Zukunft neu denken

„Heutige Realität hat keine Bedeutung mehr“

Vorarlberg
08.01.2021 06:30

Der Zukunftsforscher Klaus Kofler ist überzeugt davon, dass Corona einen längst notwendigen Wandel nur beschleunigt hat. Einen Wandel, den wir mit Mut und Zukunftskompetenz bewältigen können.

Corona hat die Welt in ihren Grundfesten erschüttert. Mittlerweile befindet sich Österreich im dritten Lockdown, Geschäfte mussten erneut schließen, viele Betriebe haben wieder Kurzarbeit angemeldet. Zudem beklagen Unternehmer die fehlende Planungssicherheit. Niemand weiß, was nächstes Jahr sein wird. Weiß es die Zukunftsforschung?

Nein. Niemand kennt die Zukunft. Wobei Corona für die derzeitige Situation gar keine so große Rolle spielt. Oder sagen wir so: Corona hat einen längst notwendigen Wandel lediglich beschleunigt und sichtbar gemacht. Die bisherigen Modelle stoßen an ihre Grenzen, denn sie stammen aus einer industriell geprägten Zeit mit einem einfachen Zukunftsmodell, bei dem es ausschließlich um Gewinnsteigerung gegangen ist. Und zwar indem immer mehr vom Selben in unterschiedlichen - wenngleich verbesserten - Facetten produziert wurde. Natürlich gab es dabei Veränderungen, allerdings immer nur linear: Auf eine Veränderung folgte ein Zustand, dann gab es wieder eine Veränderung, die einen neuen Zustand kreierte. Darauf konnten sich die Menschen einstellen. Das hat Vor- und Nachteile: Einerseits hat es uns wohlhabend gemacht, unsere Einkommen sind heute fast 50-mal so hoch wie zu Beginn der Industriellen Revolution. Die Kindersterblichkeit - ein wesentliches Indiz für den Wohlstand einer Gesellschaft - ist von damals 44 auf heute unter vier Prozent gesunken.

Das klingt doch gut...

Ja, allerdings hat uns diese Entwicklung auch irrsinnig starr und steif werden lassen. In der heutigen Welt verändert sich alles rasant, das verlangt dynamische, volatile und vor allem digitale Systeme. In so einem Umfeld funktionieren alte Mechanismen mit linearem Denken, linearen Lösungen und linearem Management nicht mehr. Die Zukunft findet in Echtzeit und einem Radius von 360 Grad statt.

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Leben ist Veränderung. Sicherheit gibt es nicht - und es gab sie noch nie. Die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit.

Klaus Kofler

Das heißt: Wir müssen ständig mit Veränderungen rechnen und können nichts mehr planen?

Leben ist Veränderung. Sicherheit gibt es nicht - und es gab sie noch nie. Die einzige Sicherheit ist die Unsicherheit. Trotzdem basiert unser gesamtes System auf dieser Sicherheitslüge. Hinzu kommt, dass wir nie gelernt haben, in einem derart dynamischen System zu agieren. Die Sicherheit, die wir heute in unseren Köpfen tragen, ist ein Produkt der Industrialisierung. Diese hat alle Prozesse automatisiert und sie dadurch begreifbar und abbildbar gemacht. Und genau diese Abbildbarkeit sorgt für das Gefühl der Sicherheit. Immer wenn wir mit Unsicherheit und Gefahren konfrontiert werden, entsteht ein Gefühl der Angst. Anders gesagt: Alles, was wir nicht kennen, macht Angst.

Die Angst ist derzeit fast greifbar. Wie kommen wir da wieder heraus?

Mit Mut. Und indem wir endlich anfangen, Zukunftsfragen zu stellen. Es gilt, herkömmliche und konventionelle Denk- und Handlungsmuster grundlegend infrage zu stellen und gegebenenfalls über Bord zu werfen.

So betrachtet ist die derzeitige Situation eigentlich eine tolle Spielwiese.

