Ex-VFGH-Chef besorgt

“Zustand unserer Rechtsordnung ist bedenklich”

Österreich
05.12.2010 09:29
Pünktlich zu seinem 70. Geburtstag macht Karl Korinek, Ex-Präsident des Verfassungsgerichtshofes (VfGH), wieder von sich reden. Er kritisiert die Qualität der Rechtsordnung, auch im Zusammenhang mit der Verwaltungsreform. Schlechte Gesetze verursachten Leerläufe und Kosten, sagte Korinek. Für die Verwaltungsreform wäre ein mutigeres Vorgehen nötig - und nicht nur "Reformen dort, wo man keine Widerstände erwartet".

Der Zustand der Rechtsordnung sei "nach wie vor sehr schlecht", stellt Korinek fest: Viele Gesetze hätten eine schlechte Qualität, die Rechtslage sei "dramatisch" unübersichtlich. Große Probleme schaffe das Nebeneinander von EU- und nationalem Recht. Deshalb schlägt er Teilkodifikationen vor, also die systematische Zusammenfassung der Normen bestimmter Rechtsgebiete - etwa im Fremden- oder Wohnrecht. Außerdem empfiehlt Korinek dem Gesetzgeber Zurückhaltung: "Jedes Detail in einem Gesetz zu regeln, macht die Rechtsordnung sehr unübersichtlich."

Im Zuge der Verwaltungsreform wäre die Entflechtung der Kompetenzen von Bund und Ländern dringend geboten. Der Bund sollte für Regelungen mit überregionaler Bedeutung zuständig sein, die Vollziehung aber möglichst nah bei den Menschen geschehen. "Ich bin ein Gegner der Länder-Beschimpfung", tritt Korinek der Behauptung entgegen, "dass der Bund in der Verwaltung ökonomischer ist". So hält er es für sinnvoll, die Zuständigkeit für die Lehrer den Ländern zu übertragen - wobei freilich die Lehrpläne einheitlich sein müssten. Wichtig sei zudem die Kontrolle "möglichst weit weg vom Kontrollierten", also eine zentrale Rechnungshofkontrolle.

Lobbys als Hauptproblem bei der Verwaltungsreform 
"Das Problem" bei der Verwaltungsreform seien freilich die Lobbys "in allen Gebietskörperschaften". Deshalb geschehe "vieles in die Richtung, wo es am wenigsten Widerstand gibt". Das sehe man auch am Budget. So gäbe es zum Beispiel im Sozialbereich noch viel Sparpotenzial: Das Pensionsalter müsse angehoben und Selbstbehalte bei Arztbesuchen sollten auch im ASVG eingeführt werden, meint Korinek.

Bleiberecht für Fremde nicht nur als "Gnadenakt"
Außerdem fordert Korinek eine "klare gesetzliche Regelung" zum Bleiberecht. Er attestiert der derzeitigen Praxis "zu wenig Rechtlichkeit und zu viel Gnade". Es sei "unangenehm, dass man zunehmend den Eindruck gewinnt, Menschen dürften in Gnadenerweisung bleiben", konstatierte er angesichts der jüngsten Fälle, wo letztlich doch von Abschiebung abgesehen oder eine Wiedereinreise zugelassen wurde.

In einem Rechtsstaat sei es nicht angebracht, dass der Verbleib im Land "zur Gnade wird, das muss als Recht konstruiert sein", betonte Korinek. Schließlich könne bei Strafhaft "auch nicht der Bundespräsident entscheiden, wie lange die Leute sitzen. Das muss klar im Urteil stehen, der Bundespräsident hat nur ein Gnadenrecht."

Insgesamt müsste das gesamte Fremdenrecht kodifiziert - also systematisch in einem Gesetz zusammengefasst - werden, regte Korinek an. Das "ständige Herumdoktern" an den Regelungen trage dazu bei, dass Verfahren häufig so lange dauern. Den Vorwurf, Asylanwälte würden Verfahren in die Länge ziehen, hält Korinek für nicht angebracht: "Das ist ein Problem der Regeln, nicht ein Problem der Anwälte."

"Briefwahl muss stärker beschränkt werden"
Bei der Briefwahl hält Korinek eine stärkere Beschränkung für geboten. "Am besten wäre es, die Briefwahl nur subsidiär zuzulassen" - also dort, wo es nötig ist, um die Allgemeinheit der Wahl sicherzustellen. Das wären zum Beispiel Auslandswähler oder Menschen mit Behinderung. "Die Regel sollte aber das persönliche Wahlrecht sein", meinte Korinek, wohl wissend, dass es dafür derzeit keine Mehrheit gibt.

Aber die Briefwahl sei "sehr missbrauchsanfällig", wie man an den Vorfällen im Burgenland oder in Lienz sehe. Mit "zwingender Identitätskontrolle" bei Antrag und Übergabe der Wahlkarte könnte man dies zwar eindämmen. Aber andere Gefahren bestünden weiter: Es könnte wieder, wie in den ersten Jahrzehnten des Wählens, zu "Stimmenkauf" kommen - und der "beherrschende pater familias" habe es leichter, Einfluss zu nehmen. "Keine allzugroße quantitative Bedeutung" misst Korinek dem Problem der Stimmabgabe nach Wahlschluss bei, das Forderungen nach Verkürzung der Abgabefrist hervorgerufen hat.

Am 7. Dezember wird Korinek 70 Jahre alt. Damit erreicht er die Altersgrenze, mit der er den Gerichtshof spätestens hätte verlassen müssen. Aus Gesundheitsgründen - wegen Herzbeschwerden - trat er allerdings schon vor mehr als zweieinhalb Jahren, Ende April 2008, zurück.

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