Erste Bilanz in Japan

Erdbeben war stärkstes seit 1.200 Jahren

Ausland
12.03.2011 12:10
Das Erdbeben der Stärke 9,0, das am Freitag weite Teile Japans erschütterte, war das stärkste in Japan seit 1.200 Jahren. Nach bisher bestätigten Meldungen der Einsatzkräfte und Behörden haben das Beben und der darauffolgende Tsunami rund 2.000 Tote und Vermisste gefordert. Es entstanden enorme Schäden, Tausende sind obdachlos. Die Bergungsarbeiten und Katastropheneinsätze laufen auf Hochtouren, die Aufmerksamkeit konzentriert sich aber vor allem auf die Lage in den zwei beschädigten AKWs Fukushima 1 und 2 (siehe separate Meldung in der Infobox).

Das verheerende Erdbeben am Freitag war nach Angaben eines Experten des Geologischen Instituts der USA das stärkste in der Region seit beinahe 1.200 Jahren. Laut David Applegate brach die Erdkruste durch das Beben der Stärke 9,0 auf 240 Kilometer Länge und 80 Kilometer Breite auseinander. Der Erdstoß dürfte nach Meinung Applegates der schwerste in der Geschichte Japans gewesen sein und weltweit Wissenschaftlern zufolge der fünftstärkste, der jemals gemessen wurde.

Honshu um 2,4 Meter verrückt
Nach Angaben von Wissenschaftlern hat das Erdbeben mit seiner Wucht große Landmassen verschoben und den Lauf der Welt verändert. Die japanische Hauptinsel Honshu sei um 2,4 Meter verrückt worden, sagte Kenneth Hudnut von der US-Geologiebehörde. Das italienische Institut für Geophysik und Vulkanologie ermittelte nach eigenen Angaben außerdem, dass das Beben die Achse der Erdrotation um rund zehn Zentimeter verschoben hat. Das wäre wahrscheinlich die größte Verschiebung durch ein Erdbeben seit 1960, als Chile erschüttert wurde.

Bisher rund 2.000 Tote und Vermisste
Indes steigt die Opferzahl nach Angaben der Nachrichtenagentur Kyodo "von Minute zu Minute". Mit Stand Samstagmittag (Ortszeit, der Zeitunterschied zwischen Wien und Tokio beträgt plus acht Stunden) bezifferte die Regierung die Zahl der bisher bestätigten Toten und Vermissten mit rund 2.000. Rund 1.200 Menschen starben demnach in den verschiedenen vom Erdbeben und Tsunami betroffenen Regionen im Norden und Osten Japans. Zirka 800 Menschen wurden bis dato als vermisst gemeldet, wobei es laut japanischen Medien für viele kaum noch Hoffnung geben könne. Die Zahl der bisher bestätigten Verletzten gab die Polizei zuletzt mit 1.128 an, die Zahl ist nach Einschätzung japanischer Medien aber weit untertrieben. Mehr als 215.000 Menschen fanden Zuflucht in Notunterkünften, so die Behörden. Die Pazifik-Inselstaaten blieben indes von dem mit 800 Stundenkilometer heranrollenden Tsunami weitgehend verschont (siehe separate Meldung in der Infobox).

Eine Stunde nach Beben kam die Tsunamiwelle
Das Erdbeben ereignete sich am Freitag gegen 14.45 Uhr Ortszeit (6.45 Uhr MEZ). Das Epizentrum lag 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und knapp 400 Kilometer nordöstlich von Tokio. Rund eine Stunde später traf dann die Tsunamiwelle auf die Ostküste. Fernsehbilder zeigten eine gewaltige Flutwelle, die auf die Strände traf und weit ins Landesinnere rollte - sie spülte Häuser und Land fort, Boote wurden fortgetragen, Autos ins Meer gezogen. Augenzeugen berichteten von Fußgängern und vielen Kindern, die ins Meer gespült worden seien. Weiter im Landesinneren traten mehrere Flüsse durch das einströmende Meerwasser über die Ufer.

Fernsehbilder (siehe Video oben, krone.at-Diashow in der Infobox) zeigten das Chaos nach dem Beben und die große Verzweiflung in den Gesichtern der Menschen an der Ostküste: Bewohner schwenkten große weiße Tücher aus den Fenstern ihrer Häuser, um Hilfe zu bekommen. Hunderte waren in den oberen Etagen der vollständig von Wasser umgebenen Häuser gefangen.

