M wie Mauerblümchen

BMW 6er Gran Turismo: Warum hat‘s der so schwer?

Motor
17.01.2021 01:00

M heißt bei BMW eigentlich Motorsport und ein Auto mit „M Paket“ trägt dementsprechend sportliche Insignien. Im Fall des 6er Gran Turismo könnte M aber auch für Mauerblümchen stehen, denn er verkauft sich schlecht (außer in China). Das hat er nicht verdient, und deshalb hat er auch gerade gemeinsam mit seinem Bruder, dem 5er-BMW, ein Update bekommen. Wir haben ihn als 640d xDrive GT gefahren. Mit M Paket.

(Bild: kmm)

Vielleicht hat BMW die Chancen eines Gran Turismo schon verspielt, als sie ihn 2009 als 5er GT eingeführt haben. Unförmig, unpraktisch, ungeliebt, jedenfalls bei uns. Der Nachfolger - mittlerweile zum 6er GT upgegradet - hat mit dem hässlichen Entlein nichts mehr gemein, sondern ist chic geschnitten und auch absolut praktisch, trotzdem wollen die Europäer mit ihm nicht wirklich warm werden. Die US-Kunden übrigens auch nicht, weswegen sie ihn gar nicht mehr angeboten bekommen.

Ja, die Optik. Elegant ist er, der 6er, mehr so etwas, was man mittlerweile als (viertüriges) Coupé bezeichnet. Lapidar gesagt ist er die Fließheck-Variante des (nur in China angebotenen) 5er-BMW, allerdings mit leicht verkürztem Radstand (3,07 statt 3,10 Meter, aber immer noch 9 cm mehr als beim 5er). Mit 5,09 Meter Länge ist er ein echtes Trumm, was die (nun auch schon unter 3 km/h aktive) optionale Hinterradlenkung (1400 Euro), die bis zu 3 Grad mitlenken kann, fast schon zum Pflichtprogramm macht, weil er sonst mit 12,5 Meter Wendekreis etwas gar sperrig ist.

Auf der anderen Seite (bzw. auf der Innenseite) bringt das natürlich auch richtig viel Platz, vergleichbar mit dem Flaggschiff 7er, von dem der 6er aber nicht die Rücksitze bekommen hat. Immerhin sind die Rücksitzlehnen auf Wunsch elektrisch verstellbar (700 Euro). Eine Charaktermischung aus Business-Limousine und Family Transporter.

Größere Nieren - schönere Nieren
Zum Facelift. Von außen sieht man dem 6er das vor allem vorn an, an den neuen Scheinwerfern und den größeren Nieren. Das ist eine der wenigen Nierenvergrößerungen zurzeit, die einen BMW schöner gemacht haben. Die Scheinwerfer sind übrigens serienmäßig LED-Matrix-Leuchten. Optional gibt’s Laserlicht, das bis zu 650 Meter weit fernleuchtet. Neu gestaltet sind auch die Schürzen vorn und hinten. In dem Fall des Testwagens wegen des M Sportpakets auch der angedeutete Diffusoreinsatz. Und auch die Leuchtengrafik hinten ist neu.

Rahmenlose Seitenscheiben: Kompromissbehaftete Schönheit
Nicht geändert haben sich natürlich die für den 6er GT charakteristischen rahmenlosen Seitenscheiben. Die verleihen dem Wagen etwas besonders Sportliches. Aber sie haben einen großen Nachteil: Im Winter können sie so ungut einfrieren, dass die Türen nicht mehr richtig schließen und es während der Fahrt extrem pfeift. An einem Morgen mit minus fünf Grad Außentemperatur hat es rund 20 Minuten Fahrt gebraucht, bis die Wärme aus dem Fahrzeuginneren sich gegen den Frost durchgesetzt hat. Das Auto ist also nichts für Laternenparker, im Winter geht‘s nicht ohne Garage.

Die Heckklappe ist serienmäßig elektrisch, optional öffnet sie per Fußkick. Dahinter gibt’s 600 Liter Kofferraum. Oder wenn man umklappt 1800 Liter. Das geht elektrisch per Hebelzug. Die Hutablage ist cool, aber etwas unpraktisch, weil sie nicht aufklappt. Dafür kann man sie unterm Boden verstauen.


Hightech und 7er-Bedienelemente
Die Bedienelemente stammen jetzt aus dem 7er. Das BMW Live Cockpit Professional ist Serie, die beiden Displays sind je 12,3 Zoll groß. So weit, so modern, aber auch so kritikwürdig. Denn der Tacho schaut aus wie bei allen anderen BMWs mit Digi-Cockpit und seine Skala ist auch hier praktisch nicht ablesbar. Das Tempo liest man an der Ziffern-Klardarstellung oder am optionalen (1400 Euro) Head-up-Display ab. Es wird langsam Zeit, dass BMW unterschiedliche Cockpit-Ansichten zur Wahl anbietet. Solche Screens sind bei anderen Herstellern auch kein Problem. Fragt sich, warum man sich da in München so ziert.

Die Bedienung ist nicht mehr ganz so intuitiv wie in früheren iDrive-Versionen, geht aber angesichts der Fülle der Optionen schwer in Ordnung. Neu ist, dass nicht nur Apple CarPlay an Bord ist, sondern auch Android Auto. Und zwar kabellos. Neuerdings sollen sogar die Navi-Anweisungen der Smartphone-App im Head-up-Display angezeigt werden können, was mir im Testwagen nicht gelungen ist.

