"Gaddafi-Affäre"

Schweiz: Ministerin bei Präsidenten-Wahl abgewatscht

Ausland
08.12.2010 14:55
Das Schweizer Parlament hat Außenministerin Micheline Calmy-Rey am Mittwoch für ihre unrühmliche Rolle in der "Gaddafi-Affäre" hart abgestraft. Mit nur 106 von 189 Stimmen bei der turnusmäßigen Wahl ins Präsidentenamt für das Jahr 2011 fuhr Calmy-Rey das schlechteste Ergebnis der vergangenen 90 Jahre ein. Im Jahre 1921 hatte der Freisinnige Edmund Schulthess mit 136 Stimmen den bisherigen Negativrekord verzeichnet.

Immerhin verzichtete der schweizerische Nationalrat trotz Unmut über die Außenministerin darauf, sie "wegzuputschen". Selbst die schärfste Gegnerin Calmy-Reys, die Schweizerische Volkspartei, hatte bereits im Vorfeld der Wahl betont, dass sie das altbewährte Konkordanzsystem und die Anciennität respektieren wolle, das auch die einjährige Rotation des Bundespräsidentenamtes regelt.

Denkzettel nach scharfer Kritik
Einen Denkzettel verpassten die Abgeordneten der Sozialdemokratin dennoch, nachdem vor einigen Tagen ihre widersprüchliche und wenig kollegiale Rolle bei den Bemühungen um die Freilassung von zwei Schweizer Geiseln in Libyen von einer parlamentarischen Untersuchungskommission scharf kritisiert worden war. Die Geschäftsprüfungskommission (GPK) in Bern hatte sogar eine "Anzeige gegen unbekannt" wegen Kompetenzüberschreitungen und Indiskretionen der ehrgeizigen und profilierungssüchtigen Politikerin während der Geiselaffäre erwogen, distanzierte sich aber mittlerweile von dieser Idee.

Der GPK-Bericht hatte gravierende Mängel beim Management der Geiselkrise durch die Berner Regierung aufgezeigt, die in diesem Ausmaß die Öffentlichkeit überraschte. Zwar kamen die beiden Mitarbeiter des Schweizer ABB-Konzerns in Libyen, Rachid Hamdani und Max Göldi, nach zweijähriger Geiselhaft dieses Frühjahr frei. Doch war dies eher einem geschickten Schachzug des damaligen Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz zu verdanken als den Bemühungen einzelner Regierungsmitglieder, auf eigene Faust und ohne Absprache mit ihren Kollegen die Freilassung zu erreichen. Damit verstießen sie gegen das Schweizer Kollegialitätsprinzip, das den Regierungsmitgliedern gemeinsame Beschlüsse vorschreibt.

Gaddafi-Sohn im Juli 2008 festgenommen
Der Konflikt mit Libyens Staatschef Muammar Gaddafi hatte sich im Juli 2008 entzündet, nachdem der Sohn des Präsidenten Hannibal Gaddafi wegen Misshandlung von zwei Dienern in Genf kurzfristig verhaftet worden war. Das Foto des Präsidentensprösslings in Handschellen hatte für helle Empörung in Libyen gesorgt. Gaddafi drohte der Schweiz in der Folge mit dem "Heiligen Krieg" und forderte die Nachbarstaaten auf, die Alpenrepublik untereinander aufzuteilen. Der Sohn kam zwar rasch wieder frei, nachdem seine Bediensteten ihre Anzeige infolge hoher libyscher Zahlungen wieder zurückgezogen hatten. Dafür wurden die beiden Schweizer Geschäftsleute in Libyen wegen angeblicher Verstöße gegen Visabestimmungen festgesetzt.

Für die vielen Pannen und Peinlichkeiten bei den Bemühungen um die Freilassung der Geiseln trifft zwar die Schuld nicht Calmy-Rey allein. Der ungeschickte und naive Versuch des Schweizer Bundespräsidenten im August 2009, die Geiseln nach einem Handschlag mit Gaddafi bei einer Reise nach Tripolis im August 2009 herauszuholen, scheiterte kläglich. Abgesprochen war diese Expedition innerhalb der Regierung nicht, Merz hatte in Eigenregie gehandelt.

Auch das Außenministerium war nicht detailliert über das Unternehmen informiert, bei dem Merz ohne Abstimmung mit den übrigen Regierungsmitgliedern auch ein Abkommen mit Gaddafi unterschrieb. Calmy-Rey revanchierte sich, indem sie nicht den am besten mit der Angelegenheit vertrauten Staatssekretär mit auf die heikle Mission schickte, sondern nur den zuständigen Abteilungsleiter. Merz kehrte mit Versprechungen, aber ohne die Geiseln nach Bern zurück. Das hastig ausgehandelte Abkommen blieb ein Fetzen Papier.

Befreiungspläne à la James Bond
An James-Bond-Filme erinnern die verschiedenen - ebenfalls innerhalb der Regierung nicht akkordierten - Pläne, die Geiseln auf eigene Faust zu befreien. Eine erste Operation zur sogenannten "Exfiltration" sah 2008 vor, die beiden Geschäftsleute mit Hilfe der Tuareg über die algerische Wüste aus dem Land zu schleusen. Ein weiterer Plan war die Flucht durch die Sahara nach Niger. Nachdem der libysche Geheimdienst davon erfahren hatte, wurde auch dieser Plan fallengelassen.

Am abenteuerlichsten mutet die Idee eines Schweizer Verteidigungsattachés in Kairo im Sommer 2009 an, der den Geiseln riet, mit einem Jet-Ski die libyschen Gewässer zu verlassen und mit einem privaten Boot weiter zu flüchten. Dieser Plan scheiterte bereits daran, dass Jet-Skis in Tripolis nicht aufzutreiben waren.

In diesem Fall war wiederum nur Verteidigungsminister Ueli Maurer von SVP informiert worden, nicht aber das Außenamt. Dass die Geiselaffäre trotz allem gut ausging, grenzt rückblickend fast an ein Wunder. In der Schweiz gibt der Fall aber weiter zu reden. Forderungen nach einer stärkeren Kontrolle des Bundesrats durchs Parlament sind laut geworden. Die Affäre zeigt auch, wie wenig ein demokratischer und friedlicher Kleinstaat mit wenig internationaler Krisenerfahrung in solchen Fällen allein ausrichten kann.

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