Im Internet findet sich mittlerweile eine Fülle an Amateurvideos, in denen Bürger das Erdbeben und den Tsunami anhand von Aufnahmen auf öffentlichen Plätzen, in Supermärkten sowie in ihren Häusern und Wohnungen dokumentieren. Luftaufnahmen der Tsunamiwelle verdeutlichen die unglaubliche Gewalt der Flutwelle. In einem anderen Amateurvideo hört man unmittelbar nach dem Erdbeben die Panik in der gesamten Nachbarschaft.

Millionenstadt Tokio stand still
In der Hauptstadt Tokio, wo das starke Erdbeben deutlich spürbar war und selbst die an Erdstöße gewohnten Einwohner in Panik versetzte, gerieten zahlreiche Hochhäuser ins Wanken, Menschen liefen verängstigt auf die Straße. Das öffentliche Leben war in der Millionenmetropole praktisch lahmgelegt. Der Nahverkehr funktionierte nicht, die Menschen harrten meist auf den Straßen aus, weil keine Züge fuhren, hieß es in Fernsehberichten. Als es dunkel wurde, suchten viele Zuflucht in Notschlaftstellen. Am Stadtrand von Tokio gerieten mehrere Industriegebäude in Brand, in einer Ölraffinerie in Chiba nördlich der Hauptstadt brach ein großes Feuer samt mehrerer Explosionen aus. 

Durch das Beben sind in ganz Japan acht Millionen Haushalte ohne Strom, Dutzende Flughäfen in der betroffenen Region wurden geschlossen. Der Airport in Tokio konnte erst in der Nacht (Ortszeit) wieder geöffnet werden. Laut den Behörden sind im Tokioter Umland Dutzende Menschen bei Hauseinstürzen getötet und verletzt worden, angesichts des Ausmaßes der Katastrophe rechnet man mit Opferzahlen, die in die Tausenden gehen.

Augenzeugin: "Es wurde immer schlimmer"
Eine Augenzeugin, die im Tokioter Goethe-Institut arbeitet, berichtete über die minutenlangen Erschütterungen: "Erst dachte ich, das wäre ein normales Beben, wie es oft vorkommt, aber dann hörte es gar nicht mehr auf und wurde immer schlimmer." Eine japanische Kollegin habe sie sofort angewiesen, einen Helm aufzusetzen und sich unter den Schreibtisch zu setzen. "Die Japaner sind zum Glück auf so etwas vorbereitet." Als ihre Kollegen aber gesagt hätten, das sei das schlimmste Beben, dass sie je erlebt hätten, sei sie "ziemlich beunruhigt" gewesen.

Der österreichische Judo-Kämpfer und Olympiasieger Ludwig Paischer, der sich derzeit für einen Trainingsaufenthalt in Tokio aufhält, berichtete am Freitag von chaotischen Zuständen. "Ich bin gerade vom Training heimgekommen und wollte mich ein bisschen hinlegen. Zuerst dachte ich, ich bilde mir das ein, als das Wasser in der Mineralwasserflasche zu schaukeln angefangen hat. Doch dann hat der Fernseher gewackelt, und es ist Vollgas losgegangen", schilderte Paischer (ausführlicher Bericht in der Infobox).

Gigantischer Wasserwirbel in Hafen, Regionalzug vermisst
Auch aus anderen Städten wurden schwere Schäden gemeldet. In Chiba geriet eine Stahlfabrik in Brand, über Teilen der Stadt Yokohama stiegen schwarze Rauchwolken auf. In Iwate wurden Dutzende von Neuwagen von den Wassermassen weggerissen, in Kamaishi stürzten Brücken ein, die Straßen sind vielerorts zerstört.

Im Hafen der Oarai in der Präfektur Ibaraki erzeugte die Tsunami-Flutwelle einen riesigen Wasserwirbel, wie auf Online-Videos  zu sehen ist. Nach einem Erdrutsch in der Präfektur Fukushima werden Hunderte Menschen vermisst. Der Betrieb des Hochgeschwindigkeitszugs Shinkansen im Norden wurde eingestellt. In der Präfektur Miyagi dürfte indes ein ganzer Regionalzug samt einer unbekannten Anzahl von Passagiern von der Flut mitgerissen worden sein. Der Zug war demnach auf dem Weg von Sendai nach Ishinomaki und wurde in der Nähe des Bahnhofs von Nobiru von der Flutwelle erfasst. Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender NHK hatte zuvor berichtet, dass ein Schiff mit etwa Hundert Menschen an Bord von einer Flutwelle fortgetragen worden sei. Das Schicksal der Menschen an Bord sei unklar.

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