Ehepaar erschossen

Christ als Täter: “Ehrenmord” hält Türkei in Atem

Ausland
16.12.2010 12:27
Der Doppelmord an einem frisch verheirateten Paar in Istanbul am vergangenen Samstag hält seit Tagen die türkische Öffentlichkeit in Atem. Der Juwelier Zekeriya Vural, ein Muslim, hatte sich Anfang Dezember heimlich mit Soney Ögmen vermählt, einer armenischen Christin. Deren Bruder Gönay verlangte bei einem Treffen in einem Restaurant, das Paar solle wenigstens eine kirchliche Trauung nachholen, um die christliche Familie der Braut zu beruhigen. Vural lehnte das ab - ein fataler Fehler.

Zuerst im Restaurant und später im Wagen der Eheleute stritten sich die drei immer heftiger - bis Gönay Ögmen eine Pistole zog und zuerst Vural und dann seine eigene Schwester mit Kopfschüssen tötete. Kurz nachdem die Leichen der beiden Opfer von Passanten in dem Wagen gefunden wurden, nahm die Polizei Gönay Ögmen als Hauptverdächtigen fest. Der 29-Jährige hat die Tat gestanden.

Familie der Frau war gegen eine Hochzeit
Die 26-jährige Apothekenangestellte Soney hatte den um drei Jahre älteren Zekeriya im Sommer kennengelernt, als er sich von ihr eine Spritze setzen ließ. Die Familie der jungen Frau war gegen die Romanze und gegen eine Heirat, weshalb sich die beiden vor zwei Wochen standesamtlich trauen ließen, ohne den Verwandten Bescheid zu geben. Nun trennte der Tod die Eheleute: Zekeriya wurde auf einem muslimischen Friedhof beigesetzt, Soney auf einem christlichen.

Die wildromantische Liebesgeschichte mit tödlichem Ausgang schürt nun die Angst vor einem Klima des Hasses zwischen den Religionen. Nach mehreren Morden fanatischer Nationalisten und Muslimen an Christen in der Türkei in den vergangenen Jahren ist der Doppelmord an den Vurals der erste Fall, in dem ein Christ wegen eines religiös motivierten Streits einen Moslem umgebracht hat. Das armenische Patriarchat in Istanbul reagierte entsetzt und verurteilte die Tat.

"Kirchentrauung oder Tod" titelte eine türkische Zeitung, "Liebe zu Andersgläubigem wurde zum Mordmotiv" eine andere. Muslimische Verwandte von Zekeriya sprachen von einem "Ehrenmord" der christlichen Familie. Die Eltern der Braut hätten Drohungen ausgestoßen und davon gesprochen, Zekeriya und Soney umbringen zu lassen, sagte ein Onkel Zekeriyas der Zeitung "Hürriyet". Es sei keine Einzeltat gewesen, sondern ein Verbrechen auf Beschluss des Familienrates der Ögmens.

"Für alle Christen in der Türkei ist das ein Problem"
"Ehrenmord" und "Familienrat" sind Begriffe, die in der Türkei sonst nur im Zusammenhang mit brutalen Racheakten anatolischer Familien an angeblich sittenlosen Frauen aus der Verwandtschaft zu hören sind. Dass sie nun auf die christliche Familie Ögmen angewendet werden, sei gefährlich, meint der Autor und Menschenrechtsaktivist Levent Sensever. Auf diese Weise würden die muslimischen Verbrechen an den Christen der vergangenen Jahre relativiert, sagte Sensever. Außerdem stünden die Christen als rückständig und gewalttätig da. "Das schürt ein Klima des Hasses", sagte er. "Für alle Christen in der Türkei ist das ein Problem."

Auch Adnan Mercan, der Anwalt der Ögmen-Familie, sieht diese Gefahr. Mit Nachdruck weist er die These zurück, dass der Doppelmord etwas mit Religion zu tun hatte. "Er hatte Streit mit seinem Schwager, es war etwas Persönliches", sagt der Anwalt über den geständigen Mörder Gönay Ögmen. Von einem "Ehrenmord" könne erst recht keine Rede sein: Es gebe bei keiner Religion in der Türkei eine Tradition von Gewalt bei Ehen über Glaubensgrenzen hinweg. "Viele Muslime heiraten Christen und umgekehrt, und bisher gab es nie ein Problem", sagt der Anwalt. Auch seien die Eltern von Gönay und Soney völlig am Boden zerstört - dagegen sind die Täter bei "Ehrenmorden" meistens stolz auf ihr Verbrechen.

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