Pockenepidemie

Geschichte: Der Zorn der Tiroler auf die Impfung

Tirol
21.01.2021 17:00

Impfen oder nicht? Vor 220 Jahren war das im Kampf gegen die Pocken die große Frage. Bayern führte damals als erstes Land der Welt eine Impfpflicht ein. Die Gegner in Tirol hatten religiöse Gründe - aber nicht nur!

Als erstes Land der Welt führte Bayern 1807 wegen der seit dem 18. Jahrhundert grassierenden Pockenepidemie eine Impfpflicht ein. Die Untertanen in Tirol – das unter der Herrschaft der Bayern stand – waren skeptisch bis ablehnend. Und das, obwohl damals fast noch jedes dritte Kind an einer Infektionskrankheit starb, vor allem an Blattern (Pocken).

Lieber „Engelsglorie“ als ein längeres Leben
Alois Zangerle, Kreisphysikus von Rattenberg, notierte 1808 zur Abneigung der Tiroler: „Philosophisch-medizinische Gründe belehren das Volk nicht.“ Der Gelehrte sprach davon, dass ein großer Teil der Bevölkerung „seinen Kindern lieber die Engelsglorie als längeres Leben im Alter“ wünsche. Zangerle vermutete vor allem religiöse Gründe dahinter. In der Kirche gab es tatsächlich zahlreiche Gegner. Papst Leo XII. soll die Impfung später quasi verboten haben. Eindeutige Belege dafür gibt es jedoch nicht.

Der „Zorn der Tiroler auf die Impfung“ – wie es in der Presse hieß – hatte mehrere Gründe. Der Innsbrucker Medizin-Historiker Alois Unterkircher schreibt in seiner Arbeit über Seuchenprophylaxe in Tirol am Beispiel der Pocken davon, dass die Offenheit gegenüber der Impfung „durch enttäuschte Erwartungen rasch in strikte Ablehnung umschlagen konnte“. Eltern beobachteten, dass ihre Kinder trotz Impfung erkrankten. Viele Impfungen missglückten. Etwa, weil der Impfstoff verdorben war. Statistiken aus der Zeit belegen das.

Eltern standen am medialen Pranger
Um das Volk zum Impfen zu bewegen, griff die Obrigkeit zu zweifelhaften Mitteln. Die Zentralbehörde schreckte nicht davor zurück, die Namen jener Eltern, deren Kinder ungeimpft verstorben waren, öffentlich in den Tiroler Zeitungen abdrucken zu lassen.

Bis die Mehrheit überzeugt war, dauerte es. Die letzte Pocken-Welle des 19. Jahrhunderts erreichte Tirol um 1880. Erst hundert Jahre später verkündete die WHO den Sieg über die Seuche.

Claudia Thurner und Martin Reiter, Kronen Zeitung

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