Chaos in Japan

10.000 Vermisste in Hafenstadt – immer wieder Nachbeben

Ausland
12.03.2011 20:33
Nach dem verheerenden Erdbeben und dem Tsunami ist in Japan das ganze Ausmaß der humanitären Katastrophe noch immer nicht abzusehen. Sprach die Regierung vor kurzem noch von landesweit 2.000 Toten und Vermissten, fehlt nach neuestem Stand allein in der Hafenstadt Minamisanriku (Bild) in der schwer betroffenen Präfektur Miyagi von rund 10.000 Menschen jedes Lebenszeichen. Offiziell geht man bisher von 1.800 Toten im ganzen Land aus, diese Zahl dürfte aber mit Sicherheit noch steigen. Dazu kommt die Angst vor einer Atomkatastrophe (separate Story in der Infobox).

Fast ganz Minamisanriku wurde durch das Erdbeben der Stärke 8,9 und den verheerenden Tsunami zerstört. Die Anzahl der vermissten Personen entspreche etwa der Hälfte der Einwohner der Stadt, teilten die Behörden Samstagabend (Ortszeit) mit. Rettungskräften vor Ort (Bild re.) bot sich ein Bild des Schreckens: Praktisch kein Stein befindet sich mehr auf dem anderen, die Überreste von Häusern, Schiffen und Autos türmen sich meterhoch, dazwischen liegen Leichen.

Seit dem Erdstoß vom Freitag seien landesweit 3.000 Menschen gerettet worden, sagte Ministerpräsident Naoto Kan am Samstag. Kan sprach von einer "nie dagewesenen nationalen Katastrophe". 300.000 Personen mussten nach Polizeiangaben ihre Häuser verlassen. Darunter sind auch 80.000 Anrainer des Atomkraftwerks Fukushima, wo es nach dem Erdbeben zu einem ernsten Störfall und am Samstag zu einer Explosion kam.

Immer wieder Nachbeben
Einen Tag nach dem Beben und der Flutwelle hielten Nachbeben die Bewohner selbst in weit vom Epizentrum entfernten Gegenden Japans in Atem. Die US-Wissenschaftsbehörde United States Geological Survey registrierte seit Freitag allein 25 Beben ab der Stärke 6, hinzu kamen über 150 schwächere Nachbeben am Freitag und am Samstag.

So bebte 174 Kilometer östlich der Hafenstadt Sendai die Erde am Samstagvormittag (Ortszeit) neuerlich. Laut der US-Erdbebenwarte USGS hatte das Beben eine Stärke von 6,8. Auch im Großraum Tokio wurden die Menschen von einer neuen schweren Erschütterung aufgeschreckt. Dennoch schien zumindest auf den ersten Blick am ehesten in der Hauptstadt so etwas wie Alltag zurückzukehren. Am Bahnhof ging es am Samstag recht ruhig zu. An den Schaltern bildeten sich keine übermäßig langen Schlangen von Menschen, die vorübergehend im Süden des Landes Zuflucht suchen wollten.

Enorme Schäden an Pazifikküste
Am Tag nach dem Beben wurde das Ausmaß der Schäden sichtbar. 1.200 Häuser wurden in Sendai, der Hauptstadt der am stärksten betroffenen Präfektur Miyagi im Nordosten von Honshu, zerstört. Außerdem wurde der Flughafen komplett überschwemmt. Hunderte Tote wurden geborgen, große Teile des Gebietes sind aber wegen der Überschwemmungen noch nicht zugänglich. In der Hafenstadt Rikuzentakata in der Präfektur Iwate, die nahezu vollständig zerstört wurde, meldeten die dortigen Behörden ebenfalls Hunderte geborgene Leichen.

Das Fernsehen zeigte Bilder von großflächigen Überschwemmungen überall an der Küste. Viele Menschen verbrachten die eiskalte Nacht frierend im Freien auf den Dächern umfluteter Häuser. Rund 21.000 Menschen wurden auch am Samstag noch in Notunterkünften versorgt. Regierungschef Naoto Kan, der die Katastrophenregion am Samstag besuchte, rief seine Bürger auf, das beispielslose Drama gemeinsam zu bewältigen.

Menschen horten Lebensmittel
Nach der Katastrophe horten die Menschen Lebensmittel: "Brot ist praktisch überall ausverkauft. Es gibt keine Milch und kein Wasser mehr in den Geschäften. Auch Trockennudeln sind schwer zu bekommen", schilderte Patrick Hiehs, ein in Yokohama lebender Wiener. "Aber die Menschen unterstützen einander." Auch Firmen würden helfen: "Taschenlampen sind zwar ausverkauft, aber große Elektronikmärkte geben seit Freitag Batterien gratis ab. An manchen Automaten kann man gratis Getränke bekommen." Sparsam solle man mit Strom umgehen, diesbezüglich gebe es wiederholt Aufrufe.

