Prozess-Farce

Moskau: Putin-Feind Chodorkowski erneut verurteilt

Ausland
27.12.2010 10:58
Der inhaftierte Kreml-Kritiker Michail Chodorkowski ist in seinem zweiten - höchst umstrittenen - Prozess schuldig gesprochen worden. Dem 47-jährigen Erzfeind von Premier Wladimir Putin wurde die Unterschlagung von 218 Millionen Tonnen Öl vorgeworfen. Die Verteidigung hält dies für "absurd und unlogisch" sowie politisch motiviert. Das Strafmaß wird in den nächsten Tagen verkündet. Folgt das Gericht dem Antrag der Staatsanwaltschaft, wird der Ex-Chef des inzwischen zerschlagenen Ölkonzerns Yukos erst 2017 aus dem Gefängnis entlassen.

Vor dem Bezirksgericht hatten Hunderte Demonstranten einen Freispruch für die Angeklagten gefordert. "Jeder von uns kann zu einem Chodorkowski werden", hieß es auf einem Banner, "Freiheit für politische Gefangene" und "Russland ohne Putin" auf anderen.

Chodorkowski, der in einem ersten Prozess 2003 wegen Betrugs und Steuerhinterziehung bereits zu acht Jahren Haft verurteilt worden war, hat die neuen Vorwürfe - wie zahlreiche Prozessbeobachter - stets als politisch motiviert zurückgewiesen. Doch laut Anklage ist dem Staat dadurch ein Schaden von umgerechnet knapp 20 Milliarden Euro entstanden. Die Staatsanwaltschaft forderte in dem international beachteten Gerichtsverfahren eine neue Haftstrafe von sechs weiteren Jahren für den früheren Yukos-Chef und dessen mitangeklagten Ex-Geschäftspartner Platon Lebedew.

Putin: "Der Dieb muss im Gefängnis sitzen"
Putin hatte kürzlich im Staatsfernsehen eine Verurteilung seines Erzfeinds Chodorkowski gefordert. "Der Dieb muss im Gefängnis sitzen", hatte der Premier live bei seiner Fernsehsprechstunde gesagt. Prompt handelte er sich den Vorwurf ein, auf das Gericht Druck auszuüben. Sogar Kreml-Chef Dmitri Medwedew, der immer wieder gegen politisch gesteuerte und korrupte Justizwillkür wettert, verbat sich diese Form von Einmischung.

Doch Beobachter in Moskau gingen längst davon aus, dass weder Putin noch Medwedew ihr Machttandem durch eine Freilassung Chodorkowskis gefährden. Die erste Strafe des Ex-Yukos-Chefs wäre 2011 abgelaufen. Allerdings würde Chodorkowski mit seinem Geld aus Sicht der Machtelite für zu viel Unruhe vor der Präsidentenwahl 2012 sorgen - weshalb er laut den meisten Beobachtern weiter politisch kaltgestellt werden soll. Deutschland und die USA hatten das Verfahren immer wieder als politischen Schauprozess ohne Rechtsgrundlage kritisiert.

Chodorkowski: Vorwürfe sind freie Erfindung
Chodorkowski beteuerte stets seine Unschuld und nennt die Anschuldigungen gegen ihn freie Erfindung. Notfalls wolle er bis zu seinem Tod im Knast sitzen und für die Gerechtigkeit kämpfen, betonte er immer wieder. Der 47-Jährige selbst sah die Prozesse gegen ihn stets als Putins Rache dafür, dass er im Gegensatz zu anderen Oligarchen die Opposition unterstützt hatte.

"Mir ist klar, dass in einem Moskauer Gericht ein Freispruch ein Ding der Unmöglichkeit ist", sagte er dann auch in seinem Schlusswort mit beißendem Spott (weitere Zitate in der Infobox). Immerhin hatten auch Spitzenfunktionäre die Anklage als politisch gesteuert bezeichnet. Ex-Wirtschaftsminister German Gref und Industrieminister Viktor Christenko sprachen als Zeugen vor Gericht von nicht nachvollziehbaren Anschuldigungen gegen Chodorkowski und dessen mitangeklagten Geschäftspartner Lebedew.

Experte: "Beispiel für politische Willkürjustiz"
Der Menschenrechtsbeauftragte der deutschen Bundesregierung, Markus Löning (FDP), kritisierte das Urteil gegen Chodorkowski als "Beispiel für politische Willkürjustiz": "Ich bin zutiefst empört über den Schuldspruch. Das Urteil wirft kein gutes Licht auf die Zustände in Russland." Es zeige, "dass die Rechtsstaatsrhetorik von Präsident Dmitri Medwedew tatsächlich nur reine Rhetorik ist". "Das Urteil ist eine krasse Fehlinterpretation dessen, was vor Gericht passiert ist", sagte Löning, der vor einigen Wochen an Teilen des Prozesses teilgenommen hatte. Die Zeugenaussagen hätten die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen den 47-Jährigen nicht belegen können, "im Gegenteil".

Auch der Russland-Beauftragte der deutschen Regierung, Andreas Schockenhoff (CDU), kritisierte das Verfahren als einen rein politischen Prozess: Man könne sagen, dass in Russland grundsätzlich die Justiz nicht unabhängig sei. Schockenhoff meinte, dass die Richter vor Regierungschef Putin kuschten. Schockenhoff nannte Putin einen "autoritären Machthaber". Mittelfristig habe er aber die Hoffnung, dass Präsident Medwedew sich mit seinem Bestreben durchsetze, Russland zu modernisieren und zu einem freien Rechtsstaat zu machen.

Chodorkowskis Anwalt Wadim Kljuwgant kündigte nach dem Richterspruch umgehend Revision an - er werde gegen das Urteil Einspruch einlegen. Auch Chodorkowski hatte bereits zuvor angekündigt, im Falle eines Schuldspruchs das Urteil anfechten zu wollen und notfalls bis vor den Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg zu ziehen.

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