Aufstand in Ägypten

Demonstranten von Regime und Al-Kaida bedrängt

Ausland
09.02.2011 11:27
Die Massenproteste in Ägypten sind wieder aufgeflammt. Weit über Hunderttausend marschierten am Dienstagabend in Kairo auf, nachdem freigelassene Demonstranten über Folter im Gefängnis berichteten. Die Antwort des Regimes: Man werde die Proteste "nicht mehr lange hinnehmen", so Vizepräsident Omar Suleiman. In der Nacht starteten erneut Islamisten - diesmal das Terrornetzwerk Al-Kaida - einen Versuch, die Proteste für sich zu vereinnahmen. Laut der Regierung seien sollen mehrere Al-Kaida-Terroristen aus Gefängnissen geflohen sein. Kritiker berichten, Mubarak-Anhänger hätten Tausende Häftlinge freigelassen.

Rund 200.000 Menschen strömten am Dienstag auf den Tahrir-Platz im Zentrum von Kairo, um den Rücktritt des seit 30 Jahren regierenden Präsidenten Hosni Mubarak zu erzwingen. Es war eine der größten Demonstrationen seit Ausbruch der Proteste vor zwei Wochen. Die überwiegend jüngeren Teilnehmer warfen der Regierung ein Spiel auf Zeit vor. Auf dem Platz wurde der Schwur laut, es nicht bei einer "halben Revolution" zu belassen.

Freigelassene berichteten von Folter
Zum dritten Mal seit Beginn der Revolte vor zwei Wochen füllten die Menschen den zentralen Platz. Viele waren am Dienstag erstmals dabei. "Mubarak ist ein sehr sturer Mann, er kann nicht erkennen, dass seine Zeit vorbei ist", sagte die 71-jährige Afaf Naged, ehemals im Direktorium der staatlichen Nationalbank. Angefacht wurden die Proteste von dem Google-Manager Wael Ghonim, der im Fernsehen unter Tränen von seiner Festnahme durch den Geheimdienst berichtet hatte und nun vor die Menge trat.

"Nicht ich, sondern ihr seid die Helden", rief er. Der Marketing-Chef für den Nahen Osten war zwölf Tage lang mit verbundenen Augen festgehalten worden. Zwei Stunden nach der TV-Übertragung am Montag hatten auf Facebook bereits 70.000 Menschen ihre Unterstützung zugesagt.

Suleiman: "Es wird kein Ende des Regimes geben"
Die ägyptische Regierung entgegnete dem neuen Massenauflauf mit Drohungen: Vizepräsident Omar Suleiman sagte, man könne die Proteste nicht mehr lange hinnehmen, die Krise im Land müsse so rasch als möglich beendet werden. Es werde "kein Ende des Regimes" und keinen sofortigen Rücktritt von Präsident Hosni Mubarak geben, so Suleiman. Der Aufruf mancher Demonstranten zu zivilem Ungehorsam sei "sehr gefährlich für die Gesellschaft" und könne nicht toleriert werden.

Suleiman betonte, die Regierung wolle einen Dialog über die Forderung der Demonstranten nach demokratischen Reformen führen. "Wir wollen mit der ägyptischen Gesellschaft nicht mit den Mitteln der Polizei verkehren", sagte er und warnte davor, dass die Alternative zu einem Dialog ein "Putsch" sein könnte, "was bedeutet, dass unkalkulierbare, übereilte und irrationale Schritte gesetzt werden". Nach Angaben des Chefredakteurs der unabhängigen ägyptischen Zeitung "Al Shorouk", Amr Khafagi, meinte Suleiman damit nicht einen Militärputsch, sondern, dass "fürs Regieren unvorbereitete Kräfte" staatliche Institutionen umstoßen könnten.

Mubarak versprach Reformen, Demonstranten skeptisch
Die jahrzehntelang autoritär regierende Staatsführung hatte am Wochenende eigentlich gelobt, die Demonstranten in Frieden zu lassen. Mubarak habe betont, dass die Jugend des Landes die Wertschätzung der Nation verdiene, sagte Suleiman nach einem Gespräch mit dem Präsidenten. Es sei eine Verfügung erlassen worden, die vorsehe, die Protestierenden vor Verfolgung sowie Bedrohung zu schützen und ihnen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu garantieren. Zudem kam die Regierung zumindest formal ihrem Versprechen nach, Änderungen an der Verfassung vorzunehmen. Mubarak erließ ein Dekret zur Gründung eines Ausschusses, der Änderungsvorschläge machen soll.

