Drill und Schikanen

“Gorch Fock” wird zur Zerreißprobe für Guttenberg

Ausland
23.01.2011 10:14
Nach einer angeblichen Meuterei auf der "Gorch Fock", ausgelöst durch den Tod einer Kadettin, segelt Deutschlands Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg im wahrsten Sinne des Wortes durch stürmische Gewässer. Denn was anfangs nach einem traurigen Unfall aussah, entwickelt sich jetzt zum Militär-Skandal. Eine ehemalige Rekrutin, die auf dem "Stolz der Marine" mitsegelte, meldete sich jetzt zu Wort und spricht von "unhaltbaren Zuständen" auf dem Segelschulschiff.

Die ehemalige Rekrutin der "Gorch Fock" erzählt von Drill, Einschüchterung und Schlafmangel, die dort offenbar System gehabt hätten. Die Offiziersanwärterin berichtet: "Da wurde gebrüllt, da wurde gedrillt. Das war systematisches Schleifen wie in einem schlechten Film." In ihrer Ausbildungszeit auf dem Schulschiff der deutschen Marine war im November die junge Kadettin Sarah S. durch einen Sturz aus der Takelage ums Leben gekommen.

Nach den Worten der Offiziersanwärterin sei selbst das Hinaufklettern auf die Masten letztlich erzwungen worden. "Wenn Aufentern befohlen ist, dann musst du in die Takelage. Alles andere ist Gehorsamsverweigerung", sagte die Soldatin. Überhaupt seien die Kadetten von den Vorgesetzten systematisch unter Druck gesetzt worden: "Der Druck war ständig da. Es ist vom ersten Tag an klar: Wer nicht spurt, der fliegt. Zuerst nach Hause, dann aus der Offiziersausbildung."

Schlafmangel und Schikanen
Kritik äußerte die Offiziersanwärterin auch am Dienstablauf und den Zuständen an Bord. Diese seien "vorsintflutlich". Die Rekruten müssten nicht nur in Hängematten schlafen und auf jegliche Privatsphäre verzichten. Reinigungsarbeiten hätten sie zum Teil mit Zahnbürsten erledigen müssen. Und in der "Hackordnung" an Bord seien die Kadetten das letzte Glied, sagte die junge Frau, die von "übertriebener Härte und Männlichkeitsgehabe" auf dem Schiff sprach.

Schlafmangel sei für die Offiziersanwärter "das größte Problem" auf den Ausbildungsfahrten. Der fehlende Schlaf könne auch in Verbindung mit den letzten tödlichen Unfällen an Bord stehen, mutmaßte sie. 2008 war eine junge Marinesoldatin bei ihrer Ausbildungsfahrt auf der "Gorch Fock" gestorben. Sie war während der Wache an Deck von Bord gestürzt und ertrunken.

"Der größte schwimmende Puff Deutschlands"
Die Zustände auf dem Segelschulschiff seien vor allem für weibliche Offiziersanwärter schwierig, erzählt die ehemalige Kadettin weiter. Es habe während der Fahrt an sexuell "eindeutigen und übereindeutigen Angeboten wahrlich nicht gemangelt", erzählte sie. "Manche Frauen haben das auch als bedrängend empfunden." Die Bark werde deshalb in Marinekreisen als "größter schwimmender Puff Deutschlands" bezeichnet.

Das Segelschulschiff "Gorch Fock" befindet sich zurzeit in einem argentinischen Hafen, von wo aus die Bark inzwischen auf Anordnung von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg umgehend in die Heimat zurückbeordert wurde. Ein Untersuchungsteam soll die Vorfälle vom November untersuchen. Nach dem Todessturz war es zu Auseinandersetzungen zwischen Schiffsführung und Mannschaft gekommen, die mehreren Offiziersanwärtern einen Meutereivorwurf einbrachte. Der Kommandant des Schulschiffes, Kapitän zur See Norbert Schatz, wurde inzwischen durch den Verteidigungsminister von seinem Posten entbunden.

Bundeswehrverband begrüßt Absetzung des Kommandanten
Der Chef des deutschen Bundeswehrverbandes, Ulrich Kirsch, hält die Absetzung des Kommandanten für den richtigen Schritt. Wenn jemand so kritisiert werde wie Norbert Schatz, dann sei das Vertrauensverhältnis derart belastet, dass es günstiger sei, "ihn aus der Verantwortung zu nehmen", sagte Kirsch in einem TV-Interview. Anschließend müssten die Dinge allerdings genau analysiert werden, "um dann die richtigen Schlüsse ziehen zu können". Kirsch mahnte jedoch, "ein wenig Vorsicht walten zu lassen, was Vorverurteilungen angeht".

Auch die Entscheidung, das Segelschulschiff sofort von Argentinien nach Deutschland zu beordern, ist für Kirsch korrekt. Es lasse sich in Deutschland besser besprechen, was es zu besprechen gibt. Zur Zukunft der "Gorch Fock" muss nach Kirschs Ansicht nun analysiert werden, ob die Ausbildung der Offiziersanwärter so noch zeitgemäß sei. Er halte es aber für "ganz fatal, wenn es dieses Segelschulschiff irgendwann nicht mehr geben sollte".

Scharfe Kritik aus der SPD an Guttenberg
Doch auch einiges an Kritik muss sich Guttenberg gefallen lassen: Der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold hat schwere Vorwürfe gegen den deutschen Verteidigungsminister erhoben. "Zur Klärung der Vorgänge auf der 'Gorch Fock' ist eine Untersuchungskommission unterwegs. Der Minister aber entlässt den Kommandanten, ohne ihn vorher anzuhören", sagte Arnold der Zeitung "Sonntag Aktuell". Dies sei eine "Vorverurteilung" und "Unrecht". Dabei habe Guttenberg selbst noch am Freitag vor einer Vorverurteilung gewarnt, sagte Arnold der Zeitung. "Nun aber hat die 'Bild'-Zeitung einen Artikel geschrieben, und Guttenberg gibt den Macher. Das hat mit Respekt vor den Soldaten nichts zu tun."

Untersuchungen in allen Teilen der deutschen Armee
Inzwischen hat Guttenberg eine umfassende Untersuchungen in der gesamten Bundeswehr angeordnet. "Ich habe den Generalinspekteur beauftragt, eine Überprüfung in allen Teilstreitkräften vorzunehmen, inwieweit es in den letzten Jahren und auch jetzt noch Anhaltspunkte für Rituale gibt, die den Grundsätzen der Bundeswehr widersprechen", sagte der Minister der "Bild am Sonntag". Diese Untersuchungen sollen "zeitnah aufzuzeigen, welche Konsequenzen sich daraus ergeben müssen", so Guttenberg weiter.

Bei den nun angeordneten Untersuchungen müsse auch geklärt werden, "ob es in Einzelfällen einen Zusammenhang zwischen Einsatzbelastung und Verstößen gegen Grundsätze der inneren Führung und Vorschriften gab, wie zum Beispiel den leichtfertigen Umgang mit Waffen", sagte Guttenberg mit Blick auf den Fall in Afghanistan, wo ein Soldat einen Kameraden versehentlich erschossen hatte.

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