"Die Zeit ist reif"

Dalai Lama will als Polit-Oberhaupt der Tibeter abtreten

Ausland
10.03.2011 09:43
"Die Zeit ist reif": Mit diesen Worten hat der Dalai Lama am Donnerstag bekannt gegeben, als politisches Oberhaupt der tibetischen Exilregierung formell zurückzutreten. Er habe schon seit 1960 wiederholt erklärt, seine Befugnisse an eine von den Tibetern frei gewählte Regierung übertragen zu wollen, sagte Tenzin Gyatso. Jetzt sei die Zeit gekommen. Der Dalai Lama beendet damit eine 400-jährige Tradition. Spiritueller Führer der Tibeter wird er aber bleiben.

Kommende Woche will der 75-Jährige das Exilparlament in Dharmshala, Indien, in einer Sitzung darum bitten, ihm den Rücktritt zu ermöglichen. Die Ankündigung dazu erfolgte am Donnerstag just am 52. Jahrestag des Volksaufstandes der Tibeter 1959 gegen die chinesische Besatzung.

"Mein Wunsch, die politische Führung zu übergeben, bedeutet nicht, dass ich mich meiner Verantwortung entziehen möchte", sagte der Dalai Lama. "Es geht um das langfristige Wohl der Tibeter. Ich fühle mich keineswegs entmutigt."

Der 75 Jahre alte Friedensnobelpreisträger sagte, er habe schon in den 60er-Jahren stets betont, dass die Tibeter einen vom Volk frei gewählten Führer benötigten, dem er seine Macht übergeben könne. "Heute ist eindeutig die Zeit gekommen, dies umzusetzen." Er werde sich aber weiterhin für die Sache der Tibeter einsetzen.

Dalai Lama will weiterhin spiritueller Führer bleiben
Der Dalai Lama war bisher sowohl der spirituelle Führer der tibetischen Buddhisten als auch der Chef der Exilregierung: Diese residiert seit der Flucht der tibetischen Führung vor den chinesischen Machthabern während des Tibetaufstands 1959 im indischen Dharamsala. Nun will sich der Dalai Lama von seinen zeremoniellen Pflichten entbinden lassen. Seine Aufgaben als spiritueller Führer will Tenzin Gyatso aber weiterhin wahrnehmen.

Bisher hat der Dalai Lama eine überragende Rolle in der exiltibetischen Bewegung. Er kann beispielsweise bisher das Parlament in Notfällen zu Sondersitzungen einberufen. Auch ernennt er direkt ein Mitglied des zwölfköpfigen Ständigen Ausschusses, der zwischen den Sitzungen tagt. Außerdem nominiert er bis zu drei Parlamentarier. 2001 gab es erstmals eine Wahl eines Premierministers der Regierung. Der Dalai Lama bezeichnete sich nach der Wahl als "halb im politischen Ruhestand".

Oberhaupt der Tibeter, seit er denken kann
Wird der Rücktritt des Dalai Lamas anerkannt, so geht eine 400-jährige Tradition der Tibeter zu Ende - auch für Tenzin Gyatso. Oberhaupt der Tibeter ist der 14. Dalai Lama, seitdem er denken kann. Im Alter von vier Jahren wurde der am 6. Juli 1935 geborene Sohn von Kleinbauern als Wiedergeburt erkannt. Seit dem 16. Jahrhundert stand Tibet unter der Autorität des Dalai Lama ("Ozean des Wissens"), Oberhaupt des von dem Reformator Tsongkapa gegründeten Ordens der Gelbmützen ("Gelugpa"). Er wird als Reinkarnation des Boddhisattwa Awalokiteshwara verehrt.

1720 wurde der buddhistische Klosterstaat Tibet Protektorat der chinesischen Kaiser. Mit dem Ende der Mandschu-Dynastie 1911/12 sah Gyatsos Vorgänger, der 13. Dalai Lama, seine Chance gekommen, er erklärte die Unabhängigkeit. Bis 1950 war Tibet faktisch souverän. Ein aufgezwungenes Abkommen vom 27. Mai 1951, das vom Dalai Lama und der zweithöchste tibetischen Autorität, dem Pantschen Lama, - beide damals minderjährig - in Peking unterzeichnet wurde, gliederte Tibet nach dem Einmarsch der "Volksbefreiungsarmee" in den chinesischen Staatsverband ein. Der große Aufstand gegen die Fremdherrschaft vom März 1959, der von den Chinesen brutal niedergeschlagen wurde, machte weltweit Schlagzeilen. Zehntausende Landsleute folgten dem Dalai Lama ins indische Exil. Seither wird er nicht müde, auf das Schicksal seiner Heimat hinzuweisen.

Den chinesischen Behörden hat der Dalai Lama die Absicht vorgeworfen, den Buddhismus in Tibet auszulöschen. Mönche und Nonnen würden unterdrückt, sie müssten unter gefängnisähnlichen Bedingungen leben und könnten nicht in Frieden studieren und ihren Glauben leben. Diese Bedingungen führten dazu, dass die Klöster oft nur die Funktion von Museen hätten. Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 in Peking hatte die chinesische Führung unter internationalem Druck der Aufnahme von Gesprächen mit der tibetischen Exilführung zugestimmt, die jedoch keine Ergebnisse brachten. Die 1965 errichtete Autonome Region Tibet ist wesentlich kleiner als das alte Tibet, das große Teile der heutigen chinesischen Provinz Qinghai und den Westen der Provinz Sichuan umfasste.

"Wiedergeburt in einem freien Land"
2002 kündigte der Dalai Lama an, dass er nach seinem Tode nicht im besetzten Tibet oder einem anderen Gebiet unter chinesischer Herrschaft wiedergeboren wird. Wenn Tibet zu seinen Lebzeiten nicht mehr befreit werde, finde seine Wiedergeburt in einem anderen Land statt, das frei sei. Über die nach dem Dalai Lama zweithöchste tibetische Autorität, den Pantschen Lama, gibt es Streit. Peking lehnt den vom Dalai Lama als rechtmäßige Wiedergeburt des 1989 verstorbenen 10. Pantschen Lama anerkannten Knaben Gedhun Choekyi Nyima ab und hat einen Gegen-Pantschen-Lama bestimmt. Das UNO-Komitee für die Rechte des Kindes hat von der Volksrepublik vergeblich Zugang zu dem heute 20-jährigen Nyima gefordert. Der Gegen-Pantschen-Lama lebt in Peking. Ihm werden vom kommunistischen Regime regelmäßig "antiseparatistische" Stellungnahmen und Loyalitätsadressen zugeschrieben.

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