Rätsel um Terrorist

Wer war der Attentäter von Stockholm?

Ausland
13.12.2010 14:19
Knapp zwei Tage nach dem Bombenanschlag in der Innenstadt von Stockholm erscheint immer wahrscheinlicher, dass es sich bei dem mutmaßlichen Terroristen wohl doch nicht um einen Einzeltäter gehandelt haben dürfte. Der "zu 98 Prozent" als Täter bestätigte Taimur Abdel Wahab könnte im Auftrag des irakischen Arms des Terrornetzwerks Al Kaida gehandelt haben, heißt es aus Schweden.

Wahab ist in seiner Erscheinung und auch in seinem Lebenslauf auf den ersten Blick kein "typischer" Terrorverdächtiger, wie ihn sich viele anhand des allgegenwärtigen Osama bin Laden vorstellen würden. Auf dem bislang einzigen Foto Wahabs, das am Sonntag von einer islamistischen Website veröffentlicht wurde, posiert ein im modischen Trenchcoat gekleideter junger Mann mit Sonnenbrille; ein hipper europäischer Stadtbewohner.

Aus dem Irak über Schweden nach England
Tatsächlich soll der 1981 geborene Wahab aber ein treuer Gefolgsmann der Bin-Laden-Terroristen gewesen sein. In seinem Testament habe sich Wahab auf Terrordrohungen des irakischen Al-Kaida-Ablegers "Islamischer Staat Irak gegen Schweden" bezogen, berichtet das auf die Überwachung islamistischer Websites spezialisierte US-Institut "SITE". Die islamistische Website "Shumukh al Islam", die am Sonntag das Foto von Wahab veröffentlichte, schrieb: "Das ist unser Bruder, der Mujahid Taimur Abdel Wahab, der die Märtyrer-Tat in Stockholm vollbracht hat."

Über sein Leben ist knapp 48 Stunden nach den Anschlägen auf die schwedische Hauptstadt bereits relativ viel bekannt. Wahab soll im Jahr 1992 von Bagdad nach Schweden gekommen sein, dort die Staatsbürgerschaft erlangt haben und zuletzt in Großbritannien Physiotherapie studiert haben. Dort hat er laut britischen Zeitungen auch geheiratet, seine Frau und die drei Kinder des Paares sollen nach wie vor im Vereinigten Königreich leben. Sein familiärer Lebensstil dürfte allerdings nicht westlich geprägt sein, laut britischen Berichten suchte Wahab zuletzt nach einer "Zweitfrau", seine Frau trug seit 2008 einen Ganzkörperschleier.

Kontakte zu U-Bahn-Bombern und in den Irak?
Die britische Polizei durchsuchte am späten Sonntagabend ein Haus in der Grafschaft Bedfordshire nördlich von London. Verhaftungen gab es aber keine, Einzelheiten wurden nicht bekannt gegeben. Scotland Yard vermutet laut britischen Medien, dass Wahab Kontakte zu den Attentätern der Londoner U-Bahn-Anschläge vom 7. Juli 2005 gehabt hat. Als Anhaltspunkt gilt Wahabs vermutete Nähe zu einer Art Terrorzelle in Luton, der größten Stadt in Bedfordshire mit einer großen islamischen Gemeinde, die vereinzelt wegen angeblicher Radikal-Prediger in die Schlagzeilen geraten ist.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Montag, Wahab habe in Luton das "Islamic Center" besucht, sei aber im Jahr 2007 von dort mehr oder weniger verwiesen worden. "Er war immer sehr freundlich, redefreudig, die Leute mochten ihn. Aber nach einer Zeit fielen uns seine extremen Ansichten auf", zitierte Reuters einen Sprecher des Zentrums. Als man Wahab damit konfrontiert habe, sei er aus der Moschee gestürmt und nie wieder zurückgekehrt.

Ob Wahab nun direkt im Auftrag des irakischen Al-Kaida-Ablegers gehandelt hat oder in Eigenregie bzw. mit Komplizen dessen Drohung gegen Schweden umsetzte, ist noch unklar. Der einstige irakische Al-Kaida-Anführer Abu Omar al-Baghdadi hatte im September 2007 angekündigt, wegen der Veröffentlichung einer Skizze des Propheten Mohammed als Hund durch den schwedischen Künstler Lars Vilks "Rache an Schweden" üben zu wollen. Al-Baghdadi rief zu Anschlägen gegen schwedische Unternehmen wie Ericsson, Ikea und Volvo auf und bot ein Kopfgeld für die Tötung von Vilks an. Laut SITE hat sich Wahab in Pakistan zum Jihadisten ausbilden lassen.

"Mit Bombenmaterial wahrlich gut ausgerüstet"
Der in Stockholm ermittelnde Staatsanwalt Tomas Lindstrand meinte am Montag, das Attentat sei - obwohl die Mehrzahl der Bomben nicht explodierte und die Sprengung insgesamt zu früh erfolgte - offenbar "gut vorbereitet" gewesen. Deshalb gehe man von Helfern bei der Vorbereitung aus, es gebe aber keine konkreten Verdächtigen. 

Die Ermittler vermuten, dass Wahab auf dem Weg zum Stockholmer Hauptbahnhof oder in ein Einkaufszentrum war, als eine der Rohrbomben an seinem Körper wahrscheinlich versehentlich explodierte. Der Tote habe einen Bombengürtel getragen, weitere Bomben im Rucksack und etwas, das wie ein Druckkochtopf aussah. "Er war mit Bombenmaterial wahrlich gut ausgerüstet", so Lindstrand.

Botschaft an Familie: "Ich hoffe, ihr werdet mich verstehen"
Was die Ermittler aber zunächst an einen Einzeltäter glauben ließ: Kurz vor der Zündung der Bomben war bei der schwedischen Nachrichtenagentur TT und der Sicherheitspolizei ein E-Mail eingegangen, gesendet von Wahabs Mobiltelefon. Da die Al Kaida und seine Ableger sich traditionell erst nach einem Anschlag zu diesem bekennen, hielten die Ermittler eine Verbindung für unwahrscheinlich.

In dem E-Mail wandte sich Wahab unter anderem an die Muslime in Schweden und an seine Familie. "Allen Muslimen sage ich: Lasst euch nicht unterdrücken und erniedrigen, denn ich sage euch, ein Leben für den Islam ist kein erniedrigendes Leben!" An seine Familie schrieb er: "Ich hoffe, ihr werdet mich eines Tages verstehen."

Schwedische Polizei verstärkt Überwachung landesweit
Die schwedische Polizei hat indes am Montagnachmittag angekündigt, ihre Präsenz massiv zu verstärken. Sie werde die bereits unmittelbar nach dem Selbstmordanschlag verstärkte Überwachung öffentlicher Plätze in Stockholm nun auf das ganze Land ausweiten. Die bereits seit Anfang Oktober leicht erhöhte Terrorwarnstufe in Schweden werde vorerst nicht weiter erhöht. Es sei dessen ungeachtet jetzt "wichtig, dass die Polizei in der Öffentlichkeit stärker präsent sei".

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