenn ihre Schreckenszahlen dann durch die einigermaßen erwartbar besseren Werte revidiert würden.

Im Finanzministerium sieht man das freilich anders. Und auch für das nun von 2012 auf 2013 verschobene Erreichen der Maastricht-Regeln, hat Ministeriumssprecher Harald Waiglein eine veraltete Vorgabe parat: Man sei nun nämlich jetzt wieder beim "ursprünglich erwarteten Pfad des Frühjahr des Vorjahres".

Österreich muss auf Finanzmärkte achten
Warum die Art der Berechnungen der Staatsschuldenstände so wichtig ist? Zum Beispiel ziehen internationale Ratingagenturen, die über die Kreditwürdigkeit der Republik bestimmen, Defizit und Schuldenstand als Grundlage für ihre Bewertungen heran. Plötzliche Schwankungen und neu entdeckte Verbindlichkeiten stärken dabei nicht gerade das Vertrauen der Finanzmärkte in das jeweilige Land. So warnen auch Wirtschaftsforscher, die die neuen Berechnungen der Statistik Austria am Donnerstag einstimmig als "notwendig und korrekt" begrüßten, vor einem Vertrauensverlust.

Wenn Österreich nicht unter die Maastricht-Grenze kommt, würden die Finanzmärkte Österreich "als nächstes aufs Korn nehmen", befürchtet IHS-Chef Bernhard Felderer. "Wir müssen Aktivität in der Schuldenreduzierung zeigen, damit die Finanzmärkte sehen, dass wir etwas tun." Die Frage, ob in Zukunft noch weitere "versteckte" Schulden, also Umgehungskonstruktionen, auftauchen werden, die dann der Staatsschuld zugeordnet werden müssten, ist laut Felderer nicht klar zu beantworten. "Wir haben keinen Überblick über Ausgliederung bei den Gemeinden", sagte er. "Es wäre gut, wenn wir hier völlige Transparenz bekämen, damit wir dann die Gemeinden in dieser Hinsicht richtig einschätzen können."

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