Vektor oder mRNA

Impfstoffe: Eine Diskussion um des Kaisers Bart?

Wissenschaft
21.02.2021 06:03

AstraZeneca, Biontech/Pfizer, Moderna, Johnson & Johnson, „Sputnik V“! Namen, die bis vor Kurzem unbekannt waren und nun in aller Munde sind. Es handelt sich um in Rekordzeit entwickelte Impfstoffe gegen das gefährliche Coronavirus. Politikwissenschaftler Peter Filzmaier spricht über diese mit dem Top-Infektiologen Florian Thalhammer.

Peter Filzmaier: Wir haben am letzten Sonntag über die einzelnen Impfstoffe geredet, nun hat sich etwas Neues ergeben: Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson hat bei der EU die Zulassung seines Produkts beantragt. Das Verfahren wird bis März dauern, doch was wissen Sie über diese Impfung?
Florian Thalhammer: Dieser Impfstoff ist der Erste, der nur mit einer Impfung das Auslangen findet, was ein großer Vorteil ist. Er bietet vollständigen Schutz gegen Tod und Krankenhausaufenthalte sowie 85 Prozent Schutz gegen schwere Erkrankungsverläufe. Von 57 Prozent der Fälle in Südafrika bis zu 72 Prozent in den USA wird ab der dritten Woche nach Impfung überhaupt eine Infektion verhindert. In den Zulassungsstudien gab es keine schweren allergischen Reaktionen.

Ich habe von Ihnen gelernt, dass AstraZeneca, Johnson & Johnson und „Sputnik V“ Vektorimpfstoffe sind. Biontech/Pfizer und Moderna sind hingegen mRNA-Impfstoffe. Das ist für mich Fachchinesisch. Können Sie die Begriffe allgemein verständlich erklären? Sie wissen ja, dass in der Medienkommunikation eine Faustregel gilt: Bitte nicht mehr als drei Sätze!
Beide Impfstoffplattformen bewirken, dass unser Immunsystem schützende Antikörper gegen das Coronavirus produziert. Die mRNA-Impfstoffe verwenden dazu fettumhüllte Erbinformation des Virus, die Vektorimpfstoffe ein für den Menschen harmloses Virus. Weder die Erbinformation noch das tierische Virus können sich im menschlichen Körper vermehren, unsere Gene verändern oder anderen Unfug machen.

Derzeit sind alle Impfstoffe noch Mangelware, und wir können es uns nicht aussuchen. Allerdings sagten Sie mir lange vor dem Beschaffungschaos, dass man sich im Zweifelsfall mit mRNA- und nicht mit Vektorimpfstoffen wie von AstraZeneca impfen lassen soll. Warum?
Man muss aufpassen, was man sagt. Wann habe ich das gesagt? Meiner Erinnerung nach gab es widersprüchliche Informationen über die Wirksamkeit von AstraZeneca. Das lag an der unklaren Zeit zwischen erster und zweiter Impfung. Nun hat das Nationale Impfgremium das geklärt und empfiehlt einen Abstand von elf bis zwölf Wochen. Hinzu kommt, dass unser Immunsystem in seltenen Fällen gegen den Vektorvirus auch Antikörper entwickeln könnte. Dann kann die zweite Teilimpfung weniger gut als die erste sein.

Fast drei Monate bis zur zweiten Impfung sind aber lange. Bin ich da schon geschützt? Südafrika versucht zudem gerade, seine Impfstoffe von AstraZeneca wieder loszuwerden. Macht das nicht Angst, wenn ausgerechnet dieser bei uns verwendete Impfstoff gegen Mutationen weniger wirkt?
Ja, Sie sind geschützt. Die zweite Impfung benötigt man, um eine langanhaltende Wirksamkeit zu erzielen. Die unterschiedliche Wirksamkeit gegen eine Infektion mit Mutanten ist nicht dadurch bedingt. Auch AstraZeneca schützt effektiv gegen Tod und Krankenhausaufnahme.

