„Massives Förderpaket“

200 Millionen Euro für Kampf gegen Bildungslücken

Politik
25.01.2021 11:02

Die Sorgen vor den Bildungslücken, die durch den langen Fernunterricht immer stärker aufklaffen, wächst. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, hat Bildungsminister Heinz Faßmann (ÖVP) am Montag eine „massive Verstärkung“ des Förderunterrichts verkündet. Dazu wurde ein „umfangreiches Förderpaket“ mit einem Volumen von 200 Millionen Euro geschnürt - zwei Drittel davon werden im Sommersemester, ein Drittel im kommenden Wintersemester investiert. Die Reaktionen auf das Förderpaket waren durchaus positiv, aber auch Kritik an der langen Untätigkeit war zu vernehmen.

Faßmann machte am Montag klar, weiter „für eine Schule mit Präsenz zu kämpfen“, und strich lobend die Initiativen bei den Testungen von Schülern und Lehrern hervor. Der Minister sprach mit Blick auf Gurgeltest und die in der Vorwoche gestarteten Selbsttests für Schüler von österreichischer Pionierarbeit. Die Selbsttests seien - trotz aller Kritik am holprigen Start - „mehrheitlich positiv aufgenommen worden“, so Faßmann. Einer automatischen Wiederholung des Schuljahrs, wie es am Wochenende die Buchautorin und frühere Ombudsfrau im Bildungsministerium, Susanne Wiesinger, gefordert hatte, erteilte der Minister eine Absage.

„Ich lehne Übertreibungen ab, die von einem verlorenen Jahr oder einer verlorenen Generation sprechen“, so Faßmann. Es sei „offenbar eine geringe Wertschätzung der Lehrer und Schüler, zu sagen, was ihr geleistet habt, ist nichts wert“. Das werde der Sache nicht gerecht. „Ich sehe ja, wie viel Arbeit, Energie und Enthusiasmus investiert wird.“ Dazu kämen noch organisatorische Konsequenzen wie zusätzliches Personal, die mit einem zusätzlichen Jahrgang im Schulsystem verbunden wären.

200 Millionen Euro für Förderstunden
Um die Defizite aufzuholen hat die türkis-grüne Regierung stattdessen ein neues Förderpaket geschnürt und will für dieses „Lernunterstützungsbudget“ 200 Millionen Euro in die Hand nehmen, wie Faßmann mitteilte. Kernstück der damit finanzierten Maßnahmen sind in erster Linie Förderstunden. Im Sommersemester fließen dabei Mittel im Gegenwert von rund 4500 Lehrerplanstellen, wobei diese für Überstunden, neues Personal und Sonderverträge für Lehramtsstudenten ausgegeben werden.

So würden für das Sommer- und das kommende Wintersemester 2021/22 je nach Förderbedarf in jeder Schulstufe pro Klasse wöchentlich zwei zusätzliche Förderstunden möglich gemacht werden, wobei die genaue Verteilung vom jeweiligen Förderbedarf an den Bildungseinrichtungen abhängig sei. „Schulen mit mehr Förderbedarf werden mehr erhalten, andere etwas weniger“, so Faßmann. Bei den Details werden sich die zuständigen Bildungsdirektionen mit den Schulen abstimmen.

Die Schulleitung könne etwa sagen, dass an einer Volksschule die ersten und vierten Klassen besonders gefördert werden sollen und den Großteil der Mittel dort investieren. Es können auch bestimmte Gegenstände verstärkt gefördert oder an Oberstufen vor einer mehrstündigen Schularbeit geblockt mehrere Fördereinheiten abgehalten werden. Möglich ist einerseits Förderunterricht nur für eine kleine Gruppe von Schülern, aber auch geteilte Klassen in manchen Gegenständen. „Wenn Förderunterricht angesetzt ist, dann ist er auch verpflichtend für jene Schüler, bei denen es die Lehrer als nötig ansehen“, so Faßmann.

Ergänzungsunterricht in den Semester- und Osterferien
In den Semester- und Osterferien wird es außerdem an den Volksschulen, AHS-Unterstufen, Mittel- und Sonderschulen Lernbetreuung vor allem in Deutsch, Mathe und Fremdsprachen in Form eines sogenannten Ergänzungsunterricht geben. Die Teilnahme daran ist nicht verpflichtend - Schüler mit Nachholbedarf sollen von den Schulen aber aktiv dafür angesprochen werden. Interessenten für die Semesterferien müssen sich sputen: In Wien und NÖ endet die Anmeldefrist am Mittwoch (27. Jänner), in den anderen Bundesländern am Freitag (29. Jänner). Auf 50.000 Plätze ausgebaut wird außerdem die Sommerschule: „Wenn‘s mehr wird, wird mich das Unglück auch nicht treffen“, so Faßmann. Außerdem wird neben Deutsch auch Mathematik und an den Volksschulen Sachunterricht angeboten.

