Wahlrechts-Debatte

Vorzeitige Neuwahlen künftig verbieten?

Österreich
28.12.2010 11:51
Nationalratspräsidentin Barbara Prammer hat am Dienstag die Debatte um ein neues Wahlrecht wieder entfacht. Die SPÖ-Politikerin, die eine Demokratiereform als ihr Lieblingsthema auserkoren hat, plädiert für ein Verbot vorgezogener Neuwahlen und damit für ein Ende der Wahlkampf-Unterbrechungen in einer Legislaturperiode. Von der FPÖ handelte sie sich postwendend den Vorwurf ein, sie betreibe damit Demokratieabbau. Die Grünen sind wiederum gänzlich dafür, ÖVP und BZÖ können sich für einen gemeinsamen Länder-Wahltermin erwärmen.

Hinter Prammers Vorstoß steht der Gedanke eines einheitlichen Wahltermins für sämtliche Versammlungen in Österreich. Mit einem sogenannten "Supersonntag" würden Nationalrat und alle Landtage am selben Tag gewählt werden. Dadurch gäbe es in einer Legislaturperiode keine Unterbrechungen und Blockaden durch Wahlkämpfe, wie dies zum Beispiel heuer gleich dreimal der Fall war.

Im Mai hat heuer das Burgenland gewählt, im September die Steiermark und im Oktober die Bundeshauptstadt Wien. Vor allen drei Urnengängen gab es Vorwürfe gegen die Bundesregierung, sie würde für diese Regionen sensible Projekte verschleppen bzw. sei sogar der Beschluss des Bundesbudgets zugunsten besserer Wahlergebnisse in der Steiermark und Wien auf Dezember verschoben worden. Mit der Bundespräsidentenwahl gab es heuer sogar noch eine vierte Wahl, die bundespolitisch jedoch weit weniger starken Einfluss nahm.

Sollte bei einem Neuwahl-Verbot eine Koalition trotzdem zerbrechen, müssten, Prammers Vorstoß folgend, die Parteien mit den gegebenen Mandatsverhältnissen eine neue Regierung bilden bzw. müsste sich eine Minderheitsregierung dem freien Spiel der Kräfte stellen.

FPÖ: "Skandal der Sonderklasse"
Die sich im Umfragehoch wähnende FPÖ reagierte am Dienstag mit Ablehnung. Aus Prammer spreche die "blanke Angst der selbst ernannten politischen Eliten vor der Strafe der Wählerinnen und Wähler für den Regierungspfusch von A bis Z". Dass eine Nationalratspräsidentin "solcherart dem Demokratieabbau das Wort redet, ist ein Skandal der Sonderklasse", wetterte FPÖ-Generalsekretär Herbert Kickl in einer Aussendung.

Prammer wolle "eine Art Pragmatisierung ihrer Abstimmungsmaschinerie im Parlament einführen", denn ein Neuwahl-Verbot wäre aus Sicht der FPÖ "eine elementare Beschneidung der Rechte und Möglichkeiten des Nationalrats, der ja immerhin einen allfälligen Neuwahlbeschluss tätigen müsste". Wenn Prammer von anderen Regierungsmehrheiten rede, sei sie daran zu erinnern, dass es bereits möglich sei, mittels neuer Mehrheiten im Nationalrat eine andere Regierungskonstellation zustande zu bringen, so Kickl.

Die FPÖ plädiert in Sachen Wahlrechtsreform auf einen Ausbau der direkten Demokratie und schlägt "verpflichtende Volksabstimmungen bei bestimmten Beteiligungsquoten an Volksbegehren oder ein Rederecht von Volksbegehrensinitiatoren im Nationalrat" vor. Die Nationalratspräsidentin könne aber auch über eine Verkleinerung des Nationalrats nachdenken und entsprechende Konzepte vorlegen.

Grüne halten "sehr viel" von Prammer-Vorstoß
Die Grüne Verfassungssprecherin Daniela Musiol hält von dem Vorschlag Prammers hingegen "sehr viel", wie sie im Radio Ö1 am Dienstag sagte. Die Wahlen der vergangenen Monate hätten gezeigt, wie sehr Wahlen die Politik auf der Bundesebene blockierten.

"Unmutige" Regierungsparteien würden dann ihre Arbeit stoppen, nur um bei Wahlen nicht schlechter abzuschneiden. Prammers Vorschlag müsse zwar noch im Detail diskutiert werden, so Musiol, grundsätzlich sei er aber interessant.

