Adamovich hatte im Hochsommer 2009 in seiner Funktion als damaliger Leiter der Evaluierungskommission zur Causa Kampusch in mehreren Interviews (u.a. in der "Krone", siehe Infobox) zu bedenken gegeben, für Natascha Kampusch wäre die Zeit ihrer Gefangenschaft womöglich "allemal besser" gewesen "als das, was sie davor erlebt hat". Die Mutter des Entführungs-Opfers, Brigitta Sirny (im Bild rechts), brachte daraufhin im September 2009 gegen Adamovich eine Privatanklage wegen übler Nachrede ein und bekam in erster Instanz recht.
Tatbestand nicht gegeben
Ein Drei-Richter-Senat leistete nun der Nichtigkeitsbeschwerde Adamovichs gegen den am 23. Dezember 2009 über ihn verhängten Schuldspruch des Wiener Straflandesgerichts Folge und hob das Urteil wegen übler Nachrede auf. Für den Berufungssenat war das Ersturteil mit "erheblich bedenklichen Feststellungen" behaftet, wie der Vorsitzende Dietmar Krenn ausführte.
Bei der inkriminierten Äußerung Adamovichs habe es sich um eine "vorsichtige Formulierung" gehandelt, der ehemalige VfGH-Präsident habe "erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass es sich dabei um seine subjektive Meinung handelt". Im Unterschied zur Erstrichterin war für das OLG diese Bewertung "nicht exzessiv", vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt und der Tatbestand der üblen Nachrede nicht gegeben.
Für OLG "vorsichtige Formulierung"
Adamovich habe gegen Brigitta Sirny "keinen konkreten Verhaltensvorwurf" erhoben, sagte Krenn. Die Erstrichterin habe die in mehreren Interviews transportierte Passage über Natascha Kampuschs Kindheit "aus dem Zusammenhang gelöst" und die an Adamovich gerichtete Fragestellung, den "konkreten Gesamtzusammenhang" sowie die Funktion Adamovichs als damaliger Leiter der Evaluierungskommission zu wenig beachtet.
Adamovichs Aussage lasse mehrere Interpretationsmöglichkeiten zu. Bei der rechtlichen Beurteilung sei die für den Angeklagten Günstigste heranzuziehen, die eben nicht darauf gerichtet war, die Mutter von Natascha Kampusch in ein negatives Licht zu rücken, begründete der Vorsitzende den Freispruch.
Freispruch für Sirny-Anwalt "nicht nachvollziehbar"
Für den Rechtsvertreter von Brigitta Sirny, Wolfgang Miller, ist diese Entscheidung, gegen die keine Rechtsmittelmöglichkeit mehr besteht, "absolut nicht nachvollziehbar und skandalös", wie er nach der Verhandlung bemerkte. Die Auslegung des OLG sei "weltfremd" und widerspreche auch den Grundsätzen des Medienrechts.
Adamovich selbst war dem Berufungsverfahren ferngeblieben. "Er kann nicht kommen. Er ist dazu nicht in der Lage. Seine Frau ist vor eineinhalb Wochen gestorben. Gestern war das Begräbnis", entschuldigte seine Anwältin Isabel Funk-Leisch den mittlerweile 78-Jährigen.
"Liebevolle Beziehung" zwischen Kampusch und Priklopil
Vor einem Jahr hatte Adamovich vor Gericht seine Einschätzung betreffend der beklagten Aussage bekräftigt und behauptet, es gebe "Indikatoren" dafür, dass sich zwischen Kampusch und ihrem Entführer Wolfgang Priklopil "eine positive, sogar liebevolle Beziehung entwickelt hat". Es gebe "eine ganze Liste von Aufenthaltsorten außerhalb des Verlieses". "Das sind alles Dinge, die nicht recht passen in das Bild einer gespenstischen Gefangenschaft. Es gibt gewisse Hinweise darauf, dass das Ganze nicht dermaßen finster und dunkel war, wie es bisher den Anschein hatte", gab Adamovich zu Protokoll.
"Missliche Situation" vor der Entführung
Dem stellte der Ex-VfGH-Präsident die Zeit vor der Entführung gegenüber: "Dass es der Frau Kampusch vor der Entführung schlecht gegangen ist, davon bin ich überzeugt. Ich habe aber nie gesagt, dass die Mutter ausschließlich Schuld daran war. Da haben andere auch eine Rolle gespielt. Nicht zuletzt der Vater." Grundsätzlich hätte sich das Mädchen vor der Entführung in einer "misslichen Situation" befunden, behauptete Adamovich: "Es hat Symptome gegeben, die auf eine sehr starke psychische Belastung deuten."
Kampuschs Mutter unterstellte er, "ein verjährtes Offizialdelikt" begangen zu haben. Er bezog sich dabei auf eine Zeugenaussage, derzufolge Brigitta Sirny ihre Tochter geschlagen haben soll. Noch am Tag der Entführung soll Natascha Kampusch angeblich einen Klaps auf den Mund bekommen haben.
"Man muss annehmen, dass sie das Kind nicht mag"
Adamovich erwähnte auch ein Gutachten des Kinderpsychiaters Max Friedrich, das dieser unmittelbar nach der Entführung für das Wiener Sicherheitsbüro erstellt hatte. Friedrich hatte Sirny darin eine "große Distanz" zu ihrer Tochter bescheinigt, von der sie nur in der Vergangenheit und "abfällig" spreche, "sodass man annehmen muss, dass sie das Kind nicht mag".
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