Auf dem Tahrir-Platz fürchteten Demonstranten aber mittlerweile, selbst bei einem Rücktritt Mubaraks werde erneut ein autoritärer Machthaber die Kontrolle übernehmen - und die ersehnte Demokratie auf der Strecke bleiben. Die Verhandlungen der Opposition mit der Regierung betrachten viele jüngere Menschen skeptisch: "Der Dialog verlängert das Leben des Regimes und haucht ihm wieder Leben ein", stand auf dem Schild eines Mannes geschrieben.

Al-Kaida ruft Demonstranten zum Jihad auf
Nach dem iranischen geistlichen Staatsoberhaupt hat indes erneut eine islamistische Organisation versucht, die Proteste in Ägypten als religiösen Aufstand für sich zu vereinnahmen - und diesmal auch, um den Aufstand für Gewalttaten zu instrumentalisieren. Der irakische Ableger von Al-Kaida hat die Demonstranten in Ägypten zum Heiligen Krieg aufgerufen. In einer Erklärung, die auf mehreren Websites im Internet veröffentlicht wurde, seien die Ägypter zudem aufgefordert worden, eine Regierung auf Grundlage der Scharia einzusetzen, teilte das auf Terror-Websites spezialisierte US-Institut SITE mit. Die "Türen des Märtyrertums" seien geöffnet, jeder Mann, der dazu fähig sei, müsse sich beteiligen.

Es handelt sich um die erste Stellungnahme einer der Terrororganisation Al-Kaida zugerechneten Gruppe zu den Massenprotesten in Ägypten. Die Demonstranten hingegen, unter ihnen auch die strengreligiösen Muslimbrüder, begegneten bisher jedem Versuch, die Proteste als islamischen Aufstand hinzustellen, mit entschlossenen Dementis.

Regierung: Al-Kaida-Kämpfer bei Aufstand entkommen
Grund zu Sorge gab am Dienstagabend aber eine Stellungnahme der ägyptischen Regierung, die vor einem Unterlaufen der Demonstrationen durch islamistische Gotteskrieger warnte. Während der Proteste seien Mitglieder der radikal-islamischen Al-Kaida aus den Gefängnissen freigekommen. Viele dieser Männer seien noch immer der Überzeugung, gottlose Staaten mit Gewalt bekämpfen zu müssen, sagte Vize-Präsident Omar Suleiman. "Das ist eine große Bedrohung. Wir müssen uns sehr anstrengen, sie wieder ins Gefängnis zurückzubekommen."

Es ist bekannt, dass unter den Geflüchteten ein Mitglied der radikal-schiitischen Hisbollah-Bewegung aus dem Libanon war. Dem Mann wurde vorgeworfen, Anschläge in Ägypten vorbereitet zu haben. Die Hisbollah erklärte, er habe über die Sinai-Halbinsel Waffen in den palästinensischen Gazastreifen geschmuggelt. Aus Ägypten stammen einige der bekanntesten Al-Kaida-Mitglieder, darunter Mohammed Atta, der die Attentäter vom 11. September 2001 anführte, und Ayman al-Zawahiri, der Stellvertreter Osama bin Ladens.

Reporter: Häftlinge wurden von Mubarak-Anhängern befreit
Dass die Häftlinge aus den Gefängnissen "geflohen" seien, bestreiten hingegen mehrere Auslands-Korrespondenten, u.a. ein Reporter des deutschen Magazins "Der Spiegel". In Wahrheit sollen Anhänger Mubaraks nach Beginn der Demonstrationen rund 14.000 Häftlinge, darunter Mörder und Terrorverdächtige, aus den Gefängnissen entlassen haben. Und zwar unter der Bedingung, möglichst viel Chaos hervorzurufen und dadurch die friedlichen Proteste der Demonstranten durch Gewaltakte zu sabotieren. Hinter den Befreiungen steckten "Parteisoldaten, Beamte, Sicherheitskräfte und reiche Geschäftsleute mit üppigen Staatsaufträgen".

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