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Martin Grubinger: „Ablenkung vom Impfchaos“

Salzburg
23.01.2021 23:00
Claus Pándi und ich hatten in dieser Woche eine kleine Auseinandersetzung. Das äußerte sich im Austausch einiger übellauniger SMS-Nachrichten und manch lustiger Bemerkung. Worum ging es? Jene Bürgermeister, die sich zu Unrecht haben impfen lassen, „genießen“ seit Tagen größte Aufmerksamkeit in dieser Zeitung. Eines vorweg: Die angebotenen Impfungen anzunehmen oder sich gar „vorzudrängeln“, war ein grober Fehler. Was sich aber daraus folgend in der medialen Berichterstattung abspielte, war dann meiner Meinung nach absurd.

In fast allen Zeitungen wurden die betroffenen Lokalpolitiker gelistet, in Kommentaren warf man ihnen Regelbruch und unanständiges Verhalten vor und natürlich wurde von so manchem Journalisten ganz unverblümt deren Rücktritt gefordert. Dazu fiel mir ein Spruch ein, den ich von Nikolaus Harnoncourt einst zu hören bekam: „Wenn du zu Beginn des Konzerts ein dreifaches Fortissimo spielen willst, stelle sicher, dass du diese Interpretation auch in den restlichen 90 Minuten deines Konzerts durchhalten kannst.“ Hier offenbart sich das Problem der medialen Glaubwürdigkeit. Polemisch formuliert: Nach unten treten – nach oben buckeln.

Würden jene, die jetzt mit ihrem Furor über die Damen und Herren aus der Lokalpolitik herfallen, den beanstandeten Regelbruch konsequent auch auf allen anderen politischen Ebenen verfolgen, müssten Politiker viel öfter zum Rücktritt aufgefordert werden. Seltsamerweise wird es da aber meistens still.

Klar, Lokalpolitiker sind nicht wirkmächtig. Sie tummeln sich nicht im Wiener Regierungsbezirk, sie verwalten keine üppigen Werbebudgets, sie bezirzen selten Journalisten und politische Macht besitzen sie auch keine. Da kann man schon einmal draufhauen.

Es sei einfach höchst unanständig gewesen, diese Impfungen anzunehmen, heißt es dann. Das stimmt. Aber es ist auch unanständig, Arbeitslose mit 55 Prozent ihres letzten Einkommens abzuspeisen. Es ist unanständig, Menschen in Dreck und Kälte in griechischen Lagern versauern zu lassen. Es ist unanständig, den Doktortitel zu erschwindeln. Es ist unanständig, viele Millionen Steuergelder für Eigenwerbung zu verwenden. Es ist unanständig, diese Krise mit einer völlig verhauten Impfstrategie bewältigen zu wollen. Es ist unanständig, Pflegerinnen den Corona-Bonus vorzuenthalten.

Wo aber waren die Rücktrittsaufforderungen? Wo war der leidenschaftliche Ruf nach politischen Konsequenzen von jenen, die jetzt so eifrig bei der Sache sind?

Lokalpolitikern wird jenes Vertrauen entgegengebracht, das die Bundespolitiker verspielt haben. Sie haben „on the ground“ ein völliges Massentest-Desaster verhindert. Manche haben die versprochenen FFP-2 Masken für Senioren in Eigenregie organisiert. Sie lindern soziale Härtefälle – ohne davon viel Aufhebens zu machen. Sie haben keine Beraterstäbe, Meinungsforscher oder riesige PR-Abteilungen. Da ist meist niemand, der im Moment der notwendigen Selbstreflexion ein warnendes Wort einlegen könnte. Dann passieren eben Fehler.

Den Vogel schoss da Werner Kogler ab. Der meinte gleich Anfang dieser Woche den Rücktritt der „Übeltäter“ einfordern zu müssen. Jener Werner Kogler, der seit zehn Monaten als Kulturminister die Künstler im Stich lässt, dem als interimistischer Justizminister zu aufgezeigten Missständen in seinem Ministerium keine Antworten einfallen und der selbst als Vizekanzler nicht in der Lage ist, nur einem einzigen Kind in den griechischen Lagern zu helfen. Das ist unanständig. Seinen eigenen Rücktritt hat er selbstverständlich nicht eingefordert. Auch Sebastian Kurz hat sich sofort von „seinen“ Bürgermeistern distanziert. Die Debatte kam dem ÖVP-Chef wohl gerade zur rechten Zeit, lenkt sie doch vom selbst fabrizierten Impfchaos ab.

Da lohnt sich ein Blick auf die alte, auf die schwarze ÖVP. Gott sei Dank fand Landeshauptmann Wilfried Haslauer Worte der Unterstützung für „seine“ Bürgermeister. Diese werden sich daran erinnern.

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