„Krone“-Interview:

Neo-Minister Kocher will „eigene Meinung“ behalten

Politik
14.01.2021 06:00

Der neue Arbeitsminister Martin Kocher im „Krone“-Interview über seinen Wechsel vom externen Experten in die Politik. Das Büro im zehnten Stock des Arbeitsministeriums am Wiener Donaukanal kennt Kocher gut, als Uni-Professor und Chef des Instituts für Höhere Studien war er oft hier. An die Anrede „Herr Minister“ hat er sich jedoch noch nicht gewöhnt. Was auffällt: Kocher spricht nicht in typischen Politiker-Floskeln. Noch nicht?

„Krone“: Herr Minister, hat es in Ihrem Umfeld auch warnende Stimmen gegeben, die Ihnen geraten haben, den Posten nicht anzunehmen?
Martin Kocher:
Da gab es viele, aber auch viele, die gesagt haben, „super, dass du das machst“. Es ist immer ein Wagnis, sich aus der Komfortzone zu begeben, und für mich ist das ein großer Schritt heraus aus der Komfortzone. Aber ich finde es interessant, das gelegentlich zu machen, und ich bin zu jung, um die Tage bis zur Pension zu zählen.

Hätten Sie den Job auch in der ÖVP-FPÖ-Koalition übernommen?
Das kann ich nicht sagen. In dieser Konstellation fällt es mir aber leichter.

Pamela Rendi-Wagner ist kurz vor Ihrer Angelobung als Gesundheitsministerin im Jahr 2017 noch schnell SPÖ-Mitglied geworden. Wann werden Sie ein türkises Parteibuch haben?
Darüber haben der Kanzler und ich überhaupt nicht gesprochen. Ich habe derzeit auch nicht vor, Parteimitglied zu werden. Das heißt nicht, dass es ausgeschlossen ist, aber es gibt im Moment keinen Anlass dafür.

Wie lange wird es dauern, bis wir bei der Arbeitslosigkeit das ohnehin hohe Vorkrisenniveau wieder erreichen?
Das wird bestimmt einige Jahre dauern. Entscheidend wird sein, ob wir es schaffen, Wachstum und den Standort zu stärken, wenn die Gesundheitskrise vorbei ist. Ein Prozent mehr Wachstum bringt extrem viel Beschäftigung. Wenn uns das gelingt, kann es durchaus auch etwas schneller gehen.

Der Finanzminister hat gesagt: „Koste es, was es wolle.“ ist das auch Ihr Motto?
Da habe ich kein Motto gewählt. Aber es gibt ein gutes Argument dafür, als Staat in Krisenzeiten als großer Rückversicherer aufzutreten. Deshalb macht es Sinn, jetzt Geld in die Hand zu nehmen, aber es macht auch Sinn, in guten Zeiten sparsamer zu sein. Der Schuldenstand ist im Moment kein großes Problem.

Die Pandemie dauert nun schon zehn Monate, viele Personen sind ebenso lang im Homeoffice. Dennoch ist das entsprechende Gesetz noch immer nicht fertig. Können Sie die heftige Kritik an dieser Verzögerung nachvollziehen?
Die Gespräche sind schon weit gediehen, ich hoffe, dass wir in den kommenden Wochen eine Regelung vorlegen können. Man hat es bisher durch viel Pragmatismus geschafft, die Regeln nicht so streng auszulegen, und es hat ganz gut funktioniert. Aber es muss jetzt klarerweise eine Regelung geben. Vor allem, weil es eine stärkere Nachfrage nach Homeoffice geben wird, auch wenn die Pandemie vorbei ist.

Sie sind als Minister nun auch mit politischen Forderungen konfrontiert, etwa jener nach einer Arbeitszeitverkürzung. Ist das für Sie ein probates Mittel in der Krise?
Dies kann in einzelnen Branchen sinnvoll sein und existiert in Kollektivverträgen auch bereits. Aber ich denke, dass das als generelles Mittel nicht funktioniert. Es wäre sogar gefährlich, weil die Lohnkosten steigen, und das ist vor allem für jene Bereiche kritisch, die von der Automatisierung betroffen sind. Wir wollen nicht, dass Menschen durch Maschinen ersetzt werden.