Kopf: Ein Länder-Wahltag zum Wohl der "Reformfreude"
ÖVP-Klubobmann Karlheinz Kopf zeigte sich am Dienstag vorerst "skeptisch", was den Vorschlag Prammers betrifft. Vorgezogene Neuwahlen gänzlich zu verunmöglichen, könne er sich nicht vorstellen, meinte er. Allerdings ist es für Kopf denkbar, Neuwahlen zu erschweren, zum Beispiel indem man eine Abkühlungs- und Konsultationsphase einzieht, in der nach dem Platzen einer Regierung vom Bundespräsidenten Gespräche mit den Parteien geführt werden, anstatt automatisch wieder zu den Urnen schreiten zu lassen.

Bei den Wahlen in den Ländern ist Kopf hingegen auf einer Linie mit Prammer. Er will wie die Nationalratspräsidentin, dass die neun Urnengänge am selben Tag durchgeführt werden. Für die Umsetzung bräuchte es dann aber gleich lange Perioden, womit wohl Oberösterreich seine Sechs-Jahres-Etappen an die Fünf-Jahres-Abstände in den anderen Ländern anpassen müsste. In den Ländern dürfte es dann auch keine vorgezogenen Urnengänge mehr geben, da sonst das ganze System nach ein paar Jahren wieder gekippt würde, meinte Kopf. Neuwahlen seien aber ohnehin die Ausnahme, so Kopf, dessen Partei erst vor zwei Jahren einen vorzeitigen Urnengang (Stichwort: Wilhelm Molterers "Es reicht!") initiiert hat.

Als Grund für seinen Vorstoß zur terminlichen Zusammenlegung der Urnengänge in den Ländern gibt Kopf an, dass es für die "Reformfreude" im Bund nicht von Vorteil sei, wenn jedes Jahr ein paar Landtagswahlen stattfänden. Das habe man ja erst im heurigen Jahr gesehen. Abgelehnt wird vom VP-Klubchef, die Länder-Wahlen zum gleichen Datum wie im Bund durchzuführen. Denn dann würden die Landtagswahlen ein Stück weit zur Abstimmung über die Bundespolitik, was nicht Sinn der Sache sei.

BZÖ-Obmann Josef Bucher kann ebenfalls dem Vorschlag, Landtagswahlen zusammenzulegen, durchaus etwas abgewinnen. Die Überlegung sei grundsätzlich richtig, sagte er am Dienstag. Von einem "Super-Wahlsonntag" hält Bucher allerdings nichts. Stattdessen sollten in der Mitte der Legislaturperiode der Bundesregierung - wie etwa in den USA bei den "Midterm Elections" üblich - Länder- und Kommunalwahlen stattfinden.

Debatte drehte sich bisher stets um Mehrheitswahlrecht
Diskussion über eine Wahlrechtsreform waren in Österreich zuletzt vor der Bundespräsidentenwahl im April 2010 und später im Schatten der britischen Parlamentswahlen aufgekommen. Dabei ging es jedoch ausschließlich um die Einführung eines Mehrheitswahlrechtes, wie es etwa in Großbritannien gilt und wie es in Österreich die ÖVP favorisiert bzw. Prammer bisher nicht dezidiert abgelehnt hat.

In Österreich gilt derzeit das sogenannte Verhältniswahlrecht. Das heißt, Mandate werden möglichst genau im selben Verhältnis zugeteilt, wie vom Bürger abgestimmt wurde. Dadurch entsteht in Sachen Bundesregierung häufig eine Große Koalition. Bis auf ein paar Ausnahmen (ÖVP-Absolute Ende der Sechziger, SPÖ-Absolute in der Ära Kreisky, Rot-Blau Anfang der Achtziger und Schwarz-Blau-Orange von 2000 bis 2006) ist sie die vorherrschende Koalitionsform.

In Großbritannien gilt hingegen ein Mehrheitswahlrecht: Gewählt ist der Kandidat, der die meisten Stimmen im Wahlkreis hat, die Stimmen der Gegner verfallen - egal, wie viele sie gesammelt haben. Dadurch gibt es fast nur Absolute Mehrheiten und häufiger Machtwechsel, weil es den Bürgern leichter fällt, eine Regierung, mit der sie unzufrieden sind, "abzustrafen" und an einem einzigen Sonntag das Land vollkommen neu auszurichten. Allerdings gibt es auch dort Ausnahmen, wie die jüngste Wahl im Vereinigten Königreich Anfang Mai zeigte: Erstmals seit 1974 konnte keine Partei eine Absolute erreichen. Konservative und Liberaldemokraten regieren das Land seither in einer Koalition - und wollen 2011 ein Referendum über ein neues Wahlrecht mit Tendenz zur Verhältniswahl abhalten.

Übrigens: Am 17. Jänner lädt Prammer gemeinsam mit der "Initiative Mehrheitswahlrecht" zu einem Symposium im Parlament. Der Titel lautet "Demokratie im Diskurs - Ein konkretes Wahlrechtsmodell".

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