Zusätzlich verwies Faßmann auf das bestehende kostenlose Lernhilfe-Angebot, das weiterhin in Anspruch genommen werden könne. Als Lernhelfer („Buddies“) im Einsatz sind dabei Lehrer, Lehramtsstudenten und auch Oberstufenschüler. Dazu war - wie berichtet - auf der Plattform weiterlernen.at eine Art Börse eingerichtet worden. Die Abwicklung übernehmen Partnerorganisationen wie Caritas, Diakonie oder Jugendrotkreuz. Mit den genannten Fördermaßnahmen hofft der Minister jedenfalls, „die bildungspolitischen Kollateralschäden möglichst klein“ zu halten.

Bildungspsychologin Christiane Spiel und Bildungsexperte Andreas Salcher hatten zuletzt im „Krone“-Interview betont, wie wichtig eine Rückkehr der Schüler in den Präsenzunterricht ist. Auch Bundesschulsprecherin Alexandra Bosek betonte am Montag erneut, wie wichtig es sei, den Präsenzunterricht so schnell wie möglich wieder aufzunehmen. Bosek zufolge hätten sich die Bildungslücken in den vergangenen Monaten „ausgeweitet“, die Förderangebote seien deshalb einen Schritt in die richtige Richtung.

Auch die Direktorin des BG/BRG Purkersdorf, Irene Ille, sah in zielorientierter Förderung den richtigen Weg. „Verlierergeneration? Sicher nicht! Verlorenes Jahr? Sicher nicht!“ In der Zeit des Distance Learnings hätten die Schüler zahlreiche Kompetenzen erworben - natürlich gebe es dabei Unterschiede und eine Bildungsschere. Deshalb müsse man ja dort fördern, wo es nötig sei.

Termin für Schulöffnungen „abhängig vom Infektionsstatus“
Gefragt, ob der geplante Termin für die Wiederöffnung der Schulen halten werden, verwies Faßmann aber auf Gespräche mit Experten in dieser Woche. „Dann werde man sehen, ob die Daten zu halten sind“, die Entscheidung sei „abhängig vom Infektionsstatus in der Gesellschaft“, so der Minister. Ziel sei weiterhin ein Start im Osten des Landes am 8. Februar. Die teils hohen Betreuungszahlen an den Schulen, die zuletzt für Diskussionen gesorgt hatten, werden Faßmann zufolge indessen während der Semesterferien „deutlich sinken“.

Lob für Förderpaket, Kritik an spätem Start
SPÖ-Bildungssprecherin Sonja Hammerschmid begrüßte die Corona-Nachhilfe des Bildungsministeriums. Sie habe bereits seit dem ersten Lockdown im Frühjahr gefordert, dass es Förderunterricht und Nachhilfe braucht, um die entstandenen Lernrückstände aufzuholen. Wichtig sei, „dass die Fördermittel da ankommen, wo sie am meisten gebraucht werden“, so Hammerschmid mit Blick auf bildungsbenachteiligte Schüler, die in der Zeit des Distance Learning aufgrund der fehlenden Unterstützung zu Hause oder fehlenden technischen Equipments besonders gelitten haben. Die Entscheidung darüber, wie die zusätzlichen Förderstunden eingesetzt werden, sollen die Schulen „autonom“ treffen dürfen, fordert die Bildungssprecherin.

„Seit Monaten machen wir Vorschläge wie sichere Schule funktionieren könnte, und eben so lang herrscht Untätigkeit“, zeigte sich Arbeiterkammer-Präsidentin Renatel Anderl indessen vom Bildungsminister enttäuscht. Dass Faßmann jetzt 200 Millionen für Förderunterricht zur Verfügung stelle, sei „ein erster Schritt“. Anderl: „Intensive Förderung nach den vielen COVID-Monaten, flexibel an der Schule organisiert, ist sinnvoll und höchst an der Zeit. Bildung muss endlich im Zentrum der Anstrengungen stehen, wir erwarten fundierte Lösungen statt kurzfristiger Pressekonferenzen - und zwar rasch!“

NEOS-Bildungssprecherin Martina Künsberg Sarre hätte gerne noch mehr Mittel für den Bereich gesehen. Die FPÖ monierte, dass Faßmann das Paket bereits mehrfach angekündigt hatte. Die Grünen reklamieren als Erfolg für sich, dass 20 der 200 Millionen Euro für Deutschfördermaßnahmen bei außerordentlichen Schülern reserviert sind.

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