Sind Sie eigentlich für die Sonntagsöffnung?
Das steht aus meiner Sicht nicht an. Aber wir müssen uns nach der Krise Gedanken darüber machen, wie wir den Standort attraktiv gestalten. Die Öffnungszeiten sind dabei ein Punkt. Es gibt viele Regeln, die einengen.

Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes. Das haben Sie derzeit schon abgelehnt. Aber wann sollte es denn eine Debatte darüber geben?
Die große Gefahr einer Erhöhung ist, dass sie nicht rückgängig gemacht werden kann. Daher würde ich für eine generelle Reform des Arbeitslosengeldes plädieren. Das ist zwar nicht im Koalitionsvertrag festgehalten, aber es gibt einen Hinweis, dass man sich das anschauen sollte. Es gibt Modelle in anderen Ländern, wonach es am Anfang höhere Entschädigungen gibt und diese dann abnehmen. In Österreich sind wir relativ großzügig bei der Dauer, was dazu führt, dass einige Leute zu lange warten, bis sie sich intensiv auf die Suche nach einem neuen Job machen. Andererseits ist der Absturz zu Beginn von hundert auf 55 Prozent sehr groß. Ein degressives Modell macht Sinn – am Anfang mehr, dann weniger, man kann sich aber auch über Bonusmodelle unterhalten. Da sollte man eine ganz offene Diskussion führen.

Sie haben gerade selbst gesagt, dass dieser Punkt nicht im Regierungsprogramm, an das sich Türkis und Grün ja streng halten, steht. Wie viele Freiheiten, wie viel Handlungsspielraum haben Sie?
Ich habe viel Handlungsspielraum, aber natürlich leitet das Koalitionsabkommen die Arbeit. Es spricht jedoch nichts dagegen, hin und wieder über Dinge zu diskutieren. Da fühle ich mich nicht eingeschränkt.

Sie haben am Montag in der „ZIB 2“ gesagt, Sie stimmen mit „einigen Gedanken“ der ÖVP überein. Mit welchen nicht?
Wie viel Zeit haben Sie denn, damit wir das ganze Regierungsprogramm durchgehen? (lacht). Ich stehe hinter vielen Dingen, aber ich behalte mir vor, eine eigene Meinung zu haben.

Und diese dürfen Sie auch öffentlich kundtun?
Natürlich.

Auch in der Flüchtlingsfrage? Es gibt Initiativen, auch von ÖVP-Bürgermeistern, die Flüchtlinge von den griechischen Inseln aufnehmen wollen. Wie stehen Sie dazu?
Ich möchte mich vor allem bei Themen zu Wort melden, bei denen ich Expertise habe. Das heißt nicht, dass ich kalt und gefühllos bin. Es sind sich alle einig, dass den Kindern geholfen werden muss. Die Frage ist, wie – und das ist nicht mein Ressort und auch nicht meine Expertise.

Bildungsminister Heinz Faßmann hat von Beginn an gesagt, er macht eine Legislaturperiode. Wie lange wollen Sie in der Politik zu bleiben?
Ich habe noch keine Zeit gehabt, mir darüber Gedanken zu machen. Prinzipiell bin ich jemand, der Sachen zu Ende bringen möchte, aber auch nicht jemand, der in der Position dann Jahrzehnte bleibt.

Das heißt, wenn die Krise vorbei ist, ist Ihre Aufgabe als Minister erledigt?
Dann ist ein wichtiger Schritt getan. Aber die Krise am Arbeitsmarkt wird erst in einigen Jahren vorbei sein. Dann sehen wir weiter.

Das Interview wurde gemeinsam mit den „Salzburger Nachrichten“ geführt.

Doris Vettermann, Kronen Zeitung

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