WikiLeaks-Dokumente

USA spionierten offenbar auch den Papst aus

Ausland
11.12.2010 19:25
Nicht einmal der Papst war vor den Spitzelberichten der US-Diplomaten sicher, die dieser Tage auf WikiLeaks enthüllt wurden. Die Details, die sich zum großen Teil auf das Wirken von Joseph Ratzinger beziehen - damals einflussreicher Kardinal im Vatikan und seit 2005 Papst Benedikt XVI. -, sind durchaus brisant. Der Vatikan zeigte sich in einer ersten Reaktion "empört".

Laut Bericht der britischen Zeitung "The Guardian" soll Ratzinger jahrelang Politik gegen einen EU-Beitritt der Türkei gemacht haben. Das Blatt beruft sich auf einschlägige diplomatische Geheimdokumente, die sie von der Aufdecker-Website WikiLeaks erhalten habe. So habe sich Ratzinger im Jahr 2004 als Präfekt der Glaubenskongregation dagegen ausgesprochen, dass ein muslimischer Staat der Europäischen Union beitrete. Offiziell verhielt sich der Vatikan in dieser Sache politisch neutral. Der Vatikan-Diplomat Monsignore Pietro Parolin, heute Nuntius in Venezuela, wertete Ratzingers Einstellung als "persönliche Aussagen", die nicht der offiziellen Position des Vatikan entsprechen würden.

Die US-Diplomaten gingen davon aus, dass Ratzinger mit seinen Kommentaren einen Beitrag zur damals geführten Debatte um die Aufnahme eines "christlichen Gottesbezuges" in die EU-Verfassung leisten wollte. Der "Guardian" zitiert aus den Dokumenten einen US-Diplomaten, demzufolge es "für Ratzinger klar ist, dass es eine weitere Schwächung für die christlichen Wurzeln in Europa bedeuten würde, wenn ein muslimisches Land in die EU aufgenommen würde".

2006, als Parolin für den nunmehrigen Papst arbeitete, wurden dessen Aussagen vorsichtiger. "Weder der Papst noch der Vatikan haben eine türkische EU-Mitgliedschaft per se unterstützt", zitiert der damalige US-Geschäftsträger den Vatikan-Diplomaten. "Der Heilige Stuhl war aber immer offen für einen Beitritt, mit der Betonung darauf, dass die Türkei die Kopenhagener Kriterien der EU erfüllen muss, um ihren Platz in Europa einnehmen zu können." Diese umfassen Grundwerte wie Freiheit, Demokratie, Achtung der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit.

"Türkei steht kurz vor der offenen Verfolgung von Christen"
Eine große Sorge sei laut Parolin, dass die Türkei der EU beitreten könnte, ohne notwendige Fortschritte bei der Religionsfreiheit gemacht zu haben. Die EU und die USA sollten demnach in dieser Hinsicht auf Ankara weiter Druck ausüben. In der Türkei stehe man kurz vor der "offenen Verfolgung" der Christen, es könnte gar nicht mehr viel schlimmer für die Christen in dem Land werden, zitierte der US-Diplomat seinen vatikanischen Informanten.

Aufklärung der irischen Missbrauchsfälle in neuem Licht
Laut den von WikiLeaks verbreiteten Dokumenten soll sich der Vatikan außerdem geweigert haben, seine Mitarbeiter vor einer irischen Kommission zur Untersuchung von Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche aussagen zu lassen. Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone habe die irische Botschaft beim Heiligen Stuhl aufgefordert, für ihre Informationsbeschaffung die üblichen diplomatischen Kanäle zu nutzen, geht laut der britischen Zeitung "Guardian" aus vertraulichen Telegrammen der US-Botschafterin im Vatikan, Julieta Valls Noyes, hervor, wie Kathpress meldet.

Demnach müssen ausländische Diplomaten nicht vor nationalen Kommissionen aussagen. Man habe verärgert auf Anfragen der sogenannten Murphy-Kommission reagiert und das Versäumnis der irischen Regierung beklagt, die Souveränität des Vatikan in der Angelegenheit "zu respektieren und zu schützen". Die irische Regierung habe nachgegeben und Mitarbeitern des Vatikans Immunität gewährt. Nach der nun veröffentlichten Einschätzung der irischen Gesandtschaft habe die "mangelnde Kooperation" des Vatikans die Situation um den Missbrauchsskandal verschlimmert.

Der vom irischen Justizministerium veröffentlichte Report der Murphy-Kommission kam 2009 zu dem Schluss, dass die Erzdiözese Dublin über mehr als 30 Jahre Kindesmissbrauch durch Geistliche systematisch vertuscht habe. Papst Benedikt XVI. hat inzwischen mehrfach sein Bedauern über die Missbrauchsfälle ausgedrückt.

Vatikan über Veröffentlichungen "empört"
Der Vatikan reagierte am Samstag auf die Enthüllungen deutlich verstimmt. Als "äußerst gravierend" wurde der Inhalt der US-Depeschen in einem offiziellen Statement bezeichnet. "Sie spiegeln aber lediglich die Meinung derjenigen wider, die sie verfasst haben", hieß es.

Die von WikiLeaks veröffentlichten Dokumenten seien außerdem keineswegs Ausdruck der Position der Heiligen Stuhls. Auch die Aussagen der Vatikan-Vertreter, die in den Depeschen zitiert sind, seien ungenau, ihre Zuverlässigkeit sei bestreitbar, hieß es.

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