Aber auch das Navi ist neu, cloudbasierend und schneller als vorher. Und es kann bei längeren Strecken sogar das voraussichtliche Verkehrsaufkommen mit berücksichtigen.

640d ist der Topmotor
Seit dem Facelift sind alle im 6er GT verfügbaren Motoren mit einem 48-Volt-Mildhybrid-System ausgerüstet. Allerdings sind nicht alle Motorisierungen aus dem 5er verfügbar. Es gibt zwei Benziner (Vierzylinder mit 258 PS, Sechszylinder mit 340 PS) und drei Diesel, vom 190-PS-Vierzylinder bis zu zwei Sechszylindern mit 286 bzw. 340 PS.

Der Top-Diesel erweist sich im Testwagen als absolut standesgemäß, er ist 20 PS stärker als früher, dazu kommt der 8 kW/11 PS starke Elektromotor, der u.a. das „Segeln“ zwischen 25 und 160 km/h ermöglicht, d.h. wenn man vom Gas geht, schaltet sich der Motor ab. Anders als in bisherigen BMWs klappt das nicht nur im EcoPro-Modus, sondern auch auf Komfort. Und natürlich ist damit die Start-Stopp-Funktion extrem unauffällig.

Auffällig ist hingegen, wie kraftvoll, seidig, leise und souverän zu Werke geht. Das maximale Drehmoment von 700 Nm liegt bei 1750/min. an, darunter füllt der E-Motor der den letzten Rest eines Turbolochs aus. 5,3 Sekundenreichen dem 2010 kg (DIN) schweren Allradler für den Standardsprint, 250 km/h Spitze ist selbstbeschränkt. Der Real-Verbrauch geht mit 7,8 Liter sehr in Ordnung.

Das ganze Fahrgefühl ist, wie man es sich von einem BMW dieser Art erwartet. Gefühlvolle Lenkung, die dem Fahrer einen guten Kontakt zur Fahrbahn ermöglicht, hervorragendes Fahrwerk. Dazu muss man sagen, dass der Testwagen diesbezüglich alle Register zieht. Er hat nicht nur die serienmäßige Luftfederung (mit Niveauregulierung) an der Hinterachse an Bord, sondern das komplette adaptive Luftfahrwerk samt aktivem Wankausgleich (Executive Drive, 4400 Euro). Auch die Bremse ist gefühlvoll zu bedienen, obwohl im Hintergrund koordiniert wird, wie viel elektrisch gebremst wird und wie viel mit der echten Bremse.

Upgrade für die Assistenzsysteme
Der neue 6er hat die neueste Generation der Assistenzsysteme an Bord. Der teilautonome Fahrassistent kann jetzt unter anderem selbsttätig die Spur wechseln, wenn man den Blinkkontakt hält. Um die Spur manuell zu wechseln, muss man den Blinker ganz setzen, sonst arbeitet man gegen das System. Bis auf einmal hat der Assistent tadellos funktioniert, einmal jedoch wollte er nachts auf der Überholspur aus unerfindlichen Gründen hart links abbiegen. Dazu hat er immerhin akustisch wie optisch gewarnt. Überhaupt warnt er nun generell, wenn er der Spur nicht mehr folgen kann, statt wie früher unauffällig den Dienst zu quittieren.

Grundsätzlich gehört der BMW-Assistent zur sehr angenehmen Sorte, weil man lediglich das Lenkrad berühren muss. Bei der Konkurrenz will das Lenkrad teilweise aktiv bewegt werden, damit das Auto glaubt, dass man aufmerksam ist. Nicht neu, aber immer wieder eine Erwähnung wert: Die Abstandhalte-Funktion des Tempomaten ist abschaltbar, und die Tempolimitübernahme lässt sich per Voreinstellung korrigieren, sodass man z.B. bei einem Limit von 130 km/h automatisch 140 km/h fährt.

Das alles hat natürlich seinen Preis, der 6er GT kostet mindestens 66.000 Euro. Der 640d xDrive kommt auf mindestens 85.000 Euro. Da ist er gar nicht schlecht ausgestattet, aber mit viel Luft nach oben: Der Testwagen ist aufgerüstet auf über 130.000 Euro.

„Fahrzit“
Der BMW 640d ist ein hervorragendes Reiseauto. Sehr leise (abgesehen von der etwas zu lauten Lüftung), mit dem adaptiven Fahrwerk und dem Executive Drive gleichermaßen sportlich wie komfortabel zu fahren, mit einem hervorragenden Antrieb - und er ist ziemlich exklusiv, weil ihn bei uns kaum jemand kauft. Vielleicht liegt das daran, dass ein BMW 5er Touring um 10.000 Euro weniger in der Preisliste steht und zwar weniger Platz auf den Rücksitzen, aber fast gleich viel Kofferraum bietet. Und er ist unter fünf Meter lang.

Für sich genommen ist der 6er GT aber ein sehr gelungenes Auto, angesiedelt irgendwo zwischen 5er, 7er und Tourer.

Warum?
Exklusiver als der 5er
Technologische Topklasse

Warum nicht?
Rahmenlose Seitenscheiben nicht voll Alltagstauglich

Oder vielleicht ...
... BMW 5er Touring, irgendwie auch Audi A7

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(Bild: kmm)



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