Absolut. Ein Problem ist ja an sich auch etwas irrsinnig Spannendes, denn es zeigt uns Widersprüche auf. Unvereinbarkeiten, die wir lösen müssen. Probleme sind dazu da, die Dinge grundlegend zu verändern. Es braucht aber den Mut, über einen bestimmten Punkt hinauszugehen. Ansonsten sind nur Anpassungen bzw. Adaptionen das Resultat - alter Wein in neuen Schläuchen sozusagen. Selbstverständlich ist der Begriff „Zukunft“ abstrakt. Wenn wir aber „Zukunft“ durch „Möglichkeiten“ ersetzen, tut sich eine riesige Welt auf. Zukunft ist nichts anderes als eine Vielzahl an Möglichkeiten. Und es kommt darauf an, was wir aus diesen Möglichkeitsräumen machen.

Reicht es wirklich aus, dass wir uns der Unsicherheit bewusst werden und alles infrage stellen?

Das ist der erste Schritt. Wenn wir diesen Sprung machen, diesen Graben der vermeintlichen Sicherheit überwinden, verändert sich das Denken. In der Folge wird klar: Wir können ganz anders arbeiten, ganz anders leben. Wichtig ist natürlich, dass sich auch Unternehmen neu erfinden müssen, dass sich eine neue Arbeitswelt entwickelt. Durch die Kurzarbeit merken nun viele, dass man auch mit weniger Geld gut leben kann. Man kann sich zwar nicht alles leisten, dafür hat man mehr Freizeit. Meiner Meinung nach kommen wir über kurz oder lang an einem Grundeinkommen gar nicht vorbei. Zudem brauchen wir ein neues Menschenbild im Sinne der Nachhaltigkeit, im Sinne des Klimaschutzes. Außerdem brauchen wir eine neue Form des sozialen Umgangs, eine neue Form, wie man Arbeit und Leben miteinander verbinden kann. Kurz: Wir brauchen ein komplett neues Weltbild, denn mit dem, was wir jetzt haben, können wir keine Zukunft gestalten. Unsere heutige Realität hat keine Bedeutung mehr, trotzdem halten wir sie künstlich am Leben. Das aber heißt, dass wir mit der Zukunft fahrlässig umgehen.

Kann man diese Art der Zukunftsgestaltung lernen? Oder anders gefragt: Braucht es Zukunftsgestaltung als Unterrichtsfach?

Auf jeden Fall. Eines der Hauptprobleme, warum wir heute an diesem Punkt sind, ist das katastrophale Bildungssystem, in dem Zukunftskompetenz nicht gelehrt wird. Und dabei geht es weniger um das abstrakte Thema „Zukunft“, sondern beispielsweise um Kreativität, kritisches Denken und Problemlösungskompetenz. Wir müssen erkennen können, was auf uns zukommt. Was sind die großen Treiber, die großen Entwicklungen, die Wirtschaft und Umwelt angehen? Was sind mögliche Alternativen, um nicht in alten Fahrwassern hängen zu bleiben? Wir müssen uns endlich mit Visionsfähigkeit auseinandersetzen und von dieser Kurzsichtigkeit weggekommen. Wenn wir das jetzt nicht lernen, werden wir den Karren mittel- und langfristig an die Wand fahren.

Fakten

Der gebürtige Dornbirner Klaus Kofler ist Zukunftsforscher, Zukunftsdenker und Möglichkeitsgestalter. Er unterstützt Menschen und Unternehmen, die Zukunft verändern, gestalten und verbessern wollen, hält Vorträge und ist Mitgründer der Future Design Akademie in Dornbirn und Wuppertal - es handelt sich hierbei um einen Think-Tank für Zukunftsdesign, der eine kreative Veränderungskultur fördert. Kofler gilt in seinem Fachgebiet als Koryphäe.

Das Interview führte Christiane Mähr

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