Verstehen Sie, wenn jemand trotzdem statt AstraZeneca lieber eine andere Impfung hätte?
Ich glaube, das ist eine Diskussion um des Kaisers Bart. Was wollen wir? Möglichst rasch geschützt sein, nicht an der Infektion versterben, den Lockdown und die Einschränkungen durchbrechen - oder einen Rolls-Royce für jeden? Es kommt mir so vor, ich will mir den neuesten, schnellsten und besten Computer kaufen. Zugleich warte ich aber täglich zu, da es morgen einen noch schnelleren und besseren Computer gibt. So werde ich nie einen haben.

Wie sind nach bisherigem Wissensstand der russische „Sputnik V“ und das chinesische Impfprodukt einzuschätzen, die es ja beide bei uns noch nicht gibt?
„Sputnik V“ ist wie eine Kalaschnikow, diese russische Maschinenpistole: Einfach, robust und wirksam. In einer sehr anerkannten Fachzeitschrift wurden - spät, aber doch - vielversprechende Daten veröffentlicht. Bei der ersten und zweiten Impfung kommen unterschiedliche Virusvektoren zum Einsatz, was die Wirkung verstärkt. Aus China sind sogar drei Impfstoffe zu erwarten, zwei klassische Totimpfstoffe und ein Vektorimpfstoff. Der Totimpfstoff von Sinopharm soll eine hohe Wirksamkeit aufweisen.

Es soll Impfreisen geben, um in Israel oder Dubai schneller eine Impfung zu bekommen. Wir sind nicht die Moralapostel der Nation, doch hier könnten reiche Leute es sich zum gesundheitlichen Nachteil der Ärmeren richten. Was halten Sie medizinisch davon? Bekommt man da womöglich um viele Tausend Euro mit arabischen Schriftzeichen auf der Ampulle eine wirkungslose Kochsalzlösung gespritzt?
Ich entnehme den Medien, dass es schon erste Fälschungen gegeben hat, sodass die Gefahr klein, aber durchaus vorhanden ist. Das gab und gibt es auch bei den kleinen blauen Pillen zur Potenzsteigerung. Einen Medizintourismus gibt es leider inzwischen in vielen Bereichen.

Die Zahlen zur Impfbereitschaft sind ein Muster ohne Wert, solange wir zu wenige Impfstoffe haben. Doch sagen viele, sie lassen sich „vielleicht“ impfen. In der Sozialforschung kennen wir Lippenbekenntnisse, vielleicht etwas zu spenden. Wer das so sagt, tut meistens gar nichts. Man will bloß bei einem sozial erwünschten Verhalten nicht direkt ablehnen. Haben Sie Erfahrungswerte, wie das beim Impfen ist?
Sie haben recht! Ein Beispiel ist die Grippeimpfung, die im langjährigen Durchschnitt um die zehn Prozent in Anspruch nehmen, obwohl mehr als genug Impfstoff verfügbar wäre. Allerdings ist zu beobachten, dass „dank“ der Mutationen das Blatt sich wendet, mehr Menschen sich nun doch gegen das Coronavirus impfen lassen wollen. Deswegen wahrscheinlich jetzt die Diskussionen über die unterschiedliche Wirkungskraft der Impfstoffe.

Zur Person: Peter Filzmaier
Professor für Politikwissenschaft an der Donau-Universität Krems und der Karl- Franzens-Universität Graz sowie Leiter des Instituts für Strategieanalysen (ISA) in Wien.

Zur Person: Florian Thalhammer
Infektiologe an der Medizinischen Universität Wien, Stellvertretender Ärztlicher Direktor und Epidemiearzt am Universitätsklinikum Allgemeines Krankenhaus (AKH) sowie Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Infektionskrankheiten und Tropenmedizin (ÖGIT).

Kronen Zeitung/krone.at

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