Gigantische Klage

Wiener Finanzelite versinkt im Madoff-Sumpf

Österreich
12.12.2010 19:45
Der Masseverwalter des verurteilten US-Betrügers Bernard Madoff, Irving Picard, macht bei seiner Suche nach den verschwundenen Milliarden Jagd auf die Wiener Hochfinanz. Die Bankerin Sonja Kohn, Eigentümerin der ehemaligen Bank Medici, soll eine Schlüsselrolle bei Madoffs Machenschaften gespielt haben. Sie habe den europäischen Geldadel angezapft, um stets frisches Geld in Madoffs Schneeballsystem zu pumpen, wirft ihr Picard in einer Klage vor, die er am Freitag in den USA eingebracht hat.

Kohn sei aber nicht allein gewesen, bereichert hätten sich auch die Bank Austria und deren Mailänder Mutter, die UniCredit, wie es explizit heißt. Insgesamt verlangt der Opferanwalt 19,6 Milliarden Dollar Schadenersatz - so viel wurde noch nie zuvor von einem österreichischen Unternehmen gefordert. Die Bank Austria und Kohn sehen sich allerdings weiterhin als Opfer von Madoff.

Die Liste der Beschuldigten liest sich wie ein Who-is-who der Wiener Bankenszene: Angeführt ist etwa der Ex-Bank-Austria-Boss Gerhard Randa, der Kohn bei der Beschaffung einer Banklizenz für die Bank Medici geholfen haben soll, der ehemalige Chef der Wiener Börse, Stefan Zapotocky, der Ex-Bank-Austria-Vorstand Willi Hemetsberger und sogar der mächtige langjährige Boss der UniCredit, Alessandro Profumo.

"Sonja Kohn war Madoffs Seelenverwandte"
Im Zentrum der Klage steht die 62-jährige Sonja Kohn, auch bekannt unter den Namen "Sonja Blau" oder "Sinja Türk": In ihr habe Madoff eine "kriminelle Seelenverwandte" gefunden, "deren Gier und unehrlicher Einfallsreichtum seinem eigenen ebenbürtig waren", wie Picard behauptet. Laut dem Opferanwalt können 9,1 Milliarden Dollar des durch die Machenschaften Madoffs gestohlenen Geldes "direkt" Kohn und ihren Verwandten zugeordnet werden sowie einem Labyrinth von Fonds und Banken in Österreich, Italien und Gibraltar.

Kohn, die von 1983 bis 1994 in den USA gelebt hat, soll laut Klage mindestens 62 Millionen Dollar Schmiergeld von Madoff kassiert haben, um Investoren für dessen Firma BLMIS zu finden.

Bei ihrer Rückkehr nach Österreich hat sie jedenfalls gleich bei der Bank Austria angeklopft, der der Vertrieb von Madoff-Fonds offenbar sehr recht kam, um die Expansion Richtung Osteuropa zu forcieren. Bald darauf sei der "Primeo Fund" gegründet worden, an der Idee sollen neben Kohn unter anderem Randa und Zapotocky beteiligt gewesen sein.

Primeo-Gelder landeten allesamt in Madoffs Finanzdickicht
Wie sich später herausstellte, landeten die Gelder des "Primeo Executive" und "Primeo Select" allesamt bei Madoff, der diese aber nie veranlagt hat.

Die Bank Austria bzw. ihre ehemalige Tochter BA Worldwide hat mit Madoff-Feeder-Fonds ordentlich verdient: Laut Klage brachte ihr der "Primeo"-Fonds mindestens 55 Millionen Dollar, weitere 13 Millionen Dollar lukrierte sie aus dem "Thema International" und dem "Alpha Prime", für die sie als Investmentberaterin fungiert habe.

Die spätere Gründung der Bank Medici ist laut Picard nur erfolgt, um noch mehr Gelder für Madoffs Feeder-Fonds einzusammeln, vor allem in Osteuropa, wo Kohn bestens vernetzt ist. Obwohl die Bank Austria nur eine Minderheit an Kohns Mini-Bank hielt, sei die Bank Medici die ganze Zeit über eine "De-facto-Ablegerin" der Bank Austria gewesen. Der Erhalt der Bankkonzession 2003 habe den "Komplott" Kohns vorangetrieben, so Picard. Von da an habe nämlich die Bank Medici ihre eigenen Madoff-Investment-Vehikel kreieren können, allen voran den größten Feeder-Fonds "Herald", der Madoff binnen fünf Jahren mit mindestens 1,5 Milliarden Dollar versorgt haben soll. Die Bank Austria, so Picard, habe davon profitieren können.

Erfolgsaussichten der 19,6-Milliarden-Klage unklar
Wie groß die Erfolgsaussichten der bisher größten Schadenersatzklage in der Causa Madoff sind, vermag in Juristenkreisen noch niemand seriös zu beurteilen. Der Wiener Anwalt von Sonja Kohn, Andreas Theiss, meinte am Samstagabend, dass die behaupteten Vorwürfe mit der Realität nichts gemein hätten, seine Mandantin Opfer von Madoff sei. Die Bank Austria will "mit aller Vehemenz" gegen die Klage vorgehen, ihr Mutterkonzern UniCredit will sich ebenfalls "auf entschlossene Weise" verteidigen. Österreichische Madoff-Opfer - betroffen sind hauptsächlich gut betuchte Privatiers, aber auch die Kärntner Tourismusholding und die steirische Gemeinde Hartberg - erhoffen sich indes Rückendeckung: Durch Picards Bedenken erführen die Anlegerverfahren gegen "das mächtige Gegenüber" Bank Austria eine gewisse Objektivierung, meinte der Wiener Anlegeranwalt Andreas Pascher.

Weltweit haben sich rund 16.000 Madoff-Opfer bei Gericht gemeldet, die bisher eingebrachten Schadenersatzklagen belaufen sich auf 51 Milliarden Dollar. Konkursverwalter Picard hat bisher erst 2,6 Milliarden Dollar zurückgeholt, unter anderem durch die Versteigerung von Madoffs Hab und Gut. Jetzt, unmittelbar vor Ablauf der zweijährigen Frist für das Einbringen von Forderungen, hat der Opferanwalt noch schnell Milliardensummen bei internationalen Finanzinstituten geltend gemacht, neben UniCredit und Bank Austria wurden auch HSBC, JPMorgan Chase und UBS verklagt.

Für die Banken bedeutet dies zuallererst einen großen Imageschaden. Dass die geforderten Summen wirklich schlagend werden, glaubt man intern - derzeit - nicht. In den USA, heißt es, sei es ein Leichtes, Milliarden einzuklagen, sei dies doch im Gegensatz etwa zu Österreich nur mit einem geringen finanziellen Aufwand (Gerichtsgebühren) verbunden. Sollte die Bank Austria aber tatsächlich zur Kasse gebeten werden, könnten sie ein ernsthaftes Problem bekommen. Selbst der Gewinn ihrer Mutter UniCredit ist um ein Vielfaches geringer als der nun geforderte Betrag: In den ersten neun Monaten 2010 verdienten die Italiener eine Milliarde Euro.

Madoff-Sohn erhängt sich in eigener Wohnung
Zeitgleich mit dem Bekanntwerden der Klage erschütterte eine Tragödie das Madoff-Umfeld. Wie am Samstag bekannt wurde, hat sich Mark Madoff, einer der Söhne des Betrügers in seiner New Yorker Wohnung erhängt. Vor genau zwei Jahren hatte Bernard Madoff den Betrug seinen beiden Söhnen offenbart und war auf deren Hinweis hin festgenommen worden (siehe Infobox).

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