Gratis-Schule in Wien

Widerstand gegen „Benachteiligung“ wächst

Wien
24.01.2021 16:55

Nach einer kurzen Verschnaufpause rund um den Jahreswechsel nimmt die Debatte um das Modell der Gratis-Ganztagsschule in Wien - Elternvertreter orten hinter der Förderung eine Ungleichstellung - wieder Fahrt auf: Hatten sich ÖVP und FPÖ der Kritik nach einem „Krone“-Bericht bereits angeschlossen, kommt jetzt auch Unterstützung von Lehrern und Schülern. „Alle Betroffenen sind gegen die ungerechtfertigte Benachteiligung von Betreuungsangeboten“, gibt sich der Bildungssprecher der Wiener Volkspartei, Harald Zierfuß, gegenüber krone.at vor der nächsten Gemeinderatssitzung kämpferisch.

Mit 25 Millionen Euro pro Jahr schlägt die Gratis-Ganztagsschule in der Wiener Gemeindekassa zu Buche. Pro Monat ersparen sich Eltern - wie berichtet - seit dem laufenden Schuljahr 2020/21 somit rund 180 Euro für jedes Kind. Den Beitrag fürs Mittagessen mit eingerechnet, erspart sich eine Familie gegenüber den Offenen Volksschulen pro Kind bis zu 2500 Euro im Jahr. Denn das Aus für die Elternbeiträge gilt nicht für die Hortbetreuung an jenen Standorten, die nicht ganztägig geführt werden. Rund 18.000 Wiener Kinder und Eltern sind davon betroffen.

Und genau hier setzt die lauter werdende Kritik an dem Ganztagsmodell an. Auch weil die Ganztagsschulen derzeit vor allem von Kindern mit höher gebildeten und beruflich bessergestellten Eltern genutzt werden. Denn Familien mit zwei berufstätigen Eltern werden bei der Platzvergabe bevorzugt, wodurch teilweise gerade jene Kinder, deren Eltern sie nicht so gut beim Lernen unterstützen können, von dem Angebot ausgeschlossen sind.

Die Wiener ÖVP und FPÖ teilen die Kritik der Eltern und schossen sich auf die NEOS ein, die ja mittlerweile mit Christoph Wiederkehr den Bildungsstadtrat stellen. Das Thema dürfte für die Statdpinken schmerzliche Erinnerungen hervorrufen, hatten sie sich doch bis vor der Wien-Wahl noch kämpferisch für eine Gleichstellung der beiden Schulmodelle eingesetzt.

ÖVP nimmt ausgerechnet NEOS-Antrag als Vorlage
Das weiß auch Harald Zierfuß, Bildungssprecher der Wiener ÖVP, der den NEOS Vergesslichkeit, was ihre eigenen Standpunkte betrifft, attestiert. „Am Donnerstag stellen wir ihren eigenen Antrag, vielleicht erinnern sie sich ja ein halbes Jahr später dann doch noch“, kündigt Zierfuß gegenüber krone.at an, just jenen Antrag im Gemeinderat erneut einzubringen, den die NEOS bereits im vergangenen Sommer eingebracht hatten. „Für uns ist aber klar, es muss die Entscheidung der Familien bleiben, welche Art der Betreuung für sie am besten ist“, formuliert Zierfuß die türkise Linie.

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Rund 18.000 Wiener Kinder und Eltern werden einer massiven Benachteiligung ausgesetzt.

NEOS-Antrag im Wiener Gemeinderat betreffend Gleichstellung der Ganztagsschulen vom Juni 2020

„Familien dürfen in ihrem Recht auf freie Wahl ihres Privat- und Familienlebens nicht beeinträchtigt werden“, stellt auch Elternvertreterin Isabella Strnad, klar. Strnad hatte - bei Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) und Wiederkehr auf taube Ohren gestoßen - zusammen mit weiteren engagierten Elternvertretern eine Online-Petition gestartet, die mittlerweile mehr als 4000 Unterstützer hat.

Unterstützung von Lehrern und Schülern
Unterstützung kommt jetzt auch von Lehrern und Schülern. „Jede ganztägige Schulform, egal, ob verschränkte bzw. offene Schule oder die Zusammenarbeit von Schule und Hort“, müsse im gleichen Maß unterstützt werden, fordert Thomas Krebs, Vorsitzender Zentralausschuss Pflichtschullehrer Wien. Es sei „nicht einzusehen und ungerecht, dass nur eine Form gratis ist und die anderen kostenpflichtig sind“, so Krebs. Eine Ungerechtigkeit ortet auch die Wiener Landesschulsprecherin Sevgi Dogan: „Jede Schülerin und jeder Schüler sollte unabhängig von dem Sozialstatus der Eltern, eine gratis Ganztagsschule besuchen dürfen“, so Dogan, die sich entschieden „gegen eine schleichende Pflicht für Schule am Nachmittag über die Hintertür“ stellt.

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Jede Schülerin und jeder Schüler sollte unabhängig von dem Sozialstatus der Eltern, eine gratis Ganztagsschule besuchen dürfen.

Sevgi Dogan, Wiener Landesschulsprecherin

Für Zierfuß ist die Sache somit klar: „Alle Betroffenen sind gegen die ungerechtfertigte Benachteiligung von Betreuungsangeboten.“ Der nunmehrige Bildungsstadtrat Wiederkehr selbst hatte die Gratis-Ganztagsschule übrigens vor rund einem Jahr noch als „reines Wahlkampfzuckerl“ bezeichnet, das „bildungspolitisch, nicht zu mehr Chancengleichheit führen“ werde. Immerhin stellte er jetzt im Jänner in Aussicht, künftig bei der Schulplatzzuteilung auch den sozioökonomischen Hintergrund der Kinder berücksichtigen zu wollen.

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