Das Beben selbst hat Hiehs an seinem Arbeitsplatz im sechsten Stock eines Gebäudes in Yokohama erlebt, rund 28 Kilometer von Tokio entfernt. "Am Anfang war es nur ein leichtes Rütteln. Es hatte in den Tagen davor bereits Erdstöße gegeben, aber die haben wir in Yokohama nicht so stark gespürt. Darum haben wir uns gedacht, dass es schon nicht so arg sein wird. Aber dann hat es nicht aufgehört zu rütteln. Das war erst nach drei bis vier Minuten vorbei, eine lange Zeit." "Einfach nur raus!", sei der erste Gedanke nach dem Beben gewesen.

Internationale Hilfe angelaufen
Indes sind umfangreiche internationale Rettungsbemühungen angelaufen. Ein vierköpfiges Team des Technischen Hilfswerks (THW) sei in der deutschen Botschaft in Tokio eingetroffen, sagte eine THW-Sprecherin am Samstag. Zwei weitere Helfer seien an Ort und Stelle, um die Lage in dem Katastrophengebiet zu erkunden. Ein 40-köpfiges Bergungsteam des THW mit Ortungs- und Bergungsgerät und drei Spürhunden sollte in Kürze in Japan eintreffen. Mit dem Team sei kurzfristig ein Strahlenschutzexperte nach Japan geschickt worden.

Auch andere europäische Länder sagten Japan Hilfe zu. Großbritannien hat ein Team von Rettungskräften auf den Weg geschickt. Unter den mehr als 60 Spezialisten seien Such- und Rettungsexperten, Ärzte und Hunde-Staffeln, teilte das Ministerium für Internationale Entwicklung mit. Die Schweiz schickt ein 25-köpfiges Such- und Abklärungsteam sowie neun Suchhunde ins Erdbebengebiet nach Japan. Der Mannschaft gehören Hundeführer, Spezialisten für die technische Ortung, Koordinatoren sowie Experten für Umweltkatastrophen, Wasser, Medizin und Bau an.

Die USA schickten 150 Rettungshelfer, 75 Tonnen Bergungsausrüstung sowie eine Marine-Flotte in das Katastrophengebiet. Auch das Ende Februar von einem Erdbeben der Stärke 6,3 erschütterte Neuseeland kündigte Hilfe an. Japan habe nach dem Beben in Christchurch Rettungsteams geschickt, nun werde sein Land "unseren Freunden in Japan" helfen, erklärte Premierminister John Key. Die Entsendung von Bergungsteams kündigten auch Australien, Südkorea und Singapur an. Nach UN-Angaben standen 60 Helfer-Teams aus mehr als 45 Ländern für einen Einsatz in Japan auf Abruf bereit.

Österreich entsendet Hundestaffeln
Für Österreich kündigte Außenminister Spindelegger am Samstag die Entsendung von vier Experten für Such-und Rettungsarbeiten an. Das österreichische Rote Kreuz will sich mit 13 Suchhunde-Staffeln beteiligen. Die Einsatzkräfte könnten "jederzeit abrücken", hieß es aus dem Generalsekretariat des Roten Kreuzes in Wien.

Das österreichische Außenministerium steht seit Bekanntwerden des Erdbebens und des Tsunamis ständig mit der in Japan ansässigen Botschaft in Kontakt. Im Großraum Tokio sind etwa 300 Österreicher bei der Botschaft registriert. Die Mitarbeiter versuchten, alle Österreicher zu kontaktieren, von denen bekannt ist, dass sie sich in der Krisenregion aufhalten, berichtete der Sprecher des Außenministeriums, Peter Launsky-Tieffenthal. Außenminister Michael Spindelegger sagte am Samstag, dass sich rund 40 Österreicher direkt in der Erdbebenregion in Japan aufgehalten haben dürften. Mit 20 Österreichern habe man Kontakt aufnehmen können, und es gebe "keinen Hinweis auf jemanden, der zu Schaden gekommen ist".

Partielle Reisewarnung ausgesprochen
Das Außenministerium hat mittlerweile eine partielle Reisewarnung für den Nordosten Japans ausgesprochen. Den sich bereits dort aufhaltenden Österreichern werde empfohlen, die betroffene Region zu verlassen. Vor allen nicht unbedingt notwendigen Reisen nach Japan wird dringend abgeraten. Für Österreicher, die sich dort aufhalten, gilt laut Spindelegger auch, "den Anweisungen der lokalen Behörden unbedingt Folge zu leisten".

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